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Fakten zur Aufführung 

OREST
(Manfred Trojahn)
28. Oktober 2014
(Premiere)

Neue Oper Wien


Points of Honor                      

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Gesang

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Dunkle, beklemmende Mythologie

War nicht Hoffnung einst in dieser Welt? Hoffnung auf das Ende allen Mordens … auf das Ende aller Schuld“, fragt Orest seine Schwester Elektra, worauf diese antwortet: „Von welcher Schuld sprichst du, Bruder? Der auf der Seite des Rechtes steht, kann kein Schuldiger sein!“ Das sind die Schlüsselworte aus der Oper Orest von Manfred Trojahn, der nicht nur die Musik komponiert, sondern auch das Libretto verfasst hat. In diesem Musikdrama geht es um Schuld und Sühne, um Tat und Rache. Es behandelt ein Jahrtausend altes, düsteres Kapitel der griechischen Mythologie: Der von Schuld des Muttermordes von Klytämnestra getriebene Orest ist ein schwacher Charakter. Er hört halbwahnsinnig Stimmen und wird von seiner dominanten Schwester Elektra zu einem weiteren Mord an Helena angestiftet. Seine Wandlung erfolgt erst, als Hermione, die er ebenfalls auf Geheiß seiner Schwester umbringen sollte, die Zauberworte spricht: „Orest, sieh mich an“. Und er stellt sich seiner Schuld.

2011 in Amsterdam uraufgeführt und in Deutschland erstmals in Hannover auf der Bühne, erlebt das 80-minütige Werk jetzt seine österreichische Erstaufführung im Museumsquartier bei der Neuen Oper Wien. Schrecklich heruntergekommen ist die Bahnhofshalle, schmutzig und beschmiert sind die Wände – die Ausstattung stammt von Nikolaus Webern. Überall sieht man wartende Reisende herumlungern. Ein völlig verwahrloster, unruhiger, verhaltensauffälliger Mann, es ist Orest, wie ein Obdachloser angezogen, balanciert auf der gelben Linie zu den Bahngleisen und droht, in selbstmörderischer Absicht hinunterzuspringen. Da ertönt ein grässlicher, lauter, weiblicher Schrei: Orest - nur von schrillen, hohen Violinen begleitet, und vervielfältigt sich. Der gepeinigte Mann windet sich und schreit: So expressiv beginnt des Werk des deutschen Komponisten. Philipp Krenn hat diese düstere Geschichte in diesem hässlichen Einheitsbild, wohl eine Metapher auf eine verwahrloste Zwischenwelt der Hoffnungslosigkeit, sehr drastisch und nachvollziehbar im Heute mit lauter kaputten Typen und vielen Ideen inszeniert. Die schöne Helena, die aus dem Krieg heimkehrt, wird etwa aus einer beweglichen Litfasssäule herausgeschält, wo sie alle anwesenden Männer betört und verrückt macht und schließlich von Elektra beschimpft wird. Vor allem die Szene, wo Elektra ihren Bruder Orest, der auf der Bank auf ihrem Schoss liegt, beruhigt, gerät ihm sehr berührend.

Das Ensemble selbst wird darstellerisch und stimmlich bis in höchste Höhen und extreme Intervalle gefordert. Es wird ihm alles abverlangt: Klemens Sander ist ein intensiver Orest, der zuckt und leidet und sich erst nach seiner Wandlung beruhigt. Jolene McCleland ist eine ausdrucksstarke, teils stimmlich überfordernd wirkende Elektra. Jennifer Davison ist eine erotische, feine Helena. Avelyn Francis singt ihre Tochter, die Hermione, die selbst die höchsten, von ihr abverlangten Töne trifft. Gernot Heinrich ist Apollon und Dionysos, ein geschminkter Clown, an Batmans Bösewicht Joker erinnernd. Er singt ihn mit leichtem Tenor. Die Duplizität der Figur ist so gelöst, dass er, wenn er Dionysos ist, mit einer Handpuppe singt. Dan Chamandy wirkt als Menelaos etwas blass.

Trojahns Musik, komponiert für ein reichhaltiges Orchester etwa mit dreifach besetztem Holz, zwei Harfen, ist nicht illustrativ geführt, sondern als genialer Subtext, der die Emotionen und die Sänger verstärkt. Sie ist sehr expressiv, knapp und verdichtet, sehr emotional, jede Figur genau charakterisierend, etwa eruptiv bei Elektra, fallweise beinahe leitmotivisch, grollend aber durchaus auch mit Kantilenen und Melismen ausgestattet. Insgesamt ist sie an Richards Strauss Elektra und Salome angelehnt, fein aufgefächert und wird vom exzellenten Amadeus-Ensemble Wien unter Walter Kobéra sehr reich differenziert und spannend musiziert. Leider ist die Musik so komponiert, dass die Singstimmen teils kaum verständlich sind und so das unmittelbare Geschehen nicht immer nachvollziehbar ist.

Der spielfreudige Wiener Kammerchor in der Einstudierung von Michael Grohotolsky singt tadellos. Er muss sich teilweise sehr seltsam bewegen, windet sich teils am Boden und wird scheinbar von Insekten gejuckt oder gebärdet sich wie die Erinnyen.

Im ausverkauften Saal applaudiert das Publikum, darunter auch Komponistenkollegen wie Friedrich Cerha oder Ernst Ludwig Leitner heftigst. Jubel bricht aus, als Manfred Trojahn selbst die Bühne betritt.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Armin Bardel