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Fakten zur Aufführung 

DIE SPINNEN, DIE RÖMER
(Stephen Sondheim)
18. Oktober 2014
(Premiere)

Theater Hagen

Points of Honor                      

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Irrungen und Wirrungen im alten Rom

Hagen scheint sich zu einer äußerst fruchtbaren Pflegestätte der Musicals von Stephen Sondheim zu entwickeln. Nach erfolgreichen Produktionen von Sweeney Todd und Into the Woods steht jetzt Sondheims erstes Erfolgsstück auf dem Programm des Theaters, das in der überregionalen Wahrnehmung immer im Schatten der großen Ruhrgebiets-Häuser steht. Und das völlig zu Unrecht, wie nicht nur die jüngste Premiere von Sondheims Klassiker mit dem umständlichen Titel A Funny Thing Happened on the Way to the Forum beweist, das in der deutschen Übersetzung unter dem blödsinnigen und irreführenden Namen Die spinnen, die Römer kursiert. Nur noch unterboten von dem deutschen Titel der berühmten Verfilmung Toll trieben es die alten Römer.

Intendant Norbert Hilchenbach hat seit Jahren mit existenzbedrohenden finanziellen Engpässen und Sparmaßnahmen zu kämpfen und zu leben und versteht es mit bewundernswertem Geschick, dem Haus ein substanzreiches Ensemble und Repertoire zu erhalten. Dass das Theater in der Premiere nur zu drei Viertel gefüllt war, haben weder das Haus noch die Produktion verdient, die fast drei Stunden anhaltende Kurzweil bietet.

Trotz des unglücklichen Titels hat Sondheims Burleske nichts mit Asterix und seinen gallischen Freunden zu tun. Hervorgewachsen ist es aus originalen altrömischen Quellen, zusammengebraut aus verschiedenen derb-drastischen Komödien des antiken Dichters Plautus. Dem Sklaven Pseudolus wird von dem wohlhabenden Bürgersohn Hero die Freiheit versprochen, wenn er ihn mit der schönen Philia zusammenbringt, die aber von dem Mädchenhändler Lycus bereits an den Hauptmann Gloriosus verkauft wurde. Der schlitzohrige Pseudolus setzt alles daran, den Wunsch seines Herrn zu erfüllen und zettelt ein Chaos an Verwechslungen an, das auch schon Shakespeare zur „Komödie der Irrungen“ angeregt hat. Geschickt arbeitet Sondheim skurrile Figuren aus verschiedenen Stücken des Plautus ein und treibt die Irritationen auf die Spitze. Regisseurin Annette Wolf, die in Hagen bereits mit vorzüglichen Rossini-Inszenierungen und zuletzt mit einem mehr als achtbaren Otello hervorgetreten ist, nimmt die Vorlage an, verdrängt alle möglichen gesellschaftskritischen Vorbehalte und setzt sie mit überdrehtem Tempo, viel Witz und wenig Scheu vor Klischees schrill und deftig um. Wenn sich die Soldaten des aufgeblasenen Hauptmanns Gloriosus zu dämlich anstellen und die Eunuchen des Mädchenhändlers Lycus zu tuntenhaft auftreten, berührt das zwar zeitweilig die Grenze zur Klamotte. Aber die eiserne Konsequenz, mit der sie den komödiantischen Gehalt des Stücks ausspielt, mit Klischees spielt und die Virtuosität, mit der sie die verwirrenden Fäden zieht und später entflechtet, beeindruckt und bereitet nahezu uneingeschränktes Vergnügen.

Eine grelle, knallige Comic-Welt verbreiten auch die kunterbunten Zwischenvorhänge, Dekorationen und Kostüme von Lena Brexendorff. Darin kann sich die Regisseurin auf ein Ensemble von ungewöhnlicher Spielfreude verlassen, dem man auch den gröbsten Griff in die Klamottenkiste verzeiht. Rainer Zaun als quicklebendiger Pseudolus führt die Riege an, ergänzt durch Richard van Gemert als hintergründig schüchterner „Chefsklave“ Hysterium. Kein Aussetzer trübt die Besetzung. Ob Rolf A. Schneider als schmieriger Mädchenhändler Lycus, Tillmann Schnieders als zarter Liebhaber Hero, Kenneth Mattice als aufgeblasener Hauptmann Gloriosus, Maria Klier als dumm-niedliche Philia oder Christoph Scheeben als ehemüder Schürzenjäger Senex und Marilyn Bennett als dessen eifersüchtige Frau Domina: Jede Figur erhält ein liebevoll maßgeschneidertes Profil und jeder spielt seinen Part mit Haut und Haaren aus. Und gesungen wird auch noch auf gutem bis hohem Niveau. Der Bayreuth-erfahrene Rainer Zaun wirkt schon wie eine Luxusbesetzung. Und da auch Steffen Müller-Gabriel mit dem Philharmonischen Orchester Hagen nichts an Schwung vermissen lässt, ist der Unterhaltungswert garantiert.

Es gab schon sensiblere Musical-Produktionen am Theater Hagen zu sehen. Aber Annette Wolfs Konzeption „Augen auf und durch“ hat sich für dieses Stück bewährt.

Begeisterter Beifall im leider längst nicht ausverkauften Theater Hagen.

Pedro Obiera







Fotos: Klaus Lefebvre