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Fakten zur Aufführung 

FLAMMEN
(Erwin Schulhoff)
19. April 2008 (Premiere)

Pfalztheater Kaiserslautern


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Die Liebe und der Tod

Man sollte einen Trauerflor anlegen und sich eine Blume ans Revers stecken, bevor man im Pfalztheater den Don Giovanni-Stoff in der expressionistischen Version Erwin Schulhoffs einfach nur genießt. Hochliteratur von Max Brod (Vorlage Karel Josef Benes), ungehörte und unerhört ansprechende Musik, bestes deutsch-jüdisches Erbe in einer zutiefst beeindruckenden, in die Haltung sprachlosen Staunens verzaubernden Inszenierung von Urs Häberli. Der Flor für die Ahnung, was durch die Barbarei der entarteten Politik an kulturellem und damit Humanpotential verloren ging. Die Blume als Reverenz an die liebevoll, geistreich, mit feinem Strich umgesetzte, erstaunlich bruchlose Wiederanknüpfung in Kaiserslautern, die niemand versäumen sollte.

Urs Häberli (Dramaturgie: Andreas Bronkalla) gelingt es, die expressive Wucht und Andringlichkeit der existentiellen Topoi mit einer flirrenden Zartheit in der Behandlung des Triebhaften zu kombinieren. Niemand muss eine Blöße zeigen, niemand sich eine Blöße geben. Über und hinter allem ein Hauch von morbider Wehmut, Glöckchen gegen Ende, die das tua res agitur einläuten. Freuds Doppelbestimmung der Libido, Liebe und Tod, findet bei Max Brod ihren aufregenden literarischen Niederschlag und konsequente Umsetzung in Häberlis Inszenierung. Die Wahrheitsfrage wird in der Schwebe gehalten wie das Sofa Don Giovannis, korrespondierend mit Schulhoffs hoch differenzierter, mit den Formen und (Wagner-)Motiven spielenden, überraschend eingängigen Musik. Kein zweiter Plot, keine aufgesetzte weitere Geschichte, sondern detailverliebter Einsatz, behutsames Bergen des Angelegentlichen. Traumbilder von betörender Eindringlichkeit, etheologische Kunstfertigkeit, Lichteinfälle, die tiefe Seelenschichten freigeben. Brechtsche Verfremdung kommt ebenso zu ihrem Recht (wenn Don Giovanni das Handy abhebt und anschließend in direkten Kontakt mit dem Publikum tritt), wie eine bemerkenswerte Videoeinspielung während der Zwischenmusiken, „Sorry Guys“ von Chantal Michel, die das Grundthema der Beziehung zwischen den Geschlechtern mit Bildern bearbeitet, die an Edgar Allen Poe anknüpfen. Feinkörniger Humor, Knaben, die an einem lüstergleich aufgehängten überdimensionalen Weihwasserkessel ihre Schaukelübungen verrichten oder sich das expressionistische Blau der Stunde vom Körper duschen. Vorbildlich, wie ein Mal mehr junge Menschen über die Statisterie für Musiktheater begeistert werden.

Selten hat man in Kaiserslautern, das in dieser Hinsicht in den letzten Jahren ohnehin verwöhnt wurde, ein so zuträgliches, ausdrucksstarkes, ästhetisch anspruchsvolles und psychologisch ausgereiftes Bühnenbild gesehen. Thomas Dörfler arbeitet mit verstellbaren Kassettenwänden, mal hohl, mal Leichenschubfächer, die elegischen Lichteffekte (meisterhaft eingeblendet von Manfred Wilking) durch einen Gazevorhang verstärkt. Erst wenn die Illusion zerreißt, fällt dieser Schleier. Jeder Raum hat hohen Erkennungswert, um gleichzeitig Nischen und Auswege offen zu lassen, die jedem positivistischen Wahrheitsbegriff entgegen wirken. Glasscheiben, zunächst intransparent, die plötzlich einen Blick freigeben, dass die Wirklichkeit der Erscheinungen nicht die einzige sein muss.

Die Kostüme von Ursula Beutler märchenhaft schön. Klerus und Sexus, mit einem schwarzen Stofflappenkreuz auf dem Bikinioberteil der Tänzerinnen, La Morte im pelzbesäumten Umwurf. Anmut, und die Seele des Betrachters dafür als Resonanzboden, wenn Sängerinnen auf Cirque du soleil-Stelzen einstolzieren und in den Seilen hängende Statistinnen mit schwebenden Gewändern Unfassbarkeit erträumter Versöhnung von Eros und Agape symbolisieren. Ein Bild für die Schatzkammer der Seele.

Das Orchester des Pfalztheaters unter Leitung von GMD Uwe Sandner, dem die beiden Aufführungen „entarteter Musik“ am Pfalztheater zu verdanken sind (Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ siehe hier), leistet an diesem Abend Sensationelles. Die ganze Vielfalt, zwischen Solo für ein Blasinstrument, über an Filmmusik grenzende Melodien, bis hin zu fast noch romantischen Passagen und Wagnerschen Motivüberführungen kommt zum Ausdruck, fein differenziert gespielt, klangvoll, expressiv wie lyrisch, magisch, bezwingend.

Die Sänger: Douglas Nasrawi als Don Juan unglaublich präsent, ausdrucksstark und stimmschön. Er meistert die äußerst anspruchsvolle Partie, erweist sich als glaubhafte Idealbesetzung. Die begeisternde Anna Maria Dur in der Rolle La Morte gibt dem Tod anrührende Fragilität, Verletzlichkeit und eine tief kultivierte, technisch perfekte, von hoher Ausstrahlung gezeichnete Stimme. Silvia Hablowetz gastiert erstmals in Kaiserslautern und rechtfertigt ihr Engagement in der dreifachen Rolle als Frau/Nonne/Donna Anna. Schauspielerisch erotisch und überzeugend, die ihre klangschöne Stimme wie ein Instrument beherrscht. Adelheid Fink gibt mit ihrem ausgereiften Sopran wunderbar der Margarethe unverwechselbaren Charakter, Alexis Wagner ein souveräner, wohltönender, sonorer Komthur. Daniel Böhm gibt selbst einer kleinen Rolle wie der des Harlekin ein unverwechselbares Gepräge mit seinem Belcanto-Bariton. Die unterschiedlichen Klangfarben ergänzen sich ideal in der Besetzung der Sechs Frauenschatten: Arlette Meißner, Elena Laborenz, Anette Yasmin Glaser, Katrin Sander, Dominique Engler und Elena Gerasimova.

Das Ballett unter Leitung von Stefano Gianetti setzt den expressionistischen Ansatz um in Bilder, die der Lebensfreude wie den Seelenschlachten starken, ästhetisch anspruchsvollen Ausdruck verleihen.

Das Publikum: Wer da war (leider einige leere Stühle), war begeistert. Enthusiastisches Lob. Die Mund-zu-Mund-Propaganda läuft. Und das ist gut so. Im Vestibül wird eine sehenswerte Foyerausstellung von Bühnenbildner Markus Wegmann eröffnet, Bilder, die der Phantasie ebenso Raum geben wie die Schulhoff-Oper oben auf der Bühne.

Frank Herkommer

 






Fotos: Pfalztheater Kaiserslautern