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Fakten zur Aufführung 

IL BARBIERE DI SIVIGLIA
(Gioacchino Rossini)
2. Dezember 2011
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf


Points of Honor                      

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Comedy statt Humor

Die Düsseldorfer Oper platzt aus allen Nähten. Der „Neue-Graben-Effekt“ zieht die Zuschauer an wie das Licht die Motten. Insekten spielen an diesem Abend eine größere Rolle. Sie bevölkern die Drehbühne von Christian Schmidt, auf der sich eine überdimensionale weiße Blüte dreht, die in Folge ihre Farben wechselt. Schmidt sorgt auch für die Kostüme. Der Chor tritt zunächst in silberfarbenen Käferkostümen auf, Graf Almaviva ist als Hummel erkennbar, die übrigen tragen Flügel auf dem Rücken, und die Berta kriecht vorerst als Schnecke über die Bühne. Solch komisch erscheinende Kostüme sind der Idee des Regisseurs geschuldet. Claus Guth möchte seine Inszenierung als Versuchsanordnung verstanden wissen, bei der die menschlichen Beziehungen auf die Insektenwelt übertragen und durch das Mikroskop betrachtet werden. Er sieht darin einen Kunstgriff, „der uns einen spaßhaften, aber auch spannenden Blick darauf erlaubt, was ‚Menschen‘ hier antreibt: die Prinzipien Vermehrung und Hunger bzw. Geld, was man eigentlich als Sammelaktion für den Nestbau oder für den Winterschlaf übersetzen kann – also die absolut minimalsten Triebe, auf deren Erfüllung man hinarbeitet“. Die Sehgewohnheiten der Rezipienten zu brechen und sie damit zu neuen Erkenntnissen zu führen, ist sicher eine der erstrebenswertesten Aufgaben, denen sich ein Regisseur stellen kann. Weil aber hier der „spaßhafte Blick“ immer wieder überzogen wird und ins Slapstick-Fach abrutscht, weil eben die Figuren Rossinis doch nicht ganz so platt sind, wie von Guth und Schmidt unterstellt, weicht das „RTL-Samstagabend-Erlebnis“ allmählich einer Ratlosigkeit, die etliche Zuschauer veranlasst, in der Pause die Oper zu verlassen.

Nach der Pause weicht das poppige Bühnenbild einer Wand, in die vier Sitze und eine Drehtür eingelassen sind. Andi A. Müller projiziert darauf einige Insektenbilder. Kein Mensch hätte etwas vermisst, gäbe es diese Projektionen nicht. Die Insektenidee wird bei den Kostümen komplett aufgegeben, stattdessen werden die „Witze“ platter, bis hin zu einem Bartolo, der im Schlaf „Finanzamt“ murmelt. Im dritten Bild gibt es dann eine Art Synthese aus den beiden vorangegangenen. Die Wand schwebt in demontierten Einzelteilen über einzelnen Blütenteilen, lediglich die Drehtür hat Bestand. Was allerdings der Plüsch-Tiger  zwischen den Blütenteilen aussagen soll, vermag sich nicht mehr zu erschließen. Sicherlich eine gutgemeinte letzte Regie-Idee.

An guten Ideen mangelt es auch in der Besetzung nicht. Wo andere Bühnen der Düsseldorfer Größenordnung sich bemühen, große Namen auf die Plakate zu drucken, setzt die Deutsche Oper am Rhein auf Jungsängerinnen und Opernstudio-Teilnehmer bzw. Alt-Ensemble-Mitglieder. Immerhin: Die werden nicht so schnell krank. Und es ist schließlich aller Ehren wert, der Jugend eine Chance zu geben. Allerdings ist die 24-jährige Lena Belkina mit der Rosina eindeutig stimmlich überfordert. Sie erfreut im ersten Akt durch ihr leichtes, fröhliches Spiel, zeigt dann aber im Verlauf auch hier Ermüdungserscheinungen. Eindeutig, und so – um im Bild zu bleiben – „votet“ auch das Publikum, läuft ihr Romana Noack in der Rolle der Berta in beiderlei Beziehung den Rang ab. Sie ist einer der beiden Stars des Abends. Der andere und eigentliche ist Figaro Dmitri Vargin, der stimmlich und darstellerisch in jeder Hinsicht überzeugt. Er zeigt die Leichtigkeit und Spritzigkeit, nein, nicht die Oberflächlichkeit, einer Rossini-Oper, wegen der die Zuschauer in die Oper kommen. José Manuel Zapata steht ihm als Almaviva eigentlich in nichts nach, leidet in der Wirkung dann aber unter den Regie-Einfällen. Seine Stimme besteht jeden Ulk, was eigentlich bewundernswert wäre, wenn nicht diese Eskapaden so sinnlos wären. Ähnlich ergeht es Bruno Balmelli, der als Bartolo oft zu slapstickartig agieren muss. Don Basilio, erst als Lauscher, dann als hoffnungsloser Berater eingesetzt, wird von Sami Luttinen ohne besonderes Profil präsentiert. Sein Bass versiegt schon mal vorzeitig. Viel Spaß bereitet Opernstudio-Mitglied Bogdan Baciu, wenn er den Fiorillo leichtfüßig und stimmlich einwandfrei gibt. Ebenfalls aus dem Opernstudio dabei ist Attila Fodre, der als Offizier eher unscheinbar ist und mithin als fehlerfrei gelten darf.

Unscheinbar ist auch die Musik, die die Düsseldorfer Symphoniker unter Axel Kober präsentieren. „Premierenrausch“ nennt die Düsseldorfer Oper, an einem Wochenende drei Premieren zu präsentieren. Da möchte man eigentlich Verständnis dafür haben, dass der Generalmusikdirektor leicht ermüdet wirkt. Nur nicht gerade, wenn man in einer Vorstellung sitzt, in der es um die Spritzigkeit, um die Lebendigkeit der Musik geht. Eben dann, wenn man Kober mit den Duisburger Symphonikern bei der Carmen-Inszenierung erlebt hat, ist das Geschehen an diesem Abend eher enttäuschend. Christoph Kurig hat seinen Herrenchor ordentlich einstudiert.

Nach drei Stunden voller Arien-Applaus, der nicht immer ganz nachvollziehbar ist, klatscht das Publikum brav, Bravo- und Buh-Rufe bei Auftritt des Regie-Teams halten sich die Waage, und der eine oder andere wird nach diesem Abend sicher von Insekten träumen – von einem rauschenden Rossini-Fest sicher nicht.

Michael S. Zerban