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Fakten zur Aufführung 

ROBERTO DEVEREUX
(Gaetano Donizetti)
11. April 2015
(Premiere am 19. Januar 2004)

Bayerische Staatsoper München


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Der blaue Schicksalsschal

Spannung knistert im Nationaltheater München. Vermutungen, Hoffnungen und Überzeugungen machen die Runde. Gibt es doch noch eine Chance für den Neubau eines Konzertsaals? Wie wird der öde und gesichtslose Max-Joseph-Platz vor dem Theater gestaltet werden? Und wie wird die fast schon verloren geglaubte Tochter Münchens, Editha Gruberova, die anspruchsvolle und schwierige Rolle der Elisabetta in Gaetanos Donizettis Oper Roberto Devereux meistern?

Mit Elisabetta hat Donizetti eine Gesangspartie komponiert, die dem Sopran eine anstrengende musikalische Wanderung auferlegt. Hinauf auf den Berg bis in die höchsten Lagen eines mehrfach gestrichenen C  und wieder hinab an die gutturalen Grenzen eines Mezzosoprans. Die Untiefen sind dabei gewaltig. Kein kontrolliertes Wandern im Takt, sondern musikalische Fallhöhen inmitten eines Taktes sind zu antizipieren. Das verlangt professionelle Extraklasse von temperierter Stimmführung und situativer Reaktionsfähigkeit. Editha Gruberova gehört zu den außergewöhnlichen Koloratursopranistinnen, die diesen Rollenanspruch der Elisabetta in der gesanglichen Gestaltung sowohl technisch als auch in der geistigen Durchdringung souverän und scheinbar mühelos bewältigen können.

Mit drei Paukenschlägen, die das Orchester im Pianissimo jedes Mal versucht zu besänftigen, verweist die Ouvertüre schon auf des Schicksals Lauf. Ahnungsvoll singt der Frauenchor „E quel sorriso infausto piu del suo pianto ancor“. Royale Machtpräsenz der Königin Elisabetta und die emotionale Leidenschaft der Frau Elisabetta, die in Liebe zu dem Oberbefehlshaber Roberto Devereux entbrannt ist, sind wie Feuer und Wasser geschieden. Auch die Jugendfreundin von Devereux, Sara, inzwischen verheiratet mit dem Herzog von Nottingham, und der Herzog selbst verbrennen sich dabei nicht nur die Hände.

Ein blaues Liebes-Todes-Band wird zum Fidibus eines Flächenbrandes. Einmal entfacht, ist er nicht mehr zu stoppen. Roberto stirbt auf dem Schafott. Elisabetta dankt ab und stirbt in unbestimmter Gnadenfrist. Sara und ihr Mann sterben verflucht, auch wenn sie vorerst weiter leben müssen.

Mit Editha Gruberovas erstem Auftritt Alle fervide preci werden viele Operngläser in Stellung gebracht. Nicht nur Hören, auch Sehen ist ab sofort Pflicht. Kaum das Gruberova mit dem letzten Ton ihrer Arie Lutto e pianto son per me! beschwört, brandet ein enthemmter Jubel auf. Bravi mischen sich mit Fußgetrampel und lautem Stakkato-Klatschen. Für Minuten kommt die Aufführung zum Stillstand. Gruberova ist sichtlich gerührt und gleichzeitig irritiert, wohin sie sich auf der Bühne wenden soll. Auch Dirigent Friedrich Haider scheint nach einem Ausweg zu suchen. Für Momente ist er gegen die Lautstärke der Münchner Umarmung einer heimgekehrten Diva-Tochter machtlos.

Aber Haider ist ein in vielen Opernaufführungen gestählter Dirigent, der, und das beweist er an diesem Abend mit dem Bayerischen Staatsorchester immer wieder, nicht nur eine genaue Vorstellung von seinem Donizetti hat. Er hat die musikalische Sensibilität, um die Lichter der Partitur zum Strahlen zu bringen. Und er hat die dirigistische Souveränität, die vom Publikum erzwungene Generalpause elegant für den Übergang in die folgende Szene zu nutzen.

