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Fakten zur Aufführung 

DER ALCHYMIST
(Louis Spohr)
18. Juni 2009
(Premiere: 14. Mai 2009)

Staatstheater Braunschweig


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Romantik – fast eine Satire

Louis Spohr war ein einflussreicher „Musik-Macher“ des angehenden 19. Jahrhunderts, ein spektakulärer Geiger, ein fruchtbarer Kammermusik-Komponist – aber auch der Schöpfer von immerhin acht Opern: Vergessen trotz aller Einflüsse auf die nachfolgenden Wagner & Co. (allein seine Faust-Oper erlebte in Bielefeld eine grandiose Wiederbelebung, gefolgt von einer sehenswerten Produktion in Nordhausen – abgesehen von virtuosen Stücken als Bestandteil einfallsreicher Konzert-Dramaturgen). Im Windschatten des Händel- und Haydn-Jahres geht der 150. Todestag des kreativen Genius’ unter. Doch es gibt Hoffnung: In der Geburtsstadt Braunschweig und in der Stadt des Wirkens, Kassel, wird seiner sehr dezidiert gedacht!
Also Braunschweig.

Im musiktheatral durchaus mutigen Staatstheater Braunschweig steht Spohrs frappierend exzentrische Oper Der Alchymist von 1830 auf dem Programm – ein Stück über Wahrheitssuche im inquisitorischen Spanien, aber auch eine Klamotte im Mantel- und Degen-Kolportage-Stil. Als Regisseur greift Uwe Schwarz tief in die Kiste satirischer Möglichkeiten, verweist auf historische Vorbilder (wie Don Quijote), konfrontiert die Protagonisten mit skurrilen Situationen, forciert die immanente Komik des Sujets, spielt mit den Erwartungshaltungen des Publikums – lässt pfiffiger Weise die Akteure aus RHOSP-Containern (haha) auftauchen und belustigt sich am romantisch-biedermeierlichen Duktus der ohnehin schon subversiven Spohr-Vorlagen. Der Großinquisitor ist ein Kleinwüchsiger, der Seifenblasen ablässt; der martialische Ramiro stolpert über seine uralte Rüstung, auch der weise Philosoph wird zur komischen Figur: Destruktion der Mächtigen auf der ganzen Linie -- Angebote zu lustvoll-karikierendem Spiel an Chor und Solisten.

Dorit Lievenbrück stellt geschachtelte Container auf die Bühne, die sich öffnen und schließen und kommunikative Spielräume für die verfremdeten Akteure schaffen.

Musikalisch bleibt dem Staatsorchester Braunschweig unter dem sensibel leitenden Christian Fröhlich die undankbare Aufgabe, einer „Klamotte“ musikalische Substanz zu vermitteln. Da erklingt ein luzider Orchester-Sound, da werden nachhaltige Klang-Erfindungen Spohrs hörbar, die spätere Komponisten antizipieren, und in ihrem Reichtum von Harmonien, Melodien und innovativen Wendungen enorme Strahlkraft entwickelt.

Bernd Weikl demonstriert als scheiternder „Weiser“ seine animierende Stimmkraft, verleiht auch den langen Passagen melodiösen Sprechgesangs timbrierte Spannung. Moran Abouloff ist eine überzeugend kokette Inez, stimmlich variabel ohne Scheu vor den geforderten gesanglichen Herausforderungen. Susanna Pütters gibt der ausgebeuteten Paola einen ambivalenten Charakter zwischen Leid und Aggression – stimmlich variabel und ausdrucksstark. Den quichotesken Ramiro gibt Jan Zinkler mit viel Komik, krankheitshalber verbleibt sein Bariton im Zustand des Markierens. Dagegen entwickelt Jörg Dürmüller als emphatischer Alonzo ungemein kraftvolle tenorale Kraft, identifiziert sich mit der so stereotypen Rolle und nutzt die gebotenen Chancen zu bravourösem Gesang. Mike Garling gibt dem hinterhältigen Lopez überzeugenden Charakter und verleiht ihm spröden Ausdruck. Der Braunschweiger Opernchor agiert hoch motiviert und vermittelt die Spohrschen musikalischen Impulse mit differenzierendem Nachdruck.

Das Braunschweiger Publikum reagiert zunächst verblüfft ob der nicht erwarteten Ironie, braucht einige Zeit um sich in die ambivalente Darstellung einer gebrochenen Story einzufinden, goutiert offenbar den skurrilen „Humor“ und lässt sich von Optik, Musik und Gesang ein wenig aus der Reserve locken.

Vor der Tür demonstrieren die technischen Angestellten des Staatstheaters gegen Einkommens-Kürzungen – die Theater-Besucher reagieren reserviert. Dabei wäre doch eine Solidarisierung mit den Backstage-Akteuren angesagt – damit Gesellschaft nicht so wird, wie auf der Bühne karikiert. (frs)











Fotos: Staatstheater Braunschweig