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Fakten zur Aufführung 

EMILIE
(Kaija Saariaho)
24. Mai 2014
(Premiere)

Landestheater Salzburg


Points of Honor                      

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Wanderungen durch die Gefühlswelt

Die Angst vor dem Tod dauert ein Leben lang, der Tod nur einen Augenblick.“ Von großen, unheilvollen Vorahnungen ist Emilie geplagt, obwohl sie es geschafft hat, sich in der männerdominierten Welt des 18. Jahrhunderts einen international beachteten, wissenschaftlichen Ruf aufzubauen. Intensiv war die Freundschaft mit Voltaire, mit dem sie auch eine Affäre hatte. Während der Übersetzungstätigkeit von Newtons Mathematischem Prinzip brachte sie ein Mädchen zur Welt, verstarb aber nur wenige Tage nach dessen Geburt. Von einem Brief, den sie an ihren Liebhaber schreibt und in dem sie über all diese Dinge räsoniert, handelt das Libretto von Amin Maalouf. In ihrer dritten Oper Emilie zeichnet Kaija Saariaho, deren Erstlingswerk L’amour de loin 2000 bei seiner Uraufführung bei den Salzburger Festspielen zur gefeierten Sensation wurde, ein sensibles Psychogramm einer außergewöhnlichen Frau, der französischen Physikerin, Philosophin und Anhängerin der frühen Aufklärung Émilie de Chatelet.

Bei der österreichischen Erstaufführung am Salzburger Landestheater, die Uraufführung fand 2010 in Lyon statt, gelingt Agnessa Nefjodov das Kunststück, diese eigentliche Nichthandlung eindrucksvoll umzusetzen. Vor einer Häuserkulisse und später einem erkletterbaren Bretterberg, den Eva Musil ersonnen hat, mit verschiedenen Ebenen und viel suggestivem Licht, auch vom Inneren heraus, ist ihr viel eingefallen. Dafür holt sie sich stets Anregungen vom Text. So huscht Voltaire immer wieder als Phantom über die Bühne. Wie in einem Geisterhaus verselbständigen sich permanent Papierstapel, ein Globus ist allgegenwärtig, der sich wie von Geisterhand zu drehen beginnt, eine Kinderwiege fängt selbständig an zu schaukeln. Aber ganz besonders gelingt es der Regisseurin, die Protagonistin expressiv zu führen und ihre Wanderung durch die Gefühlswelten nach außen zu kehren und für uns erfahrbar zu machen.

Allison Cook fällt die beachtliche Aufgabe zu, rund 70 Minuten völlig allein auf der Bühne zu stehen. Die Mezzosopranistin löst das darstellerisch und sängerisch geradezu phänomenal. Sie bewältigt die extremen Anforderungen ihrer diffizilen Gesangspartie in überwiegend französischer, teils englischer Sprache mit Bravour, sei es bei den geforderten extremen Intervallen oder den beinahe unsingbaren Höhen und dem riesigen Umfang ihrer Rolle, die sie mit unglaublicher Reinheit und Differenziertheit zum Besten gibt.

Aufbauend auf einem subtilen Klangteppich, den die vielfach preisgekrönte Komponistin selbst als L’harmonie-timbreHarmonie-Klangfarbe – bezeichnet, einem mehrschichtigen und mehrdeutigen Konzentrat, das jeweils die musikalische Grundfarbe der Szene bestimmt, entstehen ungemein suggestive Spannungen durch dynamisches Auf- und Abschwellen und den Einwürfen diverser Instrumente: Insbesondere das Cembalo ertönt häufig wie auch unterschiedlichste Perkussionsinstrumente. Alles ist sehr fein- und vielschichtig, abwechslungsreich in einer ganz eigenen, modernen Tonsprache, die passend zu den einzelnen neun Szenen eine starke atmosphärische Wirkung erzielt und alle in den Bann zieht. Das alles wird vom Mozarteum Orchester Salzburg unter seinem auffallend exakt agierenden Chefdirigenten Leo Hussain hochkonzentriert und spannungsgeladen wiedergegeben.

Zum Schluss gibt es stehende Ovationen für alle Beteiligten, ganz besonders auch für die Komponistin selbst, die es sich nicht nehmen lässt, der Premiere beizuwohnen.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Christina Canaval