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Fakten zur Aufführung 

ChristO
(Vanden Plas)
24. Januar 2010 (Premiere)

Pfalztheater Kaiserslautern


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Heimspiel

Die dritte Rockoper in der Musikgeschichte hat anderthalb Jahre nach der Uraufführung den Weg ins Stammland von Vanden Plas und Leadsinger Andy Kuntz gefunden: Am Pfalztheater Kaiserslautern inszeniert Urs Häberli ChristO (sprich: Christ Zero), das bereits am Staatstheater am Gärtnerplatz in München Triumphe feierte (opernnetz-Kritik hier). Der Schweizer bringt den kunstvoll verfremdeten Alexandre Dumas-Stoff auf eine Weise auf die Bühne, die das Verstehen erheblich vereinfacht, ohne jede Tendenz zur Simplifizierung. Dantès, der rachsüchtige Gegenentwurf zur Haltung der Vergebung, von Autor Andy Kuntz auf archaische Atavismen reduziert, hat in Inspektor X (wie Christus) nicht mehr ein samsonmähniges Double, das schüttere Haar des alter ego erspart dem Zuschauer erhebliche Anstrengungen. Das tertium comparationis besteht in der Kleidung, rote Handschuhe dienen als Symbole der Schuld, wobei auch die Abspaltungen und Gewissensträger (Inspektor X und Faria) ihre Hände nicht in Unschuld waschen können. Häberli gibt (unterstützt von Dramaturg Axel Gade) der Geschichte nicht nur mehr Stringenz, er verleiht ihr auch Poesie und Anmut, entwirft bezaubernde Bilder, die das Geschehen transzendieren, die Deutung in der Schwebe halten, dem angelegten Dualismus die äußerste Schärfe nehmen. Seine Glättungen nehmen das Glatte, das jedem aut/aut anhaftet. Das Wilde und Anarchische der Münchner Aufführung wird abgelöst durch die Konzentration auf feine Psychogramme, große Metaphorik, die in den Liedertexten ihr Analogon hat, und Einladungen zu Assoziationen am laufenden Band. Dazu ein Ende, das Mut zur Velleität zeigt. Danse macabre statt Sado-Maso-Exzessen, einer der Höhepunkte in der phantasievollen und subtilen Lautrer Inszenierung. Das Ballett des Pfalztheaters (Choreographie Stefano Gianetti) bietet Tanztheater, mit Ausdruckstanz vom Feinsten, allegorische Einsprengsel, die sich nie aufdrängen und genau damit an Suggestivkraft gewinnen. Beide Regieansätze können sich auf die weit gespannte Musik berufen, von exzessivem deutschen Prog Metal bis zu lyrischen Balladen. Zwei gelungene neue Songs, die für diese Inszenierung generiert wurden, weisen eher in die Häberli- Richtung.

Die Kostüme (Marcel Zaba) führen in die Dumas-Zeit, futuristische Materialien in Gegenwart und Zukunft. Zaba spielt gekonnt mit Ironisierungen (der Charity-Ball mit den Bambusrocknegerchen), Allegorisierungen (der Goldregentanz zwischen Bond und Jedermann) und Mantel- und Degenromantik.

Der Friedhof der toten Schiffe wird im konkludenten Bühnenbild von Anna Kirschstein dargestellt durch einen düsteren Containerhafen. Jeder der aufgetürmten Container für sich zeigt die Brüche, Verstellungen, Vielschichtigkeit, Mehrdimensionalität der Geschichte(n) wie in den Seelen. Ein Stahlvorhang, schon sind wir im Chatêau d'If. Das gesamte Bühnenarrangement klug und regiedienlich. Als „B- und C- Bühnenbildner“ arbeiten Manfred Wilking mit seinen magischen Lichtspielen und der international weit gefragte Karl-Heinz Christmann mit seinen seelenflutenden Meeres-Video-Einspielungen.

Die Vanden Plas-Band allein im Graben - mit einer perfekten Performance. Andreas Lill ( Drums), Stephan Lill (Guitars), Torsten Reichert (Bass) und Günter Werno (Keyboards, Klavier, musikalische Leitung) geben den Rockfans, was ihr Herz begehrt: von schreiend bis schmeichelnd, von soft bis hart, Prog Metal auf international höchstem Niveau.

Ulrich Nolte hat den Extra-Chor des Pfalztheaters längst zu einem Chor der Extraklasse entwickelt. Dass sich die B-Besetzung für Albert Mondego mit Manuel Lothschütz aus seinen Reihen rekrutiert, diene als Beleg. Auch an diesem Abend große Spiel- und Singfreude, genaue Einsätze, große Harmonie und ansprechende Klangschönheit.

Die Protagonisten: Genius loci Andy Kuntz in der Rolle des Edmont Dantès/ChristO. Eine wahnsinnige Rockstimme, die jeden Genre-Interessierten unwiderstehlich in den Bann schlägt. Expressiv, unglaublich hoch, ein Naturtalent. Schauspielerisch gereift, in den Sprechpassagen professionell, als Sänger überwältigend. Selbst als Duellant überzeugend. Mit Ulrich Wewelsiep in der Rolle des Inspektor X hat er den idealen Counterpart. Gewollt bieder im Äußeren, dafür um so wilder als Rocksänger. Idealbesetzung! Mercédes wird von Astrid Vosberg anrührend und glaubhaft gespielt, mit ihrer facettenreichen, erotischen, ungeheuer präsenten Stimme gibt sie der Figur Glanz und Statur. Villefort, der Herr der Spinnen, wird von Randy Diamond souverän, rockig und fetzig auf die Bühne gebracht. Romeo und Julia vom Lande spielen Julian David und Nadine Eisenhardt so überzeugend als Albert Mondego und die schwangere Valentine Villefort, dass man mit ihnen leidet, bangt und hofft. Julian David mit seiner einfühlsamen, jubelnden Belcanto- Musicalstimme wird seinen Weg machen. Ansprechend auch die Akzente setzende Stimme der Eisenhardt. Mit dem Schweizer Peter Nüesch konnte für die Rolle des Faria ein Schauspieler der Extraklasse an Theater-Bord geholt werden, der nicht nur Oper, sondern sogar Rock singen kann. Hinter Roger Eric als Danglars versteckt sich kein geringerer als Regisseur Roger Boggasch. Servilität, Opportunismus und taktisches Verhältnis zur Wahrheit, Boggasch spielt gekonnt auf der Klaviatur der Kanaille und singt zudem noch Rock, als sei er noch nie in einer anderer Sparte aufgetreten. In den weiteren Rollen Stephan Hugo als kurzlebiger Fernand Mondego, Anna Port als Mme. Danglars und Double für Mercédes sowie Holger Schindler und Sven Baqué als Double Edmonds.
Standing ovations von über 90 % der Theaterbesucher, erstaunlich viele (ältere) Premierenabonnenten, die begeistert mitgehen, drei Zugaben, 20 Minuten Applaus. Heimspiel eben.

Frank Herkommer

 







Fotos: Pfalztheater Kaiserslautern