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Fakten zur Aufführung 

DAS LAND DES LÄCHELNS
(Franz Lehár)
29. November 2008 (Premiere)

Städtische Bühnen Münster


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Oper am Klavier

Da hat es die Städtischen Bühnen aber ganz kalt erwischt: der Premierenvorhang zu Franz Lehárs Land des Lächelns wollte sich heben – doch im Orchestergraben herrschte gähnende Leere! „Wir haben erst vor wenigen Minuten erfahren, dass unser Orchester heute Abend in den Streik tritt“, verkündete Intendant Wolfgang Quetes. Schon am Theatereingang hatten Streikposten tiefrote Zettel mit einer entsprechenden Stellungnahme verteilt, übrigens nicht nur in Münster. Auch in Leipzig, Dortmund und mehreren anderen Häusern schwiegen an diesem Wochenende die Instrumente, weil nach vierjährigen Verhandlungen noch immer keine Einigung im Streit der Tarifpartner erzielt werden konnte.

Im münsterschen Orchestergraben stand jedoch ein Klavier. Und daran saß: Daniel Lorenzo Rubio, der Star des Premierenabends. Der spielte dieses Klavier, nicht anders als sonst – nur unter völlig veränderten Bedingungen. Haben ihm schon mal 950 Leute zugehört, wenn er Oper begleitete? Wohl kaum. Rubio, erst seit kurzer Zeit am Hause engagiert, rettete diese Premiere. Ausgerechnet eine „romantische Operette“, in der man Herz und Schmerz und Sentiment dank seufzender Streicher etc. erwartet.

Aber von wegen verstaubt, von wegen kitschig oder total out! Quicklebendig kam Lehárs Kassenschlager daher. Helen Malkowsky, die innovative Oberspielleiterin am Theater Nürnberg (vor einem Jahr präsentierte sie in Bielefeld eine grandiose Luisa-Miller-Inszenierung, opernnetz-Besprechung hier), packte als Regisseurin den Stier mutig bei den Hörnern: China-Kitsch? Aber bitteschön! Comtesse Lisas Geburtstagsfest verlief – inmitten einer völkerkundlichen Ausstellung - offensichtlich genauso, wie das Wien des Fin-de-Siècle sich in seiner Begeisterung für alles Fernöstliche das Reich der Mitte vorstellte: Pappdrachen, Ping-Pong, Fächer, Masken und Porzellan. Bis zum komischen Höhepunkt, der gekonnten Verballhornung einer Teezeremonie unter Verwendung des praktischen Doppelkammerbeutels. Herrlich!

Das hier Kitsch zwar ausgestellt wurde, aber dennoch nichts im Kitsch versank, dafür sorgte neben der meisterhaften Regie auch Manfred Kaderk mit seiner strukturierten Bühne eines Salons mit Art déco-Tapete, der allen Chinoiserien widerstand. Kaderk war es auch, der den Gegensatz zum wirklichen China so eklatant zum Ausdruck brachte: das Kaiserreich als eine hermetische Welt aus rotem Lack, die Individualität ausschließt. Das verdeutlichten auch Marlis Knoblauchs uniforme, nüchterne Kostüme.

Hierhin, in diese eher klinische Gegend ist Lisa ihrem Geliebten Sou-Chong gefolgt und kann nicht glücklich werden. Malkowsky gelang vor dieser Kulisse ein kleines Wunder: die Liebe von Lisa und ihrem Traummann geriet nicht zu einer bittersüßen Romanze ohne Happy-End. Vielmehr offenbarte sich das Scheitern der Annäherung fremder Kulturen. Kluge Personenführung, wenige resignierende Gesten – so wurde das Ende jeden Multi-Kulti-Feelings auf der Bühne transparent.

Hörbar Spaß an der Sache hatte der prächtige Opernchor (Einstudierung: Donka Miteva). Mit Fritz Steinbacher als verliebtem Gustl und Henrike Jacob als Schwester des Prinzen gaben zwei frische, bewegliche Operettenstimmen sehr erfolgreich ihr Debut im Musiktheater-Ensemble. Kultivierten Gesang und ausdrucksstarke Bühnenpräsenz vereinte Annette Johansson in ihrer Rolle als Lisa. Andrea Shin, der angebetete Prinz, blieb hinter seinen Möglichkeiten ein wenig zurück, wenngleich er mit Strahlkraft ein hohes „Cis“ schmetterte. Über weite Strecken jedoch sang er erstaunlich verhalten und offenbarte Probleme mit der deutschen Sprache. Trotzdem: bei seinem „Immer nur lächeln“ schmolz das Publikum dahin.

Tosender Applaus im Großen Haus für Chor, Solisten und Klavier – und für Dirigent Thorsten Schmid-Kapfenburg, der die nächste Vorstellung hoffentlich mit voll besetztem Orchestergraben absolvieren kann.

Das Premierenpublikum reagierte auf den Orchesterstreik überwiegend mit großem Verständnis. Fünf Personen verließen das Parkett während der Erklärung von Wolfgang Quetes. Draußen vor dem Theatereingang gab es jemanden, der zur Pause ging und bei dieser Gelegenheit einem streikenden Musiker zurief, mit dieser Premiere am Klavier habe er unterstrichen, dass er im Grunde überflüssig sei und es offensichtlich auch ohne ihn ginge. Wer so redet, hat keine Ahnung von der Kunst.

Christoph Schulte im Walde