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Fakten zur Aufführung 

MENSKE
(Wim Vendekeybus - Ultima Vez)
12. Dezember 2008
(Uraufführung:
November 2007, Brüssel;
Deutsche Erstaufführung: 2. Oktober 2008)

PACT Zollverein/Ruhr-Triennale


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Der kleine Mensch

Menske ist ein Stück in (Handlungs-)Fragmenten. Was sich durchhält ist nicht eine Story, es sind die zehn Charaktere von Ultima Vez. Das internationale Ensemble besteht aus zehn Tänzern und Tänzerinnen aus acht Ländern. Menske, der kleine Mensch, ist das Stück betitelt, weil der Mensch aktuell in einer größeren mentalen, psychischen und intellektuellen Unsicherheit lebt als jemals zuvor. Nach dem Ende der großen Geschichten, der festen Bedeutungen und Ordnungen ist er mehr denn je auf sich selbst, auf das Ich in seinem Körper verwiesen. Wie sich das auf Haltung und Ausdruck, auf körperliche Aktion und Reaktion auswirkt, welches Tempo sich daraus ergibt, zeigt als Zeitanalyse und Zeitausdruck der Choreograph Wim Vandekeybus in der Performance Menske, uraufgeführt im November 2007 in Brüssels KVS.

Die zehn Tänzer/innen sind keine heutigen Helden mit einem festen Konzept oder einem Handlungsrepertoire, aus denen sich „Größe“ entwickeln könnte, sondern geworfen in eine bindungslose Zeit, irgendwas ist gebrochen, hat sie irritiert und verstört. Die Individuen, obwohl in permanenter Aktion und Interaktion stellen daher auch kein kohärentes Kollektiv dar, nicht einmal ein festes Paarverhältnis gibt es. Die Beziehungen, die Beziehungsordnungen bestehen nur einseitig oder versuchsweise, meistens bleibt es offen, ob Liebe oder Hass das beziehungstragende Moment ist. Sie bilden eine Gruppe, doch ist jeder auf dem Egotrip, die Verhältnisse sind kühl. Dargestellt werden Fragmente des Persönlichen und des Geschäftlichen, individuelle Kämpfe und kollektive Schlachten.

Elena Fokina etwa verfolgt den Sprayer Valéry Wolf, der seine Botschaften an die Bühnenwände schreibt, ohne dass sich jemand groß dafür interessieren würde. Sie werden übermalt, ausgelöscht und von Wolf immer wieder erneuert. Ein anderer Tänzer zieht in den Kampf, wild zieht der Schlachtennebel auf. Doch auch hier gerät er bald desorientiert ins Abseits. Kyli Walters verkauft den imaginären Lebenstraum eines profitträchtigen Investmentparadieses (das Stück entstand vor dem Crash). Ein anderer hängt einer verlorenen Beziehung zu einem Freund an. Angetrieben von Anhänglichkeit und offenbar zugleich auch schlechtem Gewissen lebt er nur von und mit der Vergangenheit, die temporär sinnvoll gelebt war. Sie liefert den Sinn und die Bestimmung für das Heute, dem er sich nicht aussetzen mag, obwohl an seinem Schreibtisch, an dem er meistens sitzt, oftmals heftig gerüttelt wird. Gesprochene Dialogfragmente und innere Monologe, geschrieben von den Beteiligten selbst, geben Einblicke in die jeweilige Verfasstheit. Die Veranstaltung ist international global: Man hört Französisch und Englisch und erkennt gefährdete, beschädigte, hilflose Persönlichkeiten, die wir alle sind und in diesen Zeiten gefährdeter denn je. Das Stück endet erschreckend in apokalyptischer Aggressivität in einer auch technisch virtuosen Szene, in der ausgestreckte Beine oder quergestreckte Körper heftiges Maschinengewehrfeuer aussenden. Der Mensch als des Menschen Wolf.

Der Abend steht von Anfang an unter emotionaler und psychischer Hochspannung. Ein die trostlose Bühne dominierender Strommast ist Symbol, Symptom und Menetekel der ganzen Veranstaltung. Extrem schnell ausgeführte Bewegungen, präzise, präsent, oft akrobatisch, kraftvoll und energisch, dazu der harte Soundtrack des belgischen Komponisten Daan mit Reminiszensen an den nihilistischen Punk der 80er Jahre. Einhelliger, großer Jubel am Ende!

Dirk Ufermann