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Fakten zur Aufführung 

LA SONNAMBULA
(Vincenzo Bellini)
22. Februar 2015
(Premiere)

Landestheater Salzburg


Points of Honor                      

Musik

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Traumverloren wandelnd durch die Nacht

Melodie lunghe lunghe lunghe“: Schon Giuseppe Verdi war von seinen schier endlosen Melodien begeistert, und Richard Wagner bescheinigte ihm: „Das ist wirkliche Passion und Gefühl“. All diese Lobeshymnen galten Vincenzo Bellini, dem großen Meister des Belcantos, zu dem zahlreiche, namhafte Komponistenkollegen bewundernd aufblickten. Das jung gestorbene Genie Vincenzo Bellini, er wurde nur 34 Jahre alt, hat trotz seines kurzen Lebens einige unvergängliche Opernjuwelen geschaffen. La sonnambula ist eines dieser kostbaren, aus scheinbar unendlich vielen, wunderschönen Melodien gesponnenen Werke. 1831 in Mailand uraufgeführt, wurde es zu einem Welterfolg des Belcanto und zu einem der größten Erfolge von Bellini.

Il Villagio kann man etwas penetrant in riesigen Lettern auf der Bühne des Salzburger Landestheaters lesen. So nennt sich das offene Hotel-Restaurant, wo sich die Geschichte der schönen Schlafwandlerin Amina abspielt. Eine Frau auf der Suche nach ihrer Identität, nach dem, was die Gesellschaft als Identitätsbeweis anerkennt und verlangt. Wer bin ich? Oder besser: Wer muss ich sein, damit ich als jemand gelte? Haltlos, schlafend wandelt sie durch einen Alptraum von Fragen und Ungewissheiten, von unterdrückten Bedürfnissen und Wünschen, wie durch einen Dunst, der ihr die Sicht vernebelt. Dabei versucht sie dem Druck, ihrem eigenen wie dem gesellschaftlichen, standzuhalten.

Regisseurin Agnessa Nefjodov, die hier in der letzten Saison Emilie von Kaija Saariaho höchst erfolgreich inszeniert hat, zeigt uns kein idyllisches, pastorales Milieu eines verträumten Schweizer Gebirgsdorfes, sondern ein heruntergekommenes Feriendorf, dessen beste Zeit schon lange vorbei ist, aus den 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts. Das etwas angekramt wirkende und zusammengewürfelte Mobiliar wie auch die schrecklich unmodernen und bewusst geschmacklosen Kostüme mit furchtbaren Mustern und Schnitten von der Ausstatterin Eva Musil tragen das ihre dazu bei. Die Menschen, die in Liegestühlen herumlungern, immer wieder Sessel herumtragen oder Karten und Schach spielen, wirken irgendwie wie übriggeblieben. Und es ist eine Fassade, die bröckelt und man weiß nicht mehr, wem man was glauben soll.

Die Regisseurin hat sich bei der krausen, faden, vom Libretto kaum nachvollziehbaren und heute kaum mehr glaubhaft zu inszenierenden Geschichte auf die Personenführung gestützt und diese ungemein detailreich gestaltet. Wenn etwa Amina die von Elvino geschenkten Veilchen wie eine Reliquie in einem Glas aufbewahrt und ständig herumträgt. Es erschließen sich auch meist die Gefühle der Protagonisten. Auch mit dem Chor – La sonnambula ist eine Choroper–hat die Regisseurin erkennbar viel und ausführlich gearbeitet. Jedem einzelnen Choristen wird sein Profil gegeben und jedem seine Aufgabe zugewiesen. Neugierig, sensationslüstern, beinahe ständig präsent ist die Dorfgemeinschaft, permanent beobachtend und kommentierend. Leider lässt Nefjodov ihn manchmal auch kollektiv zucken und teils etwas zu verblödelt agieren.

Mit seinem Melodrama La sonnambula rollt Bellini dem Gesang, dem Belcanto einen feinen, ja zärtlichen Partitur-Teppich aus, dessen Struktur eine große Einheitlichkeit und volkstümliches Kolorit aufweist. Die in der Musik angelegte Doppelbödigkeit entfaltet sich jedoch erst durch eine präzise, nuancierte und wohlbalancierte Interpretation von Solisten, Chor und Orchester. Diese Herausforderung im Blick hielt der Komponist seine Intentionen in ungewöhnlich expliziten Vortragsanweisungen fest.

Das sängerischer Niveau ist überwiegend erstklassig: In der Titelrolle der Amina erlebt man Lavinia Bini. Darstellerisch anfänglich etwas zu aufgesetzt scheu und zu naiv, sind alle ihre Spitzentöne, alle Koloraturen dieser höllisch schweren Partie scheinbar mühelos da. Wie quellklar sie ihre Melodien girrt, wie selbstbewusst sie die vielen Pausen, Seufzer und Endlostriller aneinanderreiht, wie ihr Sopran aber auch schwebend und nuancenreich strömt, ist einfach große Klasse. Ah! Non credea mirarti: Ihre finale Arie, in der sie als Schlafwandlerin am Ende der Oper ihre Liebe zu Elvino erklärt, wird zum Ereignis. Mit ein bisschen zu wenig Farbe, aber mit wunderbarer, nie gefährdeter Höhe und bestechender Phrasierungskunst ist der junge, lyrische Tenor des  jungen Pavel Kolgatin, Mitglied der Wiener Staatsoper, als Elvino zu genießen. Er betört mit hellem, fein ziselierten, weichen Tenor. Alexey Birkus ist ein stimmgewaltiger Graf Rodolfo, der sich mit seinem warmen Bassbariton und männlicher Anziehungskraft als echte Liebesalternative empfiehlt. Hannah Bradbury lässt in der Rolle der Rivalin Lisa einen sehr flexiblen Sopran und Anna Maria Dur als Teresa, Mutter der Titelheldin, einen schönen Mezzo vernehmen. Aufhorchen lässt der blutjunge Ugur Okay als Alessio. Der vielbeschäftigte Chor des Hauses, der von Stefan Müller einstudiert wurde, macht nach anfänglichen, kleinen Unsicherheiten, seine Sache tadellos und singt homogen wie auch klangschön.

Zwar ist das Mozarteum-Orchester Salzburg ausgezeichnet disponiert, unter dem Dirigat von Lorenzo Coladonato wird jedoch meist zu beschaulich, zu wenig aufregend, mit teils sehr breiten Tempi musiziert. Der italienische Maestro agiert zwar sehr sängerfreundlich. Er atmet mit den Sängern und deckt diese nie zu. Bei all erkennbarer, detaillierter Feinarbeit und Transparenz will es ihm aber offenbar nicht gelingen, aus dieser Partitur mehr federnden Impetus herauszuholen.

Zum Ende gibt es viel Jubel, der sich bei den Hauptprotagonisten noch merklich steigert, und auch nur Zustimmung für die Inszenierung. Lediglich der Dirigent muss einen lauten Buhruf einstecken.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Anna-Maria Löffelberger