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Fakten zur Aufführung 

DER REVISOR
(Werner Egk)
20. Juni 2010
(Premiere: 16. Mai 2010)

Stadttheater Gießen


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Angst vor dem (falschen) Revisor

Gießens Musiktheater macht es sich seit Jahren zur Aufgabe, immer wieder Ausgrabungen zu präsentieren und Vergessenes auf die Bretter zu bringen. In dieser Spielzeit inszeniert Intendantin Cathérine Miville Werner Egks Der Revisor – eine Oper nach Nikolai W. Gogols gleichnamiger Provinzposse. Da warten eine ganze Reihe Kleinstadthonoratioren auf die Ankunft eines ominösen Revisors aus Moskau. Gefahr im Verzug also, denn was könnte nicht alles Unangenehmes ans Tageslicht kommen, würde dieser Revisor mal genauer revisieren! Angst macht sich breit. Eben erst ist ein Unbekannter zusammen mit seinem Diener im Gasthof abgestiegen. Das muss er sein, der Revisor! Ist er aber nicht: die Kleinbürger halten den abgebrannten, soeben in diesem namenlosen Flecken gestrandeten Spieler Chlestakow fälschlicherweise für just diesen Moskauer Beamten. Der kommt rasch in den Genuss üppiger Bestechungsgelder und macht sich mit denen aus dem Staub, bevor der echte Revisor anreist. Eine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert? Ja, aber beileibe nicht nur!

Lukas Noll stellt das terrassenförmig ausgelegte Modell einer Stadt auf die Bühne. Das kann als Verhandlungstisch im Rathaus genauso benutzt werden wie als Tafel für ein Saufgelage – ein absolut stimmiges Ambiente. Ob da Gießen als Silhouette Pate gestanden haben mag? Einige dezente, ins Libretto eingefügte Andeutungen legen das durchaus nahe. Miville macht aus Egks Oper ein gleißendes, quicklebendiges Stück, dass einem vor lauter Bewegung schwindelig werden kann. Es herrscht pausenlose Aktion auf der Bühne – da tummeln sich unablässig agierende reiche Bürger, ein eher langsamer Richter und ein Postmeister, der kein Briefgeheimnis kennt, sondern ständig fremde E-Mails liest.

Immer wieder gelingen Miville schöne, witzige Bilder. Herrlich anzuschauen ist, wenn Chlestakow Frau und Tochter des Bürgermeisters beglückt - und beide ihn einvernehmlich teilen wollen!

Eine tolle Figur macht auch das Electric Dance Theatre, vier kalkweiß geschminkte und gewandete Herren, deren doch sehr heutige Breakdance-Bewegungen sich erstaunlich harmonisch der Musik Egks aus den 50er-Jahren anpassen. Das hatte was!

Klar wird an diesem Abend allerdings auch , warum Der Revisor genau dieses temporeichen, packenden Zugriffs Mivilles bedurfte, um dem Publikum einen spannenden Opernabend zu bescheren. Egks Musik allein vermag denn doch nicht den Weg zu öffnen auf die Bühnen der Musiktheater. Dazu ist sie zu sehr der Zeit ihrer Entstehung verhaftet, in die Jahre gekommen, ja vielleicht auch ein Stück zu akademisch und bei aller Farbigkeit denn doch mit einem angegrauten Firnis belegt. Auch im Libretto finden sich „Bremsen“ – immer dort, wo Textpassagen unnötig häufig in die wiederholende Endlosschleife geschickt werden. Das hemmt deutlich den Fluss der Handlung.

Gleichwohl: Herbert Gietzen und dem wunderbar aufgelegten Philharmonischen Orchester Gießen gelingt es, auch der schönen, feinen Ironie der Partitur nachzuspüren: kommentierend, konterkarierend, auch mit einem Schuss russischer Folklore – aber sparsam dosiert!

Gesungen wird gut, ja sehr gut. Herausragend ganz zweifellos Stephan Bootz als Ossip – ein Talent allererster Klasse, das da seit dieser Spielzeit in Gießens Operncrew heranwächst. Ein voller, frischer, junger, Bass mit nobler Ausstrahlung, schauspielerisch rundum überzeugend. Stephan Bootz wird in wenigen Jahren an größeren, wenn nicht großen Häusern singen. Dan Chamandy als Chlestakow spielt Sekunde für Sekunde genau kalkulierend, lässt seinen Tenor allerdings schlichtweg zu laut trompeten im Hinblick auf den zu füllenden Raum des Stadttheaters. Peter Paul, Martina Borst und Carla Maffioletti als „Familie Stadthauptmann“ sind herrlich dumme Kleinbürger, die übrigen Solisten füllen die ihnen zugewiesenen Typen ganz ausgezeichnet aus.

Dass erstaunlich viele Zuschauer bereits zur Pause das Theater verließen, liegt - so darf, so muss man vermuten - sicher nicht an dieser ausgeklügelt-hinreißenden Inszenierung, vielmehr an der Konkurrenz: dem Fußball in Südafrika.

Christoph Schulte im Walde

P.S.: Gogols Revisor hat zuletzt Giselher Klebe veropert, die Uraufführung kam im April 2008 in Detmold heraus (opernnetz-Besprechung hier).

 











Fotos: Rolf K. Wegst