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Fakten zur Aufführung 

"ALS ICH EIN KLEINER JUNGE WAR"
(Erich Kästner)
31. Januar 2012

Oper Köln


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Ganz allmählich ins Inferno

Walter Sittler ist dem breiten Publikum wohl eher durch die Comedy-Serie „Nikola“ an der Seite von Mariele Millowitsch aus der Fernsehunterhaltung bekannt. Wenn so einer Erich Kästner liest, muss das ja wohl eine lustige Sache werden. So ist die Bereitschaft zu Lachern im nahezu vollbesetzten Opernhaus hoch, als Sittler seinen Vortrag beginnt. Es dauert eine Weile, bis das Publikum begreift, dass hier ein sehr ernsthafter Schauspieler aus der Kindheitsautobiographie eines sehr ernsthaften Schriftstellers vorträgt.

Regisseur Martin Mühleis will eine „Kintopp-Inszenierung“: „Aus immer wiederkehrenden Erzählphasen sollten kleine Szenen, wie aus der Erinnerung erwachsend, entstehen, nicht theaterhaft dramatisiert, sondern zusammengehalten ausschließlich durch eine Architektur aus Komposition, Sprache und Schauspiel“. Dafür schafft ihm Gudrun Schretzmeier eine einfache, aber wirkungsvolle Ausstattung. Auf der nach hinten durch einen schwarzen Vorhang stark verkürzten Bühne steht eine mehrere Meter lange Sitzbank im Vordergrund, rechts davon ein Tisch mit ein paar Stühlen und ein Garderobenständer, links ein Harmonium. Die Musiker nehmen jeweils am äußeren Ende der Sitzbank Platz, die freie Mitte bleibt Sittler, um sich in Szene zu setzen. Alle Akteure hat Schretzmeier in die Kleidung der 1920-er Jahre gesteckt, Sittler ist als einziger im bohemienhaften „Schriftsteller-Dreiteiler“ gewandet. Sebastian Alphons und sein Team sorgen für eher düstere Lichtverhältnisse auf der Bühne. Da wird es mitunter so dunkel, dass die Akteure kaum noch zu erkennen sind. Das ist weniger stimmungs- oder effektvoll, sondern eher ermüdend. Erst in der entscheidenden Szene gelingt ihnen der dramatische Coup mit einfachsten Mitteln. Doch bis dahin ist es noch ein Weilchen.

Eigentlich ist alles wie von Mühleis gewünscht. Kurze Musikpassagen verbinden die Erinnerungsstücke, die Sittler im verabredeten, undramatischen, lakonischen Tonfall vorträgt. Er bewegt sich angemessen, wechselt immer mal wieder die Positionen, lässt den Text wirken, hebt ihn so erst wirklich in seine Bedeutung. Sittler ist Profi. Da gibt es keinen Zettel und keine Versprecher, stattdessen exakte Akzente, unprätentiös und ohne jede Dramatik vorgetragen. Aber es wirkt nicht. Man wünscht sich an jenen Ort, von dem man solche Stücke kennt: in die verrauchte Kneipe, in der sich viel zu viele Zuhörer versammelt haben und ein einzelner Saxophonist die ganze Sehnsucht des Vortragenden in sein Instrument legt, vielleicht noch irgendwo ein Dia-Projektor vor sich hinsummt, der unscharfe Bilder des jungen Kästner an die vergilbte Wand wirft, während der Vortragende seine ganze Begeisterung zum Thema in den Ring wirft, nicht immer perfekt, aber immer überzeugt. Daran erinnert man sich in der Pause, wird ein wenig nostalgisch. Die kurze Überlegung, die bewusste Überwindung, nach der Pause doch noch einmal in den Saal zurückzugehen. Sie wird belohnt.

Zum ersten Mal verliert die Musik von Libor Síma ihre Beliebigkeit, verschmilzt mit dem Vortrag, der nun nicht mehr von Sittler aufgesagt wird, sondern den Kästner aus seiner Erinnerung erzählt. Jetzt wechseln die Textfarben, das Geschehene wird nicht länger geschildert, sondern noch einmal erlebt. Und wenn Kästner auf seine Mutter, diese eine ihn liebende Mutter, zu sprechen kommt, der außer ihrer Liebe zu ihrem Sohn wenig Gutes im Leben beschert ward, wischen sich die ersten im Publikum heimlich die Tränen von den Wangen, wird ringsumher kräftig geschneuzt. Ergriffen lauschen Zuschauerinnen und Zuschauer, was das Jahr für Kästner bringt, in dem das Inferno des Ersten Weltkriegs losbricht. In dem eine heile, deutsche Welt für immer ihre Unschuld verliert – und das die Geschicke der Welt verändern wird.

Komponist Sìma selbst spielt – leider viel zu selten – das Saxophon, am Harmonium setzt Lars Jönsson präzise Töne, Gesa Jenne-Dönneweg spielt schnörkellos und ohne große Emotion – so ist es ja gewünscht – die Geige, Veit Hübner und Uwe Kaiser unterstützen sie mit Kontrabass und Trompete. Am Schlagzeug leistet Meinhard „Obi“ Jenne Feinstarbeit der überwiegend leisen Töne. Alles in sich stimmig, schön komponiert, aber nur selten mit dem Text verzahnt. Sehr gut gefällt, wie aufmerksam die Musiker dem Schauspieler in ihren Pausen folgen, als hörten sie den Text zum ersten Mal.

Das Publikum, das den Text tatsächlich zum ersten Mal hört, ist wie vom Donner gerührt, vollkommen gefangen und begeistert von den letzten zehn, zwanzig Minuten, ehe es ganz ernsthaft, ohne jeden Sinn für Comedy, heftig applaudiert, vereinzelt Bravo ruft und sich schließlich zu großen Teilen erhebt, um denen zu danken, die sie noch einmal in die Kindheit des Erich Kästner getragen haben, die so furchtbar endet.

Michael S. Zerban

Die Besprechung der Doppel-CD "Als ich ein kleiner Junge war..." können Sie sich hier anhören.

 

Foto: Jennifer Sittler