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Fakten zur Aufführung 

JESSONDA
(Louis Spohr)
25. Oktober 2009 (Premiere)

Staatstheater Kassel


Points of Honor                      

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Spohr lebt!

Kassel war über lange Jahre die musikalische – und politische! – Heimat Louis Spohrs, des begnadeten Violinisten, Dirigenten, Komponisten, des ersten „Generalmusikdirektors“ überhaupt! Nach gelegentlichen Aufführungen seines Faust (u. a. in Bielefeld – gibt’s als CD) und des Alchymist in Braunschweig im letzten Frühjahr (opernnetz-Besprechung hier) präsentiert das Staatstheater Kassel zum „Spohr-Jahr“ seine Große Oper Jessonda (Spohr, geboren 1784 in Braunschweig, starb 1859 in Kassel), die 1823 in Kassel uraufgeführt wurde - und eine Initialzündung für eine Spohr-Renaissance sein kann.

Wie in anderen Spohr-Opern geht es um das Bestehen auf den humanen Prinzipien der Aufklärung zu Zeiten der militanten Restauration mit den ästhetisch-ironisierten Mitteln des Biedermeier. In Jessonda geht es um die Witwen-Verbrennung in Indien; ehemals verliebt in den Portugiesen Tristan D’Acunha, jetzt Witwe eines Radschas, soll nach Vorstellungen des Brahmanen Dandau ritual geopfert werden; doch der junge Brahmine Nadori opponiert, und verhindert nach Rückkehr des D’Acunha die tödliche Zeremonie – Happy End, „die Liebe siegt“, die Prinzipien der Aufklärung setzen sich durch. Spohr gelingt dies Plädoyer für Humanität in exotischem Szenario ohne Diffamierung fremder Kulturen – ein Geniestreich der Camouflage im feudalen Umfeld! Und: Auch Anno 2009 ein unwiderstehlicher Appell gegen die Ideologie des Clash of Civilizations!

In Kassel ist diese faszinierende Oper leider nur konzertant zu erleben, fokussiert aufs Musikalische des Ingenium Spohrs, und demonstriert den Erfindungsreichtum Spohrs mit seinen subversiven Verweisen. Patrik Ringborg hat das Staatsorchester Kassel auf die Doppelbödigkeit der Spohr-Musik intensiv eingestellt: Da wird die frühromantische Attitüde zum orchestralen Zauberwerk, subtile Streicher-Passagen wechseln mit Bläser-Eruptionen, lyrische Melodien werden von provozierenden Märschen abgelöst, intensiv begleiteter Solo-Gesang korrespondiert mit brausenden Chören – leitet immer wieder über in geradezu schwelgende Orchester-Tutti mit teuflisch schweren Einsätzen und differenzierenden Vorstellungen der Instrumentengruppen. Dies Feuerwerk inspirierter Musik findet im engagierten Einsatz von Dirigent und Musikern seine Erfüllung – die irritierenden Unsauberkeiten werden in diesem musikalischen Triumph zu vernachlässigenden Marginalien!

Mit Gabriele Fontana überzeugt eine stimmsichere Jessonda, ausdrucksstark in der flexiblen Mittellage, mit expressiven Höhen – im dramatischen Finale allerdings mit unschönen Schärfen, aber immer souverän im Ausdruck, mit sparsamer Gestik und Mimik die konzertante Aufführung emotional belebend. Mario Klein gibt einen stimmlich konsequenten Dandau, präsentiert einen durchsetzungsfähigen Bariton, hat allerdings bei allem Ausdruck Probleme mit der Textverständlichkeit. Jörg Dürmüller ist mit seinem belastungsfähigen Tenor ein überzeugender Nadori, stimmlich differenziert, mit hörbarem Verständnis für die so stilschaffende „Ironie“ der Spohrschen Intentionen. Wolfgang Newerlas Tristan d’Acunha wird mit prägnanter Stimmgebung zum nachhaltigen Vertreter menschlicher Konstanz. Nina Bernsteiner lässt eine einfühlsame Stimme als Jessondas Schwester Amazili hören, kommuniziert persuasiv, will der Jessonda geradezu emphatisch helfen, interpretiert mit agiler Stimme. Die „kleineren“ Rollen des Lopez und der Bajaderen und Braminen sind mit János Ocsovai, Ingrid Fröseth, Inna Kalinina, Jürgen Appel und Igor Durlovski eindrucksvoll kompetent besetzt.

Wechselndes Licht auf die Rückwand der Bühne schafft ein wenig optischen Effekt; (zu wenige) gestische Andeutungen vermitteln mit wechselnden Plätzen einen Hauch von szenischer Präsenz.

Das Kasseler Publikum folgt dem Geschehen sehr konzentriert, ist auf die konzertante Präsentation vorbereitet, erwartet offensichtlich auch keine Übertitel, feiert die brillante musikalische Performance - und fühlt sich offenbar mit der dokumentierten kulturellen Bedeutung Kassels in ihrem Selbstverständnis bestärkt. Hoffentlich hat das nachhaltige Wirkung! Und hoffentlich gibt es auch in Kassel endlich mal Inszenierung einer der so vielschichtigen Spohr-Opern!

Franz R. Stuke

 




 
Fotos: Dominik Ketz