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Fakten zur Aufführung 

LOVE AND OTHER DEMONS
(Peter Eötvös)
6. Mai 2010
(Premiere: 29. April 2010)

Oper Köln


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„Allererste Sahne“

Die Musik von Peter Eötvös (live) zu hören ist immer ein Hochgenuss. Das ist auch jetzt in Köln nicht anders, wenn sich ein prominentes Orchester wie das Kölner Gürzenich Orchester unter der engagierten Leitung von Markus Stenz mit Verve in die Partitur wirft und ein gut und sehr gut besetztes Sängerensemble zu hören ist.

Peter Eötvös' Love and other demons entstand 2007 als Auftragswerk der BBC und des Glyndebourne Festivals. Es kam im August 2008 zu einer vielbeachteten Uraufführung. Die Kölner Oper übernahm diese Produktion für das erste Jahr der Intendanz von Uwe Eric Laufenberg in anderer Besetzung. Es ist nach Chemnitz Anfang 2009 (opernnetz-Besprechung siehe hier) bereits die zweite deutsche Produktion dieses noch so jungen Werkes. Love and other demons scheint damit die Erfolgsgeschichte derTri Sestri nach Tschechow fortzuschreiben, die seit der Uraufführung an der Lyoner Oper 1998 international eine Vielzahl von Aufführungszyklen, schätzungsweise knapp 20, erlebte - eine veritable Seltenheit in der Neue-Musik-Szene. Als nächstes übernimmt die Rheinoper Strasbourg – Mulhouse im September und Oktober 2010 die Love and other Demons-Produktion aus Glyndebourne als französische Erstaufführung in den Spielplan, mit dem Komponisten selbst am Dirigentenpult.

Der Grund des Erfolgs ist ganz einfach: Gute Literatur trifft auf gute Musik: Gabriel García Márquez später Roman Del amor y otros Demonios (Von der Liebe und anderen Dämonen, 1994) inspirierte Eötvös zu einer theaterwirksamen Musik von enormer Sogwirkung auf der Basis einer klar strukturierten Handlung. Sie ist organisiert nach dem herkömmlichen Muster von Exposition – Peripetie – Katastrophe; eine Struktur, die mit dem Libretto von Kornél Hamwai vielleicht etwas rabiat, aber trotzdem stringent, aus dem Roman extrahiert wurde. Doch was dem Libretto an Facettenreichtum fehlt, ist in der Musik gut aufgehoben: die emotionale Komplexität, das Kolorit der Szene, Stimmungen, Atmosphären, Ängste, Valeurs, raffiniert auch die komponierten Zeitbezüge. Wie bei den Drei Schwestern spaltet Eötvös den Orchesterapparat auf. Im Graben sitzen sich zwei Orchestergruppen gegenüber. Die Instrumente sind quasi gespiegelt, Grundlage für den aufgefächerten Klang und die flächige, spektrale Klanggestalt des Werkes. Es ist eine dichte, klangfarbenreiche, überwiegend kammermusikalisch gehaltene Musik, die den Hörer sofort gefangen nimmt. Ebenfalls analog zu den Drei Schwestern beginnt das Stück ganz leicht, fast beiläufig. Es ist eine musikalische Transformation des Namens der tragischen Heldin des Stücks, Sierva María de Todos los Ángeles, eine zwölfjährige Halbwaise, für Celesta. Die Handlung ist angesiedelt im multikulturellen, multireligiösen und multiethnischen Cartagena de Indias (Kolumbien) zur Zeit der spanischen Herrschaft im 18. Jahrhundert. Das vielsprachige, damit auch verschiedenrhythmische Gemisch findet sich in der Oper wieder. Grundsprache ist – die stilistische Inkonsequenz ist dem britischen Auftraggeber geschuldet – Englisch, die Sprache der herrschenden upper class. Yoruba, die Sprache der Sklaven, das Latein des katholischen Ritus und, als Zitat, Lyrik des Garcilaso de la Vega auf Spanisch brechen den Duktus des Englischen auf. Sierva María, als Waise von der schwarzen Dienerin Dominga zweisprachig und auch bi-religiös erzogen, wäre ein potentielles Bindeglied zwischen den Kulturen, wenn die Geschichte nicht so tragisch enden würde. Ihrem Vater, dem schon alten Marquis Don Ygnacio ist der heidnisch-religiöse Einfluss jedenfalls ein Dorn im Auge, andererseits ist die Beziehung zur Tochter sehr desinteressiert. Don Ygnacio brütet meist selbstbezogen über sich, beobachtet seinen körperlichen wie intellektuellen Verfall („ich verrotte“) und flüchtet sich in die Vergangenheit, als er noch mit der faszinierenden, nun aber verstorbenen Doña Olalla zusammenlebte. Hierzu gibt es einen wunderbar komponierten Monolog, wo die Phase des Rückblicks Don Ygnacios zugleich eine musikalische Zeitreise in die Vergangenheit ist, denn Doña Olalla ist im Roman eine Schülerin Domenico Scarlattis. Eötvös nutzt dies zu einem inspirierten Dialog zwischen musikalischer Gegenwart und Vergangenheit.

