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Fakten zur Aufführung 

ChristO
(Vandenplas)
11. April 2008 (Uraufführung)

München, Gärtnerplatz


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Vergeltung oder Vergebung

I have a dream - Uli Peters erfüllte ihn sich und gab der international renommierten Prog-Metal-Band Vandenplas aus Kaiserslautern den Auftrag, die dritte Rockoper in der Musikgeschichte für den Gärtnerplatz München zu produzieren. Nach Jesus Christ Superstar und Thommy nun Chist0 und absolut die Klasse, nicht nur in München zum Kultstück zu avancieren. Mit dieser Produktion spielt deutscher Prog Metal in der Weltliga.

Angelehnt an die Form des Singspiels, dröhnt, drumt und rockt es mitreißend in den Heiligen Hallen. Die Geschichte bedient sich der Vorlage Dumas', setzt ein mit dem Grafen auf Strafexpedition, um ein perspektivisch verändertes Handlungsgeflecht zu erstellen, Psychogramme zu entwickeln, Metaebenen zu konstruieren, ethische Konflikte in Abspaltungen sichtbar zu machen und die Frage von Vergeltung oder Vergebung ins Zentrum zu stellen. Das Vergeltungsthema wird mit der Drogenproblematik gekonnt erweitert auf die grundsätzliche Frage der Verfügbarkeit des Lebens, in deren Bejahung sich der Reorganisator der Weltordnung mit ihren Schändern berührt. Der Plot erschließt sich vom Ende her, der Spannungsbogen wird bis zuletzt aufrecht erhalten. Die Zwischentexte erzählen jeweils den weiteren Verlauf der Geschichte, statt sie zu darzustellen, was der Gesamtlänge zu gute kommt.

Holger Hauer spielt seine Stärken und Professionalität bei den epischen Texten aus, die Entscheidung, in deutsch zu sprechen, erweist sich als hilfreich beim Verstehen einer komplexen Handlung. Andy Kuntz wuchert bei den Liedtexten mit dem Pfund einer unglaublich starken Metaphorik, mächtigen Sprachbildern, Wortneuschöpfungen, unerwarteten Adjektiva, Poesie und Expressivität, die an Schöpfungen des Expressionismus und des Dadaismus erinnern - auf englisch. Die Handlung und die Musik sind selbsttragend, darum wünschte man der stringenten Regie (Holger Hauer) den Mut, auf die mitlaufende deutsche Liedtextübersetzung zu verzichten und stattdessen die englischen Texte zu visualisieren. Wer einmal im Radio Rockhits in Übersetzung gehört hat, weiß wie viel Poesie und Tiefe durch die Übersetzung ins Deutsche verloren geht. Wahre Rockfans sprechen eh’ nur eine Sprache.

Das Bühnenbild (mal Palast, mal gestrandetes Wrack, die zwei Möglichkeiten des Dantès) bietet Anschauung für Freudsche Symbolik: Leben in Schieflage und auf der Kippe, Kastrationsängste, wenn das Loch im Schiff mit Zähnen bewehrt ist, orphisches Rad und kafkaeske Türenvielfalt, Scheintüren und verschlossene Räume, in denen das Unbewusste lauert. Eingebaut eine Hütte wie Hieronymus' Gehäus. Geländer und Abgründigkeiten. Christoph Weyers zeichnet für dieses ansprechende und vereinnahmende Bühnenbild ebenso verantwortlich wie für die Kostüme, die in einer Grellheit und Fantasiefülle der psychedelischen, dadaistischen und expressionistischen Grundstimmung vorzüglich Rechnung tragen.

Die Musik, geschrieben von drei der fünf Vandenplas-Mitglieder, Günter Werno, Stephan Lill und Andy Kuntz spannt den ganzen Bogen, der Prog Metal umfasst: Von einfühlsamen Balladen über Orff-nahe Chorpassagen, Anspielungen an Choräle bis hin zum harten fetzigen Rock, ganz nahe am Black Metal alles, was das junge und junggebliebene Herz begehrt. Fantastische Musik, fantastische Performance. Man power, als rockten zwanzig im Graben.

Andy Kuntz dreieinhalb geteilt: Doppeltexter, Komponist und eine Wahnsinnsstimme. Kein bekannter Rocksänger beherrscht derzeit solche atemberaubenden Höhen wie er. Eine Megastimme und eine unglaublich präsente Darstellung. Chris Murray, international zu Recht gefeierter Musicalstar, spielt und singt den Inspektor X: Auch er wäre alleine schon das Eintrittsgeld wert. Agnes Hilpert überzeugt als verstörte Mercedes, Philippe Ducloux stimmlich wie spielerisch beeindruckend als androgyner Blaubart in der Rolle des Villefort. Mutig dargestellt seine Salò-Spiele. Sven Fliege gibt dem jungen Albert Mondego Statur und ansprechende Stimme. Milica Jovanovic in der Rolle der Valentine Villefort trotz Punker-Outfit liebreizend, mit absoluter Musicalstimme, sie wird an diesem Abend von ihren anwesenden Dozenten besonders bejubelt, denn ihr Auftritt stellt zugleich Teil ihrer bestandenen Prüfung dar, unter den Lehrern die auch von Andy Kuntz ganz begeisterte Kathrin Ackermann, Mutter von Maria Furtwängler im Tatort wie im wahren Leben. Als Danglars stark Thomas Peters, Dirk Lohr füllt die Rolle des Faria schauspielend aus und darf sogar einmal durchaus gekonnt singen. Holger Hauer als Fernand Mondego das überzeugende alter ego zu Christ0, mit schöner Stimme.

Die Chöre singen Rock nach bester Manier, fabelhaft einstudiert von Holger Krause.

Die Besetzung der Band Vandenplas: Günter Werno an den Keyboards, Stephan Lill Gitarre, Thorsten Reichert Bass und Andy Lill Drums.

Zugegeben, die Kaiserslauterer Fans waren scharenweise mit Bussen zur Premiere angefahren. Seit den guten Tagen des 1. FCK hat man nicht mehr so viele glückliche Pfälzer in München gesehen. Der Saal tobte, raste, war außer Rand und Band vor Begeisterung. Beileibe nicht nur junge Fans und schon gar nicht nur die Pfälzer. Bayern zeigt, was ihr drauf habt, wenn die ehemalige Kolonie euch keine Publikumsunterstützung gibt. Aber Rockfans haben’s bekanntlich überall drauf!

Hier gibt’s Extra-Punkte:

Komposition:

Frank Herkommer

 






Fotos: Ida Zenna