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Fakten zur Aufführung 

L'ELISIR D'AMORE
(Gaetano Donizetti)
10. April 2015
(Premiere am 1. Dezember 2009)

Bayerische Staatsoper München


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Liebestrank im Modus Error 404

Wer wünschte sich nicht auch manchmal einen Zaubertrank, der sofort und direkt hilft, wenn anderes nicht mehr geht. Heute, wo mit Wellness und Entspannung eine anspruchsvolle Körper-Seele-Rundum-Versorgung suggeriert wird, lebt diese Hoffnung stärker denn je. Auf den Opernbühnen wird seit 1832 die Wirkmächtigkeit eines solchen Elixiers mit Gaetano Donizettis L’Elisir d‘Amore in Form eines Melodramma Giocoso überprüft.

Die Inszenierung von David Bösch in München ist ein poetisches Plädoyer für einen Glauben, der Berge versetzen kann. Ohne dem helfen, wie man aus eigener Erfahrung häufig weiß, auch alle Medikamente nicht wirklich. Verlässt man sich technikgläubig allein auf den Selbstlauf eines Heilungsprozesses, verpasst man letztlich die Chance, verrückt zu werden. Verrückt aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit. Das Verrückte als ein poetisch Hoffnungsvolles folgt keinen logischen oder kognitiven Erklärungsmustern. Es passiert einfach. Bösch erzählt in der Bühne von Patrick Bannwart und in den Kostümen von Falko Herold davon.

Bevor der Vorhang sich öffnet, ist auf ihm eine comic-artige Zeichnung zu sehen. Über diese an ein Ufo erinnernde Kugel mit ameisenhaften Beinen in krakeligen Lettern: L’Elisir d’Amore. Mit der Ouvertüre schweben Luftballons in den Theaterhimmel. Die Bühne, eine staubige Landschaft, die im Irgendwo an Wim Wenders amerikanische Unwirtlichkeit in seinem Film Paris, Texas erinnert. Der Chor der Bayerischen Staatsoper – vorzüglich von Stellario Fagone disponiert – beschreibt mit dem ersten Einsatz das Problem: „…die feurige Glut der Liebe können weder Schatten noch Strom lindern.“

Nemorino wandelt anfangs als autistischer Film-Wiedergänger durch die schattenlose Ödnis. Ein Telegrafenmast sowie eine Telefonbox, eingemüllt von Benzinkanistern verstärken den Eindruck eines Unortes. Unfähig seine Liebe zu Adina überzeugend auszudrücken, resigniert er. Er lässt seine Hoffnungen fahren und die Luftballons wie Seifenblasenillusionen zerplatzen. Staub rieselt, zieht als Wolke ins Parkett. Alle, bis in den 5.Rang hinauf sind ab sofort Teil einer Bedarfsgemeinschaft, die auf einen Zauber hoffen darf. Später, wenn Dulcamara den Zaubertrank mischt und Nemorino ihn zerstäubt, wird das Olfaktorische ständiger Teil einer Gemeinschaft von Theater und Publikums-Wirklichkeit sein.

Matthew Polenzani ist als Nemorino ein Glücksfall. Nicht nur als Tenor, der zwischen ausweglos scheinender Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit bis zum dramatischen Hilfeschrei wunderbar artikuliert. Er ist ein ebenso brillanter Schauspieler. Bösch lässt ihm, wie auch den anderen Solisten keine Pause. Sie spielen auch dann, wenn sie nicht singen. Der Schweiß perlt sichtbar auf der Haut.

Polenzanis Rolleninterpretation ist eine umfassende. Eine die, wie selten auf der Bühne zu erleben, Gesang und Spiel mit Verve zusammenbringt. Nach seiner Romanze im zweiten Akt Una furtiva lagrima gab es beim Publikum kein Halten mehr. War der Szenenapplaus bis dahin bei den vorausgegangenen Arien und Duetten schon überschwänglich begeistert, wollte er fast kein Ende nehmen.

Polenzani ragt aus einem insgesamt überzeugenden Solisten-Ensemble noch heraus. Mit Beginn des zweiten Aktes hantiert er mit offensichtlichen Selbstmordabsichten vor dem Vorhang. Das Publikum seufzt und stöhnt: Bitte, nicht! Von da an hat er endgültig die Sympathie der Opernbesucher auf seiner Seite. Ihm gehörte am Ende der besondere Jubel des Publikums zu Recht.