Kurz umrissen der Plot: Auf dem Sklavenmarkt von Cartagena wird Sierva María von einem vermeintlich tollwütigen Hund gebissen. In der Folge erscheint sie etwas exaltiert, wobei offen bleibt, ob es ihrer pubertierenden Entwicklung geschuldet ist oder ob die Tollwut auch von ihr Besitz ergriffen hat. Jedenfalls bekommt der Klerus davon Wind und gibt dem eine theologische Deutung: Sierva María sei von Dämonen besessen und der Bischof empfiehlt dem Vater, sie in ein Kloster zu geben. Der willigt ein und das Unglück nimmt seinen Lauf: Der vom Bischof mit der Dämonenaustreibung beauftragte Pater Delaura verliebt sich in das junge Mädchen. Sierva María erwidert diese Liebe, die Beziehung wird entdeckt, Delaura verstoßen und Sierva María vom Bischof selbst zu Tode exorziert.

Die Besetzung in Köln ist ganz vorzüglich: Anna Palimina gibt dem melisandesken Wesen der Sierva María eine eindrucksvolle wie rollenprägende Gestalt: Bewundernswert souverän, fast locker bewältigt sie die schwierige Partie in der dauernd sehr hohen Lage und mit zahllosen Koloraturen. Für den alten Don Ygnacio wurde René Kollo gewonnen. Kollo, die Rolle wurde von Eötvös für ihn adaptiert, gestaltet die kleine Szene recht abgeklärt, singt sie mit viel Wohllaut, obwohl sie auch ihn in hohe Lagen treibt. In Interviews gibt er sich denn auch als Fan des Komponisten und der Produktion zu erkennen: „das ist allererste Sahne.“ Miljenko Turk als Caetano Delaura brilliert im Dauerzwiespalt des verständnisvollen Paters und Geliebten.

Die weiteren Rollen sind sehr ausgeglichen besetzt: Jovita Vaskeviciute als Dominga, Vladimiras Prudnikovas als exorzierender Bischof, Dalia Schaechter als Äbtissin, John Heuzenröder als jüdischer Arzt Abrenuncio und, durch Bühnenpräsenz und Spielfreude herausragend, Adriana Bastidas Gamboa als Mörderin Martina Laborde.

Nicht ganz auf der Höhe der musikalischen Seite befindet sich die insgesamt etwas enttäuschende Inszenierung von Silviu Purcarete im Einheitsbühnenbild von Helmut Stürmer. Es ist eine professionell-routinierte, konventionelle Inszenierung, die den einfachen Handlungsablauf gut und funktionell nachzeichnet, was ja auch schon eine Leistung ist. Den differenzierten, tendenziell introvertierten Klangwelten der Musik, dem Beziehungsgeflecht der Personen, dem Kampf der Religionen oder dem so genannten „magischen Realismus“ García Márquez' lauscht und gewinnt sie jedoch keine Spezifika ab und auch den Personen als solche gibt sie keine Tiefe. Sie verharrt in abgegriffenen Opernkonventionen, wie man es unendlich oft gesehen hat in Stücken im katholischen Kontext. Auch Andu Dumitrescus Videoprojektionen sind da nicht hilfreich.

Komponieren, so Eötvös, bestehe für ihn in der Verzauberung der Zuhörer durch Klang: Vollständig verzauberte Zuhörer, viel Jubel und ganz große Zustimmung in der fast ausverkauften Kölner Oper.

Dirk Ufermann














 
Fotos: Paul Leclaire