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Fakten zur Aufführung 

NIEUWZWART
(Wim Vandekeybus /Ultima Vez)
5. September 2009
(Premiere: 3. Mai 2009, Barcelona, Mercat de les flors, Deutsche EA 3. September 2009)

PACT Zollverein, Essen
RuhrTriennale


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NieuwZwart. Die 'Creation 2009' von Ultima Vez auf Pact Zollverein

Was Neu-Schwarz ist, lässt sich auch nach der Performance nicht so genau festlegen. Sicher ist: es ist laut, es ist kraftvoll, es ist ungeheuer energiegeladen; keinesfalls aber die Negativfarbe der Depression. Es grundiert die Beziehungen, vielleicht als energetisches, kreatives, kollektives Unbewusstes. Wie dem auch sei: Aus dem Schwarz des Anfangs entsteht auch das Stück. Man hört ein raschelndes Sich-Bewegen, das an Laub und Wald erinnert. Doch wenn es dann heller wird, sieht man, dass die Bewegung in einer goldschimmernden bühnengroßen Folie entsteht, ein Material, das normalerweise für Rettungsdecken Verwendung findet. Die sieben Tänzer/innen von Ultima Vez bewegen sich wie gerade zur Welt gekommen: zuerst nackt und unsicher in der unwirtlichen Umgebung; ein „Urmoment“ im Sinne der Deckerschen Triennale-Dramaturgie, vielleicht ein neuer Anfang der Menschwerdung nach einem apokalyptischen Geschehen. Ungelenk und noch nicht in der Aufrichtung versucht sich das Ensemble in der Bewegung. Angetrieben werden die sieben Tänzer/innen - Tanja Marín Friðjónsdóttir, Dawid Lorenc, Bénédicte Mottart, Olivier Mathieu, Máté Mészáros, Ulrike Reinbott, Imre Vass - von den wuchtig donnernden punkigen heartbeats der drei Bühnenmusiker: Mauro Pawlowski, Elko Blijweert, Jeroen Stevens. Die Musiker sind positioniert auf einem hängenden, schwankendem Podium links hinten erhöht über der Szene. Im weiteren Verlauf der Sequenzen gewinnen die Tänzer an Sicherheit und Zivilisation. Nacktheit wird zuerst mit fellartiger Kleidung bewältigt, dann wird’s immer schicker und zeitgenössischer. Der Tanz ist - wie immer bei Arbeiten des flämischen Choreographen Wim Vandekeybus und trotz eines komplett ausgewechselten, viel jüngeren Ensembles – atemberaubend: schnell, virtuos, hart und aggressiv, auch mit einer deutlichen Tendenz zum Nicht-Schönen. Die Tänzerinnen und Tänzer agieren geschlechts- und beziehungslos, weitgehend uniform und nicht-individuell. Sie rennen permanent gegeneinander an, drängen sich weg, nehmen keine positive oder freundschaftliche Beziehung auf. Die dritte Komponente neben Musik und Tanz ist der Text von Peter Verhelst, einem flämischen Lyriker. Kylie Walters, eine Konstante im Team von Vandekeybus, verkörpert ihn an diesem Abend - NieuwZwart gibt es in einer weiblichen und einer männlichen Variante, je nachdem, wer den Text interpretiert, den männlichen Part übernimmt alternierend der ebenfalls aus Australien stammende Gavin Webber. Walters agiert weitgehend ohne Bindung an das Tanzensemble. Der nervös oft gehetzt vorgetragene kryptisch-lyrische Text ist nur teilweise verständlich, oft geht er in Aktion und Musik unter - Vandekeybus inszeniert ihn bewusst auch akustisch am Rande der Verständlichkeit und verzichtet konsequent auf eine Übertitelung. Kylie Walters berichtet von einer Wanderung durch die Natur, die zugleich ein weg zum Selbst und von ihm weg ist und auf der sie auch dem neuen Schwarz begegnet: „Bin durch Wälder gewatet die Hände vor mich gestreckt aus voller Brust von Kopf bis Fuß mich an den Haaren aus mir selbst gezogen...“ Das Stück endet mit einer Evokation der 'Ewigen Wiederkehr des Gleichen': nach einem großen Crash erscheint erneut die „Urmoment“-Szene des Anfangs für eine neue Wiedergeburt, für einen neuen Lebens- und Sterbenszyklus.
NieuwZwart ist ein kaum entschüsselbares Ritual, ein nicht rational erfassbarer abstrakter Zustand, eine dichte, untrennbare Fusion aus Tanz, Musik, Performance, Literatur und Licht, die den Zuschauer einerseits auf Distanz hält, da er sich vergeblich an der 'Bedeutung' abarbeitet, andererseits aber mit der unmittelbaren Wucht und Intensität der Performance überwältigt. Eine großartige Erfahrung, die sich jedem dauerhaft ins Gedächtnis einbrennt, der ihm beigewohnt hat. Wie beim Gastspiel der letzten Ultima Vez Produktion – Menske (opernnetz-Besprechung hier) - bei der letztjährigen RuhrTriennale: Einhelliger und großer enthusiastischer Jubel am Ende!!

Dirk Ufermann

 






 
Fotos: Pieter-Jan De Pue