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Fakten zur Aufführung 

COSI FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)
18. November 2009 (Premiere)

Berlin, E-Werk


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Die Quotenshow

Dieses Mal ging Berlins umtriebiger Opern-Impresario Christoph Hagel aufs Ganze. Nicht nur, dass er nach der U-Bahn und dem Bode-Museum (Orpheus und Eurydike - opernnetz-Besprechung hier) mit der Industriehalle des ehemaligen E-Werks erneut einen ungewöhnlichen Klassik-Ort bespielt, sondern indem er Mozarts Werk über die Wankelmütigkeit der Liebe in die aktuelle Unterhaltungsindustrie transportiert und als Fernsehshow inszeniert. Für den dazu passenden Event-Kick sorgt neben dem aufreißerischen Untertitel „Sex, Lügen und TV“ Talk-Altmeister Alfred Biolek in seiner Rolle als Moderator des Spektakels. 

Eine Hochzeits-Show wird gegeben. Zwei Paare, die jetzt nicht mehr Dorabella und Ferrando, sondern Doro und Kevin, nicht mehr Fiordiligi und Guglielmo, sondern Mandy und Leon heißen, kämpfen mit neckischen Dessous-Spielchen um die Traumhochzeit, während der Moderator gelangweilt seine Fragekärtchen sortiert. Der alte Philosoph Don Alfonso wird zum quotengeilen Regisseur der Show, das Kammermädchen Despina zur intriganten Maskenbildnerin. Und dann schnurrt die Schule der Liebenden in den Grundstrukturen, nur mit modernen Versatzstücken „aus dem wirklichen Leben“ wie bei Mozart/da Ponte ab: Alfonso überredet die beiden Männer mit Hilfe von Geldkoffern, die Treue ihrer Verlobten auf die Probe zu stellen und in Verkleidung die Partnerin des jeweils anderen noch vor laufender Kamera zu verführen. Man bedient sich dabei einer grob derben Sprache (Text: Andreas Haß), in der man „flachlegt“, „sich knallen lässt“, es mit „Schlampen treibt“ und die „schönen Strapse“ besingt. Das vorgetäuschte „Gift“ des Originals sind hier eklige Schlangen, zwischen denen die beiden Liebhaber nach Trauringen fischen müssen, aus ihrer Ohnmacht erweckt werden sie von der als sexy Krankenschwester herbeigeeilten Despina mit Hilfe von Penispumpen. 

Das alles verträgt Mozart, könnte zumindest mit ihm kompatibel sein: wenn sich denn die Inszenierung nicht zu sehr mit dem dargestellten und eigentlich ja kritisierten „Unterschichtenfernsehen“ gemein machte. Es stimmt eben fast zu genau, ist eins zu eins umgesetzt: die Quotenshow, bei der es auf Kosten der Mitspieler um nichts anderes als einen zuschauerträchtigen Event geht - und das, was als Cosi fan tutte im E-Werk abgespult wird. Die gewollte Authentizität zur Fernsehsoap  zeigt sich auch an der kitschig gestylten,  rot ausgelegten Dreh-Bühne  (Marcel Kaskeline)  mit ihrer Spiegelrückwand und den auf Schau-Effekt getrimmten Kostümen (Claudia Möbius), wie dem Moderator im weißem Lackanzug. Die diversen Video-Einspielungen verdoppeln dies noch zusätzlich. Gegeben wird so eine spaßig quirlige Komödie, eine gekonnt gemachte Unterhaltungs-Show über Treue, Untreue und die Macht des Geldes,  die aber in den vordergründigen, oberflächlichen Lustreizen verbleibt, und damit die dargestellte schillernde Show-Welt eher bestärkt, als in Frage stellt. Allein Alfred Biolek gelingt es überraschender Weise, und damit gegen den erwarteten Event-Charakter seiner Rolle, mit einer zurückhaltenden Spielweise einen ironisch gebrochenen Ton in die zu eindimensional auftrumpfende Inszenierung Hagels zu bringen.

Angesichts all der durchaus gekonnt eingesetzten Show-Elemente, die noch durch die akrobatischen Tanzeinlagen des Kameramannes (Manu Laude) verstärkt werden, kommt vor allem im ersten Teil die musikalische Seite fast etwas zu kurz. Gesungen wird (auch hierbei dem Musical-Charakter angenähert mit Mikro-Port),  wenn es um Handlungsmomente geht, meist deutsch, die Arien und großen Ensembles werden überwiegend im italienischen Original intoniert. Das führt bei diesem Regiekonzept dazu, dass die eigentlichen Musikstücke von den Solisten regelrecht ausgestellt werden, die Sänger treten aus ihrer Rolle als Show-Mitspieler quasi heraus und geben eine schöne Arie zum besten.  Dies allerdings, ebenso wie in ihrer Spielfreudigkeit, sehr gekonnt.  Bei der Auswahl seiner jungen Nachwuchs-Solisten hat Hagel ein überaus glückliches Händchen geführt. Sie füllen alle ihre Rollen mehr als gut aus. Dies gilt für den Koloratursopran der Mandy von  Astrid Kessler ebenso wie für den gewichtigen Mezzosopran der Doro von Dorothee Schlemm. Auch mit ihrer Spiellaune beeindruckte Anna Gütter als Despina. Bei den Herren standen sich die Baritone des Leon (Christian von Oldenburg) und des Alfonso (David Arnsperger) in nichts nach. Herausragend in diesem Ensemble der lyrische Tenor Kai-Ingo Rudolph als Kevin. Diese sehr schöne Stimme, klug eingesetzt, gibt zu großen Hoffnungen Anlass. 

Die Berliner Symphoniker, ebenfalls unter Leitung von Christoph Hagel, als dem Chef der temporären Oper an ungewöhnlichen Orten, spielten in angemessen kleiner Mozart-Besetzung und beschränkten sich im wesentlichen auf die Sängerbegleitung. 

Diese Opern-Produktion, das lässt sich unschwer nach der begeistert aufgenommenen Premiere sagen, wird ihr Publikum finden. Dies ist ein tendenziell anderes, neues, als das hergebrachte in den klassischen Musik-Tempeln. Es ist deutlich jünger und springt eher auf Events an, als der typische Opern-Abonnent. Und es äußert seine Zustimmung nicht mehr in Bravo-Rufen, sondern in trampeln, pfeifen, johlen.

Axel Göritz

 








 
Fotos: Oliver Wia