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Fakten zur Aufführung 

JENUFA
(Leoš Janáček)
24. Mai 2014
(Premiere)

Aalto-Theater Essen


Points of Honor                      

Musik

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Rustikal und erdverbunden

15 Jahre hat sie auf dem Buckel, Robert Carsens Inszenierung von Leoš Janáčeks erstem Welterfolg Jenufa. Angesichts der Qualität, die er in Gent und Antwerpen auf die Bühne brachte, spricht nichts gegen eine Wiederverwertung im Essener Aalto-Theater. Die Praxis hinterlässt allerdings einen schalen Nachgeschmack, wenn sich der Regisseur nur noch als Stichwortgeber versteht und sich ganz aus der Produktion zurückzieht. Das war in Köln mit einem Otello „nach einer Idee von Johannes Schaaf“ so und ist in Essen mit der „Szenischen Einstudierung“ durch Maria Lamont nicht anders. Nicht einmal zu den Premieren sind die Meisterregisseure erschienen. Ob das der richtige Weg in eine wirtschaftlich und künstlerisch gleichermaßen vertretbare Zukunft des Musiktheaters ist, verdient ein dickes Fragezeichen.

Ohne den mehr oder weniger begabten Assistent(inn)en, denen das Heft überlassen wird, nahetreten zu wollen: Detailgenauigkeit, die spezifische persönliche Handschrift und der letzte Schliff einer Inszenierung „aus erster Hand“ sind unter solchen Umständen kaum noch gewährleistet. Das ist in der Essener Jenufa nicht anders. So bestach Carsens profilierte Führung der Choristen in Belgien durch die detaillierte Präzision, mit der die Sänger als individualisierte Dorfgemeinschaft im ersten Akt der Außenseiterin Jenufa auf die Pelle rückten. Sei es aus Empörung über die freigeistige, selbstbewusste Dame oder als begehrenswerte Beute verklemmter Junggesellen. In Essen tritt der Chor erheblich pauschaler als anonyme Masse in Erscheinung. Vor allem darauf bedacht, die Bühnenversatzstücke besonders sorgfältig zu Mauern, Begrenzungen und Bauernhausstuben zusammenzustecken oder zu demontieren.

Auch die Charakterisierung der Jenufa fällt eindimensionaler aus. Faszinierte sie in Gent und Antwerpen durch ihre Mischung aus ländlicher Unschuld, emanzipiertem Selbstbewusstsein und unfreiwillig erotischem Reizobjekt, stellt sie sich in Essen als nettes Mädchen vom Lande dar, mit dem es das Schicksal nicht gut meint. Richtige Größe erfährt die Figur nur im Schmerz der unglücklichen Mutter und in der Versöhnungsgeste gegenüber der Mörderin ihres Kindes. Doch gerade dazu schrieb Janáček eine so überwältigend eindringliche Musik, dass es keiner besonderen szenischen Nachhilfe durch den Regisseur oder die Sängerin bedarf.

Es spricht für die Qualität des Regie-Konzepts, dass trotz solcher Einschränkungen eine Inszenierung zustande gekommen ist, die, nach einem matten ersten Akt, so prickelnd unter die Haut geht, wie man es von dem genialen Werk erwarten darf. Dabei verzichtet Carsen auf jeden aktualisierenden Anflug und belässt die Handlung in ihrem schlichten dörflichen Umfeld. Die Verbundenheit mit der Scholle wird durch eine mit Muttererde ausgelegte Bühnenschräge unterstrichen, die Bühnenbildner Patrick Kinmonth durch ein einfaches, aus diversen Bühnenelementen bestehendes Stecksystem in Gartenlandschaften und Wohnstuben verwandelt. Darunter stechen etliche vergitterte Elemente hervor, zwischen denen die Figuren wie eingekerkerte Seelen zappeln. Eine ebenso einfache wie überzeugende Lösung.

Schwachpunkt der Produktion ist der erste Akt. Auch musikalisch geht es da zumindest in der Premiere noch reichlich zäh zu, was sich, nicht zuletzt dank der psychologisch verfeinerten Musik Janáčeks, in den Folgeakten ändern soll. Da findet auch Generalmusikdirektor Tomáš Netopil einen glücklichen Zugang zu den schillernden Farben der Partitur, in die die psychischen Fieberkurven zwischen warmer Menschlichkeit und eiskalter Brutalität getaucht werden. Die innere Spannung des Dirigats beflügelt auch das vorzügliche Ensemble, in dem die recht jung wirkende Küsterin von Katrin Kapplusch mit der differenziertesten Leistung begeistern kann. Die bisher vor allem in kleinen Provinzbühnen hervorgetretene Sängerin befindet sich auf der Höhe ihrer stimmlichen Möglichkeiten. Trotz expressiver Intensität bewahrt sie die Gesangslinien und bewältigt die dramatischen Exzesse ohne ungewollte Schärfen. Die Widersprüche dieser komplexen Figur zwischen tiefer Religiosität und emotionaler Kälte, zwischen Mutterliebe und panischer Angst vor der gesellschaftlichen Schande, die sie letztlich zur Kindsmörderin mutieren lässt, stellt sie so überzeugend dar, dass sich auch im Zuschauer eine kaum zu bändigende Gefühlsmischung aus Mitleid und Abscheu einstellt.

Sandra Janušaitė präsentiert sich als Jenufa mit einem klaren, recht einfachen und dennoch anrührenden Rollenbild. Ein unglückliches Bauernmädchen, das sich in den Falschen verliebt, von ihm geschwängert und verlassen wird und Zuflucht bei seiner ungeliebten Stiefmutter sucht, die es gleichsam behütet und drangsaliert. Die aber auch zum letzten Mittel greift, um den Ruf der zerstörten Familie zu retten: nämlich zum Mord an der „Frucht der Schande“. In ihrer finalen Versöhnungsgeste zeigt die Sängerin menschliche Größe. Und die ganzen Tragödien, die dieses junge Leben durchleiden muss, füllt Sandra Janušaitė stimmlich mit ihrem runden, leuchtenden Sopran rollendeckend aus.

Zu den Stärken der Besetzung zählt auch der liebevolle Laca von Jeffrey Dowd, der brillantere tenorale Präsenz ausstrahlt als sein in den Höhen recht eingeschnürt klingender, moralisch schwacher Rivale Stewa von Alexey Sayapin.

Das sichtlich angetane Essener Publikum reagiert begeistert. An der Problematik der Übernahmepraktiken älterer, wenn auch guter Regiekonzepte durch Hilfskräfte ändert das freilich nichts.

Pedro Obiera

Fotos: Bettina Stöß