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Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(Georges Bizet)
14. Juni 2008 (Premiere)

Staatstheater Saarbrücken


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Starke Frauenbilder

Inga Levants Carmen in Saarbrücken bürstet gegen den Strich, was das Zeug hält. Keine Konzession an Ibero-Folklore, Kochlöffel statt Castagnetten, Nuttenstiefel und hot pants, wo sonst kastillanische Rüschen rauschen. Dafür Comique en masse, wie von Bizet intendiert.

Aus dem heiteren Nichts eines kriminell unterwanderten Kleinmarkts, unter den milde wegsehenden Augen der korrupten Zöllner, organisieren sich nichtgenehmigte Kinderdemos, erst gegen die Tabakindustrie, dann - heiliges Sakrileg! - gegen den Stierkampf, den beiden sakrosankten Insignien spanischen Machotums. Als Vision schweben Pop-Art-Bilder von starken Frauen über allem, dieses Mal hält Lou Salome die Peitsche (in Form des ausgezogenen Ledergürtels) in der Hand, der effeminierte Alte vom Inn nur noch ein schwarzer Schatten seiner selbst und der männerdominierten Machtansprüche der Una Sancta.

Micaela heute Abend mal kein Dummchen vom Lande, im Dienst der Religion und ihrer den Frauen zugedachten submissiven Rolle, ganz im Gegenteil: Inga Levant zeichnet eine selbstbewusste, zielorientierte Frau, Tattoo eingeschlossen, die Don José strategisch und menschlich so überlegen ist, dass er es nicht einmal bemerkt. Carmen selbst prostituiert sich, um sich in keiner klassischen Beziehung einem Mann gegenüber (ökonomisch) prostituieren zu müssen. Der eigentliche Akt der Befreiung besteht in der Ungeheuerlichkeit der Verweigerung, womit Carmen dialektisch gesehen ihr Prostituiertendasein aufhebt (im Unterschied zu Mercedes und Frasquita) und zur Frau wird. In der klaustrophoben Situation eines Privatjets, Don José alleine ausgeliefert, kommt es zum auch dramaturgisch glaubwürdigen shoot out zwischen (gewährter und ersehnter) Frauenliebe und (angemaßter und genötigter) Männerliebe. Großes Entweder/Oder! Eine spannende, intellektuelle Inszenierung, die es schafft, nicht belehrend, sondern höchst unterhaltend, witzig und erotisch daher zu kommen.

Giuseppe Di Iorio gelingt ein anregendes Bühnenbild, das die Mehrdimensionalität des Lebens, die Vielschichtigkeit der Interaktionen widerspiegelt, mit viel Witz, feinem Spiel mit den Ebenen. Verschwenderisch vielgestaltig die Kostüme, die aus der Kreativabteilung Magali Gerberons auf die Bühne kommen. Hinreißend Carmens Edelnuttenausstattung, Schaftstiefel mit Schlangenimitat, weißes Pelzjäckchen, dazu die hot pants, die ihrem Namen alle Ehre machen. Ermöglicht durch die unglaublichen Beine der Musovic.

Das Orchester unter Leitung von Constantin Trinks lädt ein, auf eine große Gefühlstournee zu gehen; die Töne stehen flirrend im Raum, dass man die Hitze über dem Boden zu schweben sehen meint, um dann unwiderstehlich mit hinein zu nehmen in den dionysischen Rausch der Gefühle. Beeindruckend, wie das Saarländische Staatsorchester einen großen Opernabend zelebriert.

Natürlich steht und fällt jede Carmen mit der Carmen - und sie steht! Nach Herzog Blaubarts Burg in dieser Saison (Kritik hier) die nächste Glanzleistung von Dubravka Musovic. Ihre Stimme eine Offenbarung, expressiv, seelengestaltend, unverwechselbar in der Färbung. Ihr Schauspiel mit allen Facetten, eine exzellente Betreiberin von Charakterstudien. Jevgenij Taruntsov, eine Idealbesetzung für Don José. Jung und von blendendem Aussehen, verkörpert er schauspielerisch gewohnt souverän alle Nuancen des emotionalen Wechselbades. Stimmlich hörbar weiter entwickelt, kommt sein angeborener Belcanto immer mehr zum faszinierenden Ausdruck - wenn noch einige kleine Konditionsdefizite ausgeglichen werden, darf dem jungen Tenor eine große Zukunft prophezeit werden. Almas Svilpa gibt der Rolle des Escamillo stimmlich und mimisch Statur, wieder gelingt Levant eine idealtypische Besetzung, seine weite Stimme im Ausdruck äußerst differenziert.

Algirdas Drevinskas darf als angewärmter Le Remendado Stilübungen für den nächsten Käfig machen. Entzückend und mit jubilierenden Stimmen Elizabeth Willes als Mercedes und Judith Braun in der Rolle der Frasquita. Umjubelt für ihre Micaela Oxana Arkaeva, die ihre schöne Stimme ungewöhnlich gut interpretierend einzusetzen weiß. Auch die übrigen Protagonisten ansprechend und dem hohen Niveau des Ensembles angepasst: Rupprecht Braun (Le Dancaire), Stefan Röttig (Moralès) und Markus Jaursch (Zuniga). Am Hotdog-Wagen dauerpräsent Gaetano Franzese als Mafioso Lillas Pastia.

Das Publikum wagt kaum Zwischenapplaus. Zu sehr ist es hinein genommen in die Dramatik des Bühnengeschehens. Großer Schlussapplaus, Ovationen für das Orchester. Dutzende standings. Das Regieteam muss mit einigen wenigen Buhrufen leben, starke Frauen provozieren und stecken die Reaktion darauf souverän weg. Kunststück bei so vielen Bravos und Applaus.

Frank Herkommer

 




Fotos: Björn Hickmann