Derweil spielt Adina ihr eigenes Spiel mit den Gefühlen, von dem sie selbst nicht wirklich zu wissen scheint, warum und weshalb sie sie so spielt. Sich überlegen gegenüber Nemorino gebend, ist sie auf der anderen Seite traurig und einsam. Ihre Zustimmung zum Heiratsantrag des Soldaten Belcore ist Teil ihres Spiels. In diesen Szenen ist sie sowohl der traurige Clown wie Gelsomina in Fellinis Film La Strada, als auch Uma Thurman in Kill Bill. Laune und Widerstand, Phantasie und Wirklichkeit vermischen sich in Adina.

Adina hat in Ailyn Pérez eine Interpretin, die dem changierend Zögerlichen und Unentschlossenen der Figur eine authentische Lebendigkeit gibt. Letztlich ist es Adina, die den Zaubertrank mit ihrem Gesicht und ihren Augen entillusioniert. Ihr silbriger Koloratursopran kann auch selbstbewusst beherrscht Adinas Wandel eine leuchtende Stimmigkeit geben: „La ricetta é il mio visino, in quest’occhi é l’esir.“

In dieser konfliktreichen Situation taucht der Magier Dulcamara marktschreierisch mit seinem Jahrmarkts-Ufo auf. Bestückt mit einem Heuwender, ist es in der Lage, alles umzuwenden. Hoffnungen zu beleben,  Sehnsüchte zu befriedigen. Krachend, puffend vernebelt es mit seinem Zaubertrank. Das Versprechen einer Illusion. Eine, die, wie sich eben immer wieder beweist, hilfreich sein kann. Wenn sie denn tatkräftig umgemünzt wird.

Ambrogio Maestri spielt den Heilung versprechenden Dulcamara in der Buffo-Anmutung des Falstaffs als geschickter Kaufmann wie auch dann noch als Sieger, als er der Scharlatanerie des Zaubertranks überführt ist. Sein Bass hat die kraftvolle Stärke eines Überzeugungstäters als Kaufmann wie die umschmeichelnde Koketterie eines verkannten Liebhabers. Gesang und Spiel sind voneinander nicht zu trennen. Eine wunderbare Charakterstudie.

In dem Libretto von Felice Romani nach Eugéne Scribe hat der Korporal Belcore eine narrative Brückenfunktion, die das Geheimnis des Zaubertranks zu entschlüsseln hilft. Mario Cassi als Anführer eines operettenhaft bunt zusammen gewürfelten Soldatenhaufens spielt Belcore als soldatischen Einfaltspinsel, der glaubt, militärisches Handlungsgeschick nach dem Motto, beeindrucken, zupacken, gewinnen, funktioniere auch in der Liebe. Mit seinem baritonal gefärbten Bass gelingen ihm schöne Details.

Bösch lässt die Giannetta fast durchgängig auf der Bühne als Unschuld vom Lande, als die kaum Beachtete, die Unscheinbare mit Schulranzen und großen Augen spielen. Einmal in ihrem Leben, vielleicht zum einzigen Mal, bekommt sie ihre Chance, Mittelpunkt eines irgendwie gearteten Interesses zu sein. Sie weiß als erste von der reichen Erbschaft Nemorinos. Das Zaubertrank-Zentrum wird durch ihre Erzählung verschoben. Fortan ist Nemorino mit und ohne Zaubertrank-Flacon-Duft der Umschwärmte. Polenzani zeigt in dieser Szene Bein und Figur mit umwerfend komischer Spielfreude.

Evgeniya Sotnikova singt mit lyrischem Sopran nach der langen, alleinigen Spielpräsenz, sozusagen von jetzt auf gleich, im Gestus der Überraschungsgewinnerin.

Donizettis Oper braucht herausragende Solisten und einen temperiert temperamentvoll singenden Chor. Böschs Inszenierung lebt von lustvoll spielenden Sängern. Beides kommt in dieser Aufführung auf das Allerbeste zusammen. Diese Inszenierung ist ein Geniestreich mit Langzeitwirkung. Das aufblinkende „Error 404“, ein Signal, aufzupassen, wann game over ist, unterstreicht und durchstreicht zugleich.

Asher Fish am Pult des Bayerischen Staatsorchesters hat die Tempi, einschließlich der inszenatorisch gesetzten Generalpausen, und die naturlyrischen Aspekte der Partitur souverän im Griff. Als er zum Schlussapplaus mit auf der Bühne steht, ist es, als könne man sich Fish nur als einen strahlenden Maestro vorstellen.

Peter E. Rytz

Fotos: Wilfried Hösl