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Fakten zur Aufführung 

OREST
(Manfred Trojahn)
8. Februar 2013
(Premiere)

Staatsoper Hannover


Points of Honor                      

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Gesang

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Opfer und Täter

Der Vorhang hebt sich, der Blick fällt auf die dunkle Bühne, die in blendende Leuchtstoffröhren gefasst ist, als ein Mark erschütternder Schrei durch das Opernhaus Hannover geht. Ein erschreckender Auftakt, der symptomatisch ist für die deutsche Erstaufführung der Oper Orest. Manfred Trojahn, einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart, hat dem Stoff um den Muttermörder Orest eine weitere Ebene hinzugefügt. Orest ist mythisch betrachtet die Fortsetzung von Strauss' Elektra und besitzt doch große Eigenständigkeit. Der dem Wahnsinn verfallene Orest hadert mit seiner Existenz und seiner Identität. Gleichzeitig erwartet er seine Verurteilung wegen des Mordes an seiner Mutter. Weder der Gott Apoll noch Menelaos können oder wollen ihm helfen. Elektra schafft es sogar, ihn zu einem weiteren Mord anzustacheln. Doch Orest gibt die Hoffnung nicht auf, einen Weg aus der von Göttern bestimmten Weltordnung zu finden.

Enrico Lübbe hat diesem Werk eine psychoanalytische, aufwühlende Inszenierung gegeben, die dem Charakter der Oper vollauf gerecht wird. Stets wird der Eindruck vermittelt, dass der Regisseur die Sänger in einer durchdachten Personenführung an die Hand genommen hat, um auch darstellerisch die Intensität zu transportieren. Großartig, wie Lübbe es schafft, eine spannende Inszenierung zu kreieren, ohne dabei ins Banale und Platte abzuschweifen. Trotzdem ist die Handlung natürlich mit viel Blut angereichert: Aus dem Wasserhahn, an dem sich Orest die Hände waschen will, kommt nur Blut. Der Mord, den er später an Hermione begeht, wird dadurch symbolisiert, dass Orest drei Eimer Blut über ihr ausgießt. Auch die Erinnyen sind in blauen Nachthemden und blutüberströmt auf der Bühne. Beherbergt wird das mythologische Personal im Bühnensaal von Etienne Pluss – ein ruinenartiger Raum, der schon bessere Tage gesehen und deutliche Kriegswunden hat. Das Bühnenbild ebenso wie die Kostüme von Bianca Deigner und einige Aktionen, zum Beispiel ein SWAT-Team und Essen aus der Dose, vermitteln im zeitlosen Stoff durchaus Aktualität. Nicht eine griechische Legende wird hier zelebriert, sondern ein großes Opfer des Krieges, das Individuum des Täters, entlarvt. Nicht umsonst ruft Orest im Laufe das Abends immer wieder seinen Namen, wiederholt vom anklagenden Echo des Chores. Susanne Reinhardt steuert eine atmosphärische, nicht zu aufdringliche Lichtregie bei.

Beginnend mit dem Schrei hat Trojahn eine elektrisierende Musik geschrieben, die durchweg am Wahnsinn entlang balanciert. Seine Komposition explodiert förmlich an Dramatik. Auffallend sind die starken Kontraste innerhalb der Dynamik und in der Tessitura, die Nutzung von Dolby-Surround-Effekten. Das Niedersächsische Staatsorchester Hannover bewältigt diese Aufgabe mit Bravour und scharfer Attacke. Gregor Bühl lässt die Musiker den speziellen Klang scheinbar ungehemmt entfalten, doch das geht nie zu Lasten der Sänger. Auch deren Leistung ist wunderbar, zumal sie sich darstellerisch und vokal gleichzeitig austoben müssen. Zusätzlicher Druck kommt durch einen krankheitsbedingten Ausfall auf: Romy Petrick singt und spielt hervorragend die Hermione - die Rolle, die sie auch bei der Uraufführung in Amsterdam inne hatte. Latchezar Pravtchev tritt als starker Menelaos auf. Die extremen Höhen der Helena meistert Dorothea Maria Marx. Mit schönem Timbre und machohafter Ausstrahlung überzeugt Tomasz Zagorski als Götter Apollo und Dionysos. Die bejubelte Khatuna Mikaberidze spielt eine heruntergekommene, möderische Elektra, ihre warme, flexible Stimme transportiert aber auch die inneren Unsicherheiten. Björn Waag nutzt die zahlreichen Möglichkeiten, die seinem Bariton zur Verfügung stehen – und geht noch weit darüber hinaus. Sein Orest lebt von jedem Ton, von jedem Wort und jeder Geste. Eine herausragende Interpretation. Auch der Herrenchor in der Einstudierung durch Dan Ratiu leistet seinen Anteil am Erfolg der Aufführung.

Die Oper endet, wie sie beginnt – mit dem Mark erschütternden Schrei. Orest, der mit Hermione aus der Bühne hinaus in die offene Zukunft getreten ist, wird wohl auch weiterhin von seinen Geistern verfolgt werden. Es folgt eine kurze Stille, die von Applaus mit vielen bravi und einigen Buh-Rufen abgelöst wird. Doch gerade letztere lassen sich nicht zuordnen, da weder bei den Musikern noch beim Regieteam und dem Komponisten eine negative Äußerung zu vernehmen ist. Vielleicht hat einigen das Gesamtergebnis nicht gefallen. Orest ist keine Wohlfühl-Oper, sondern packendes Musiktheater mit Alptraumcharakter und Herzklopf-Charme. Eine Oper, über deren Musik und Aussage man eifrig diskutieren kann.

Dinah Broermann





Fotos: Thomas M. Jauk