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Fakten zur Aufführung 

VOM KLEINMALEINS DES SEINS
(Erich Kästner)
7. Februar 2012

Theater Bonn, Rita Baus Kulturproduktion und Pantheon


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Mit Schirm, Charme und Hut

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Quatsch keine Oper steht der Schauspieler Walter Sittler in Begleitung von sechs Musikern in der Fortsetzung der Lebensgeschichte Erich Kästners auf der Bühne. Der zweite Teil schließt an Als ich ein kleiner Junge war an, kann aber auch unabhängig besucht werden.

Sittler erscheint mit Trenchcoat, schwarzem Schirm und Hut, silbrig gewelltem Haar und einer ernsten Miene. Als er zu sprechen beginnt, stutzt man zunächst. Er erzählt nicht nur, sondern verfällt teilweise fast in einem rhythmischen Sprechgesang, an den man sich zunächst gewöhnen muss. Kunstpausen im Textfluss sind zwar gekonnt, aber verzögern die Aufmerksamkeit, es wird schwierig, dem stark stilisierten Sprechen zu folgen. Aber nachdem man sich daran gewöhnt beziehungsweise verstanden hat, wie der Abend verlaufen wird, kann man sich zurücklehnen und sich dem rhythmisierenden Vortrag Sittlers widmen. Im Laufe des Abends steht nicht mehr nur Sittler auf der Bühne. Man vergisst zuweilen, dass dort nicht gerade Kästner steht, der sich mahnend, lobend oder berichtend ans Publikum wendet. Das liegt zum Teil auch an den gut ausgewählten Kästner-Zitaten, die sich vom Zuschauer sehr einfach aktualisieren lassen. Szenenapplaus gilt nicht nur Sittler als ausführendem Schauspieler, sondern im Grunde dem Autor Erich Kästner, dessen Pointen und Anekdoten, Gedichte und Berichte einen noch immer zum Lachen oder Weinen bringen. Leider wirken gerade die emotionalen Szenen in der Regie von Martin Mühleis teilweise zu gewollt, wenn beispielsweise das Orchester ein verzerrtes Weihnachtslied anspielt und Sittler in Kästners Text von der Einsamkeit der Eltern im ausgebombten Dresden berichtet, die das erste Mal seit 45 Jahren den Weihnachtsabend ohne den Sohn verbringen müssen. Geradezu heißhungrig und erleichtert stürzt sich das Publikum nach solchen zu offensichtlich inszenierten Momenten auf die folgenden Situationen, in denen das Lachen wieder erlaubt ist.

Links steht eine kleine Bar mit Hockern, daneben ein Garderobenständer, an dem Trenchcoat, Hut und Schirm auf ihren Einsatz warten. Davor ganz unscheinbar ein grauer Kasten, in den die Briefe an die Mutter eingeworfen werden, die sich wie ein emotionaler Faden durch den Abend ziehen. Ein schwarzer Vorhang, der farblich verschieden angestrahlt wird, begrenzt die Bühne nach hinten. Das Bühnenbild und die Kostüme von Gudrun Schrezmeier sind zwar dezent, aber wirkungsvoll.

Die Combo aus sechs Musikern ist auf der rechten Bühnenseite platziert und nimmt mitunter mit teilnahmsvollem Kopfneigen oder Schmunzeln am Geschehen auf der Bühne teil, passend zum Verhalten Sittlers, der mal ein paar Tanzschritte wagt, mal dirigiert und mal das kleine Orchester staunend zur Kenntnis nimmt. Die Musik von Libor Sima, der selber das Saxophon spielt, hat einen großen Anteil am Erfolg des Abends. Mal wird passend zu Kästners erotischem Nachtgesang des Kammervirtuosen Beethovens 9. Sinfonie verfremdet zitiert, mal jazzig geswingt und mal erinnern dissonant bedrohliche Klangfarben mit pizzicato der Violinistin Esther Feustel wie tickende Uhren an die Vergänglichkeit und Kästners innere Emigration zu Zeiten des Nationalsozialismus. Uwe Zaiser wechselt zwischen Trompete und Flügelhorn, sein Ton bleibt trotz Dämpfer klar und unaufdringlich. Obi Jenne am Schlagzeug spielt dezent und flexibel, Lars Jönsson am Harmonium und Veit Hübner am Kontrabass sorgen für die nötige Basis. Alles in allem gelingt den Musikern und Sittler ein akkurates, aufeinander Bezug nehmendes Zusammenspiel. Wenn sich Text und Musik decken, passt Sittler sein Sprechen musikalisch dem Rhythmus der Musik an.

Zum Ende spricht Sittler nicht mehr in der Person Kästners, sondern erzählt über ihn. Zunächst ist dieser Bruch unerwartet, doch wie Sittler mit sanfter Stimme und glaubhaftem Respekt von Lebensgewohnheiten, Charaktereigenschaften und vom Tod Kästners erzählt, geht der Rollentausch im Nachhinein sehr schön auf.

Das Publikum applaudiert erst verhalten, dann zunehmend begeistert für den großartigen Schauspieler Sittler und das akkurate Orchester. Bestimmt wird der ein oder andere Zuschauer an diesem Abend noch einmal zu Hause in seine Kästner-Bücher schauen.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Steffen Sixt