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Fakten zur Aufführung 

OTELLO
(Giuseppe Verdi)
7. Juni 2014
(Premiere)

Theater Hagen

Points of Honor                      

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Zu laut in die Zeitlosigkeit

Das Hagener Publikum ist in seiner Treue unschlagbar. Es ist der Samstag vor dem Pfingstfest. 29 Grad im Schatten locken zu Grillfesten, obwohl es eher schwül als warm ist. Kreislaufwetter nennen ältere Herrschaften so etwas. Bleibt deshalb irgendjemand der Premiere von Otello fern? Nicht in Hagen. Das Haus ist nahezu ausverkauft.

Gerade mal drei Wochen ist es her, dass in der Kölner Oper eine Stockholmer Übernahmeproduktion des Otello zu sehen war. Jetzt wartet das Theater Hagen mit einer eigenen Produktion auf. Der Vergleich beider Aufführungen wäre sicher der von Äpfeln mit Birnen. Würde man ihn – spaßeshalber – trotzdem wagen, fiele er in etwa unentschieden aus. Das ist deshalb ärgerlich, weil Hagen gute Chancen hätte, Stockholm zu überflügeln, diese aber nicht nutzt.

Das zentrale Thema der Verdi-Oper ist die Eifersucht. Auch Annette Wolf, die die Inszenierung in Hagen verantwortet, vermag das Thema nicht in die Gegenwart zu übersetzen. Stattdessen präsentiert sie ein zeitloses Stück. Wobei zeitlos nicht zwingend klassisch bedeutet, sondern durchaus auch beliebig. Wolf zeigt weniger inhaltliche Auseinandersetzung als eine Vielzahl kleiner Regie-Einfälle, die die Geschichte lebhaft erzählen sollen. Das ist wenig und mitunter kritisch. Wenn der Chor zur Begrüßung des venezianischen Gesandten Fähnlein schwenkt, hat das einen unangenehmen Beigeschmack. Die Pistolen-Fuchteleien Otellos helfen dem Thema ebenso wenig. Jan Bammes, bewährter Kostüm- und Bühnenbildner für Aufführungen aller Art, lässt sich von der Oberflächlichkeit anstecken. Neben Klischees wie herumstehenden Soldaten in neutralschwarzer Uniform mit Maschinenpistolen ist das Kleid der Desdemona eine absolute Zumutung. Zumal es die Figur der Sängerin ebenso wenig wie der spätere Morgenmantel schmeichelhaft erscheinen lässt. Das Kostüm des Otello schwelgt in Klischees, wenn er im bodenlangen Mantel mit asiatischem Einschlag herumläuft. Die Mütze im Tigerlook im letzten Akt mag die Krone des abberufenen Herrschers assoziieren, wirkt aber überflüssig, wenn nicht lächerlich.

Bei der Bühne sind in dieser Spielzeit Turmkonstruktionen angesagt. So gibt es einen Aussichtsturm, von dem aus der Sturm beobachtet wird, eine Freitreppe und eine Galerie, auf der ein Teil des Chors Platz findet. Gelegenheit für eine Überraschung bietet bei Otello immer der vierte Akt. Bammes und Wolf entwickeln hier eine eher skurrile Szenerie, bei der ein sargähnliches Bett, also eigentlich eine Kiste, von einer Schuhsammlung umfasst wird. Kein gemütlicher Ort, um zu sterben. Ulrich Schneider schafft immer wieder stimmige und spannende Lichteffekte im Kleinen, ohne die Handlung zu beeinflussen.

Wesentlichen Anteil an der Handlung hat allerdings an diesem Abend Florian Ludwig, der am Pult des Philharmonischen Orchesters Hagen steht. Was Ludwig abliefert, hat wenig mit dem Glanz Verdis zu tun. Wuchtig und laut geht es zu im Graben. Dass sich auf der Bühne Sängerinnen und Sänger um so etwas wie Nuancen, Stimmungen oder Emotionen bemühen, geht am Dirigenten vollkommen vorbei.

Das hat Konsequenzen. Ricardo Tamura, der den Otello zwar weitgehend für sich alleine spielt, singt aber immerhin überzeugend, bis er kurz vor der Pause gegen den Lärm aus dem Graben nicht mehr ankommt. Ihm bricht die Stimme weg. Und die Pause reicht nicht für eine Erholung. Im zweiten Teil hat er mehrere Einbrüche in den Piani und schafft die großen Auftritte nur noch mit Anstrengung. Ehrenhaft, dass er durchhält, aber vollkommen überflüssig. Auch Veronika Haller, der überdies das Einfühlungsvermögen für das italienische Fach zu fehlen scheint, gelingt es als Desdemona nur selten, sich verständlich gegen das Orchester durchzusetzen. Raymond Ayers singt den Jago angenehm und verlässt sich auf die Wirkung der Worte, um das Böse anzudeuten. Ausstrahlung: Fehlanzeige. In der Rolle des Cassio gefällt sich Kejia Xiong als Zuspieler, ohne ein eigenes Profil zu entwickeln. Stimmlich ist er, ebenso wie die übrigen Solisten, wenn sie denn zu hören und zu verstehen sind, in guter Form.

Wollen die Chöre sich behaupten – und sie tragen ja zur Faszination einer Verdi-Oper bei, bemühen sich also – müssen sie gegen das Orchester ein gewaltiges Volumen aufbringen. Das gelingt. Opern- und Extrachor unter der Leitung von Wolfgang Müller-Salow und Kinder- und Jugendchor in der Einstudierung von Caroline Piffka sind schwer damit beschäftigt, die richtigen Aufstellungen zu finden, ohne hörbare Fehler im Gesang zu produzieren. Auch das gelingt.

Die Treue des Hagener Publikums wird möglicherweise in die Theatergeschichte eingehen. Und so ist der Applaus lebhaft, ohne zu übertreiben. Nach dem vierten Vorhang erhebt sich das Auditorium. Und ist nach dem sechsten Vorhang froh, das Theater verlassen zu können. Annette Wolf und ihr Team, aber vor allem auch Ludwig kommen glimpflich davon. In Italien hätten sie ihm diesen Verdi so nicht durchgehen lassen.

Michael S. Zerban







Fotos: Klaus Lefebvre