Donizetti hat die Geschichte um Roberto Devereux in einer Tragedia lirica mit inniger, gefühlvoller und gleichzeitig auch mit hochdramatischer Emphase komponiert. Das Libretto von Salvatore Cammarano komprimiert das Geschehen auf eine Ablauffrist von zwei Tagen.

Diese Dramatik der Partitur sucht man bis zum Ende des zweiten Aktes in der Inszenierung von Christof Loy vergeblich. Wenig Bewegung, viel statisches Stehen und deklamierende Posen der Solisten. Einzig die Choreografie und die gesanglich gestaltende Differenzierung des Chors überzeugen. Die Bühne von Herbert Murauer, die den Charme eines schäbigen Vorzimmers hat, das die beste Zeit schon lange hinter sich hat, wird von einem Service-Blaumann durch das Hoch- und Herunterlassen von Fensterrollos beleuchtet oder verdunkelt, ohne das eine dramaturgische Schlüssigkeit erkennbar wird.

Erst im dritten Akt, als alles schon klar ist, findet Loys Inszenierung in eindrucksvollen Bildern eine narrative Dramatik. Dass Donizettis Oper ein Spiel mit Vieren ist – und nicht nur das von Elisabetta – erreicht seinen theatralisch retardierenden Höhepunkt mit Robertos schmerzvoller, vergeblich hoffender Arie A te diro, negli ultimi singhiozzi. Alexey Dolgovs Tenor klirrt und schwirrt in klangschöner Verzweiflung. Eine überzeugende Rollengestaltung, die schon davor mehrmals von Szenenapplaus unterbrochen wird.

Der Dritte im Bunde, der, ausgelöst durch Saras blauen, Schicksal spielenden Schal den alttestamentarischen Rachegott anruft und damit sich selbst in den Abgrund reißt, ist der Herzog von Nottingham. Einst Freund und Vertrauter von Roberto Devereux, der auf den gerechten Gott des neuen Testaments vertraut, fühlt sich jetzt von ihm hintergangen. Franco Vasallos Bariton schimmert facettenreich. Anfangs hoffnungsvoll, brüderlich, später blutrünstig bis brutal bebend. Vasallo ist, vom Publikum mit von großer Sympathie getragenen Szenenapplaus honoriert, mit seinem geschmeidigen, wohlklingenden Bariton eine ideale Besetzung dieser widersprüchlichen Rolle.

Auf Veronica Simeoni konnte man besonders gespannt sein, da sie als Sara zurzeit gemeinsam mit Editha Gruberova in der Wiederaufnahme der Inszenierung von Giancarlo del Monaco von 1997 in Zürich auf der Bühne steht. Simeonis Mezzosopran hat wie ein guter Wein ein volles Aroma. Warm und voll im Klang, ausdrucksstark im Spiel.

Zusammen mit Editha Gruberova auf der Bühne zu stehen, ist immer auch ein Wagnis. In München ist es das weder für Dolgov noch für Vasallo; auch nicht für Simeoni. Es ist vor allem eine wunderbare Gelegenheit, Sopran und Mezzosopran im Hörvergleich zu erleben. Es ist bemerkenswert, wie Gruberovas Sopran nach wie vor mädchenhaft frisch klingt und wie ihre Klanggestaltung unnachahmlich akzentuiert ist. Simeonis Mezzosopran kontrastiert ausdrucksstark eheliche Abhängigkeit und verunmöglichte Liebeserfüllung eindrucksvoll. Gruberovas voluminös unendlicher Sopran zeichnet die Grenzen einer anderen, einer Abhängigkeit von politischen Machtstrukturen nach. Beide zusammen bilden sie gesanglich eine überragende Schicksalsgemeinschaft.

Am Ende unbeschreiblicher Jubel, ein Blumenstrauß aus dem ersten Rang fällt Editha Gruberova vor die Füße. München verneigt sich vor einer Diva des Koloraturgesangs gleichermaßen wie vor einem herausragenden Solisten-Ensemble und einem flexibel gestaltenden Chor. Extrabeifall auch für Friedrich Haider und ein spielfreudiges  Bayerisches Staatsorchester.

Nach L’Elisir d‘Amore am Vorabend vollenden sich mit Roberto Devereux die zweitägigen Donizetti-Festtage in München mit Bravour.

Peter E. Rytz

 

Fotos: Wilfried Hösl