Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

LANDPARTIE
(Johann Sebastian Bach)
20. September 2015
(Premiere)

Festival Alte Musik Knechtsteden


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

Schlendrian im Kloster

Sonntagnachmittag im September 2015. Kein Regen. Da ist eine Landpartie geradezu Pflicht. Allzu viele Gelegenheiten wird es in diesem Jahr wohl nicht mehr geben. Also auf zum Kloster Knechtsteden. Dort läuft derzeit das Alte-Musik-Festival. Zur besten Sonntagskaffeezeit ist eine Aufführung im Innenhof des Missionshauses angesetzt. Idyllischer geht es kaum. Vom Kreuzgang des Missionshauses geht es auf eine Rasenfläche, auf der Stuhlreihen aufgebaut sind. Davor eine kleine Bühne, auf der drei Sänger, sieben Musiker und ein Moderator knapp Platz finden. Rechter Hand ragt, wie für die Ewigkeit gebaut, die Basilika in den wolkenverhangenen Himmel, in der am Vorabend das Eröffnungskonzert des Festivals stattgefunden hat. Im Kreuzgang sind Buffets aufgebaut, an denen Kaffee und Kuchen, Wein und Laugenstangen gereicht werden.

Durchaus gewollt die Assoziation zum Kaffeegarten am Grimmaischen Steinweg in Leipzig, dem „Open-air-Bereich“ des Zimmermannschen Kaffeehauses, heute besser bekannt als Café Zimmermann, in dem das studentische Collegium Musicum – gegründet von Georg Philipp Telemann, von 1729 bis 1739 unter der Leitung von Johann Sebastian Bach – regelmäßig musizierte. Der charmante Begriff des Kaffeehauses führt dabei im heutigen Verständnis in die Irre – es sei denn, man denkt nicht so sehr an plüschgesäumte Cafés, in denen ältere Herrschaften sich „aber bitte mit Sahne“ an Kuchen und Kaffee erfreuen, sondern eher an Coffee Shops in den Niederlanden. Es ging also durchaus weltlich-rustikal zu. Hier führte Bach viele seiner Kantaten auf, darunter auch die Kaffeekantate, die Grundlage der Landpartie, die jetzt mit leichter Verspätung in Knechtsteden beginnt.

Die Musiker intonieren den Kaffee-Kanon von Carl Gottlieb Hering, als sie brüsk von einem auf die Bühne stürmenden Sänger in schwarzem Anzug aufgefordert werden, damit aufzuhören: „Schweigt stille, plaudert nicht!“ Das Cölner Barockorchester mit Justyna Niznik und Andreas Hempel an der Violine, Daniel Lind, der die Viola spielt, Leonard Bartussek am Cello und Kit Scotney am Kontrabass ebenso wie Christian Prader mit der Traversflöte und Bert Schmitz am Cembalo: Sie verstummen augenblicklich. Moderator Thomas Höft tritt an die Rampe, in der Hand eine Kaffeetasse, und berichtet von den Anfängen des Kaffees. Leitet schließlich über zur Bachschen Kaffeekantate. Der Erzähler in Gestalt von Tenor Lothar Blum übernimmt. Derweil gesellen sich Bass Georg Streuber und Sopranistin Verena Gropper hinzu. Er als Herr Schlendrian im Trainingsanzug, sie in kurzen Jeans über einer schwarzen Strumpfhose, mit T-Shirt und Jeanshemd als Lieschen. Der bekannte Dialog zwischen Vater und Tochter beginnt. Sie ist Kaffeeliebhaberin, er will sie vom rauschhaften Genuss abbringen. Unglücklicherweise dauert die Kaffeekantate gerade mal 27 Minuten. Zu wenig für eine Nachmittagsveranstaltung. Und so unterbricht Höft wiederholt die Kantate, kommentiert, erzählt Anekdoten und stellt immer wieder Zusammenhänge zwischen der Gesellschaft respektive dem Familienleben von damals und heute dar. Auch für ein kleines Gespräch mit Prader über die Traversflöte als Vorläuferin der Querflöte ist Zeit. Dann dürfen Sänger und Musiker in ihrer nahezu einwandfreien künstlerischen Leistung fortfahren.

Eine ungewöhnliche Form der Aufführung, gewiss. Höfts Anspruch, ein Konzert zu inszenieren, ist damit nicht so recht erfüllt. Und ob es ohne Höft als exzellentem Rhetoriker und Geschichtenerzähler funktioniert, sei dahingestellt. Etwas ermüdend auch der permanente Versuch, die aktuellen Bezüge Alter Musik herzustellen. Ist doch gar nicht nötig. Alte Musik steht durchaus für sich. Nichtsdestotrotz eine vergnügliche Veranstaltung für den Sonntagnachmittag, für eine Landpartie eben. Das war der Anspruch, und der ist erfüllt. Auch dann noch, wenn das Publikum zum Abschluss aufgefordert wird, den Heringschen Kanon gemeinsam zu singen.

Ein Vorschlag, für den sich die anwesende Zielgruppe begeistert. Und so hallt es im Hof vielfach wider: „Sei doch kein Muselman!“ Macht ja nichts, man ist ja nicht gezwungen mitzusingen. Schön klingt es für die Anwesenden auch.

Was letztlich neben dem offenkundig mehr als zufriedenen Publikum gefällt, ist, dass das Festival Neues mit mehr als 300 Jahre alter Musik ausprobiert. Dafür lohnt der Sonntagsausflug.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Martin Roos