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Fakten zur Aufführung 

DIE HERZOGIN VON CHICAGO
(Emmerich Kálmán)
13. März 2005 (Premiere)

Theater der Bundesstadt Bonn

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Lebendige Operette

 

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„Armer Prinz, armer Prinz, tust mir Leid…“

Wenn es eine Operette gibt, die in den letzten Jahren mit schöner Regelmäßigkeit von verschieden Opernhäusern und Stadttheatern wiederentdeckt wird, dann ist das Emmerich Kálmáns Operette „Die Herzogin von Chicago“ aus dem Jahre 1928. Sie wurde bereits von den Städtischen Bühnen Osnabrück, der Staatsoperette Dresden, dem Theater Augsburg und der Wiener Volksoper gespielt.

Dass gerade dieses Stück in den letzten Jahren eine solche Renaissance erfährt, ist aufgrund seiner Vorzüge und Qualitäten nicht weiter verwunderlich. Es handelt sich bei dieser Operette um ein einzigartiges Dokument, das den Ausdruckswandel der europäischen Unterhaltungsmusik angesichts US-amerikanischer Jazzeinflüsse reflektiert und mentalitätsbedingte Unterschiede zwischen der Alten und der Neuen Welt thematisiert und veranschaulicht. Selten wurde die Angst vor dem Verlust der eignen kulturellen Identität und moralischer Werte angesichts der kulturellen Einflüsse aus den USA so eindrucksvoll und leichtfüßig pointiert, wie in dieser Operette.

Das wird schon angesichts de Handlung deutlich: Die Mitglieder des „Young Ladys Eccentric Club“ (eine Vereinigung der reichsten Millionärstöchter Amerikas) haben beschlossen nach Europa zu reisen. Wer von Ihnen dort kauft, was für Geld am schwersten zu haben ist, gewinnt am Ende eine Millionen Dollar. Eine von ihnen ist Mary Lloyd. Sie erwirbt im bankrotten Sylvarien nicht nur ein altes Schloss, sondern auch noch den dazugehörigen Erbprinzen. Schließlich verlieben sie sich ineinander und es kommt trotz mancher Verwicklungen doch zum Happy End.

Diesen Plot setzt Emmerich Kálmán sehr eindruckvoll in Musik, indem er die kulturellen Sphären plastisch gegenüberstellt: Charleston gegen Csardas, so lautet das musikalische Motto. Das Ergebnis ist eine äußerst kontrastreich instrumentierte Partitur. Der besondere optische Reiz des Stücks liegt in einer pikanten Mischung aus Revue- und Filmelementen mit traditionellen Operettenformen.

Leider wird die Bonner Aufführung dem Stück weder in szenischer noch musikalischer Hinsicht gerecht. Unzählige Eingriffe in die musikalische Substanz und die dramaturgische Struktur dieser Operette führen zu einer vollständigen Verwässerung des Stückes und seiner Intention. Durch das Weglassen zentraler Figuren und musikalischer Nummern gerät die dramaturgische Symmetrie des Stückes ins Schwanken, wodurch auch inhaltliche Akzente verschoben werden. Sicherlich wird auch in der Originalgestalt der Operette eine deutliche Kritik am kulturimperalistischen Verhalten der USA unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, allerdings wird dort auch indirekt eine Rückbesinnung auf menschliche Werte gefordert. Die Bonner Aufführung hingegen begnügt sich mit einer plakativen Aussage: Die Amerikaner sind ein rücksichtsloses Volk. Dieses Statement ist zwar unserer heutigen Zeit durchaus angemessen, vereinfacht und banalisiert allerdings die Aussage des Stücks.

Auch in musikalischer Hinsicht weist die Aufführung erhebliche Mängel auf. Alle Sänger werden elektronisch verstärkt, was zu einem Missverhältnis zwischen Solisten, Chor und Orchester führt. Angesichts dieser Tatsache hat Wolfgang Lischke am Pult des Beethovenorchesters Bonn keine Chance, die Schönheiten dieser Partitur adäquat herauszuarbeiten. Für ein Opernhaus dieser Kategorie ist ein solches Vorgehen eine musikalische Bankrotterklärung. Sollte dieses Verfahren allerdings konzeptionell bedingt sein, um der Aufführung bewusst eine gewisse Musical-Ästhetik zu verleihen, handelt es sich um einen schwerwiegenden Fehlgriff, da trotz aller Jazzeinflüsse und Revueelemente das Werk klanglich der Gattung Operette verpflichtet ist.

Die szenische Umsetzung ist ebenfalls nicht gelungen. Statt hinter dem Operettenklischee zutiefst menschliche Motivationen zu suchen, gibt Andrea Schwalbach (Regie) sämtliche Figuren des Stücks der Lächerlichkeit preis und opfert sie leichtsinnig der trivialen Pointe. Die ganze Aufführung besteht zum großen Teil aus einer willkürlichen Reihung von Filmzitaten und polternder Boulevardszenen. Die in dieser Operette unablässigen Revueszenen und Tänze wurden durch ein Ensemble von sechs Musicaldarstellerinnen bestritten. Leider lassen sie bezüglich tänzerischer Perfektion und musikalischem Ausdruck zu viele Wünsche offen.

Diese Aufführung führt plastisch vor Augen, was passieren kann, wenn man den eigentlichen Operettenhandlungen und -stoffen nicht traut, sondern versucht, sie dem Zeitgeschmack anzupassen und plakativ zu aktualisieren. Eine Wiederentdeckung dieser Art wäre dem Stück besser erspart geblieben. (tk)