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Staatstheater Darmstadt


 
 

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Heftiger Theaterdonner in Darmstadt

Die Führungskrise im Staatstheater Darmstadt ist noch nicht beendet. Jetzt hat der externe Beobachter seinen Bericht vorgelegt und Maßnahmen zur dauerhaften Behebung vorgeschlagen. Intendant John Dew verliert an Einfluss.

Die Dramaturgie stimmt, denn der Donnerschlag kommt erst am Ende. Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, nordrhein-westfälischer Staatssekretär im Ruhestand, war von der hessischen Ministerin Eva Kühne-Hörmann gebeten worden, einen unbefangenen Blick von außen auf die Zustände im Hessischen Staatstheater Darmstadt zu werfen. Dort war es – Opernnetz berichtete ausführlich – zu massiven Verwerfungen zwischen Intendant John Dew und Generalmusikdirektor Constantin Trinks gekommen. An heftigen Vorwürfen auch aus dem Ensemble herrschte kein Mangel: diktatorisch sei der Intendant, nicht kommunikationsfähig. Eine Sängerin, Alexandra Lubchansky, sei massivem Mobbing ausgesetzt gewesen, so ihr Anwalt, der frühere Intendant – unter anderem in Mannheim – Ulrich Schwab.

Ja, wo Rauch ist, pflegt ein Feuer zu zündeln. Aber war es ein Flächenbrand, oder wurden nur die – leider – theaterüblichen Intrigen hochgespielt? Grosse-Brockhoff recherchiert seit 21. Dezember letzten Jahres, hat 42 Gespräche mit 33 Mitarbeitern geführt; die konnten offen reden, denn die Protokolle sind nicht einmal dem Ministerium zugänglich, das die Personalhoheit hat. Dass er jetzt schon seinen umfangreichen und akribischen Bericht vorlegt, grenzt an ein zeitliches Wunder.  Er spricht auch acht Empfehlungen aus, die es in sich haben, und denen die Ministerin in allen Punkten angesichts einer „komplizierten Lage“, in der „Grenzen überschritten wurden“, folgen wird, damit wieder ein produktives Klima am Staatstheater Darmstadt einkehre.

Nun, schlecht steht das Haus nicht da, denn es hat die besten Besucherzahlen aller hessischen Staatstheater aufzuweisen, und der künstlerische Ertrag in der Ära Dew lässt sich sehen, wird auch von keiner Seite angezweifelt. Aber kann ein Regie-Künstler, dem erhebliche kommunikative Mängel nachgesagt werden, auch ein Haus mit 550 Beschäftigten ordentlich führen? Der Krach begann, als GMD Trinks Dews Lebenspartner Sven Ehrke nicht als „Loge“ in der von Dew inszenierten Ring-Produktion besetzen wollte. Auf einmal wurde der Gastiervertrag von Alexandra Luchansky in Donizettis Lucia angezweifelt. Die aber ist Lebensgefährtin  von Trinks. Der Gastiervertrag indes war rechtsgültig, Lubchansky sang die Premiere und erhob über ihren Anwalt Ulrich Schwab massive Mobbing-Vorwürfe, die auch den jungen Lucia-Regisseur Jürgen Krause betrafen.

Ein Klima gegenseitiger Verdächtigungen, Branchengeflüster, Intrigen, Vorwürfe, Eifersüchteleien, alte Rechnungen und so weiter. Grosse-Brockhoff nimmt Maß: Die Lucia-Angelegenheit unterscheide sich – isoliert betrachtet – nicht von üblichen Theater-Skandälchen. Aber die medienwirksame Explosion in dieser Angelegenheit habe zwei Grund-Ursachen. Erstens der autokratische Führungsstil von John Dew, der „alles seinem künstlerischen Willen unterordnet und dabei auch schärfste Auseinandersetzungen nicht scheut“. Doch der Prüfer stellt klar: Sowohl für diesen Führungsstil als auch für das Gegenmodell, den väterlich-gütigen Intendanten, gebe es Beispiele. Und wer – kleiner, charmanter Seitenhieb auf die Politiker – Feuilletons seit Jahrzehnten lese, habe gewusst, auf welches Modell er sich mit John Dew einlasse. Punkt zwei: Über das übliche Maß hinaus  seien Ehe- und Lebenspartner von künstlerischem Leitungspersonal in Rollen eingesetzt gewesen, was im Verein mit Dews Führungsstil zu einem „hochexplosiven Gemisch“ geführt habe.

Die hierzu notwendige ministeriale Genehmigung lag nicht immer vor, der Vorwurf trifft John Dew, der sich für solches vertragswidrige Verhalten entschuldigt hat. Sven Ehrke hat das Haus vor kurzem um Vertragsauflösung gebeten. Dem wurde entsprochen. „Frontbereinigung“ nennt sich das im Militärdeutsch. In einem Seitenstrang kriegt jetzt auch Operndirektor Georg Heckel einen ab, denn dessen Ehefrau ist als Sopranistin im Ensemble, sie singt gerade die Hanna Glawari in Lehárs Operette Die lustige Witwe, und bemühte sich auch um konkurrierende Partien. Heckel hat deswegen ein Glaubwürdigkeits-Loch in Sachen Besetzungen. Doch auch hier stellt Grosse-Brockhoff klar, dass die Beschäftigung von Lebenspartnern durchaus Sinn machen könne, um gute Leute ans Haus zu binden, zumal örtliche Alternativen meist fehlen. In Darmstadt gibt es nun mal nur ein Mehrspartenhaus. Aber die Empfehlung: Bei Neuverträgen wird in Darmstadt bis Ende der Intendanz Dew kein Lebenspartner von Leitungspersonal plus der Ebene darunter zum Zuge kommen. Die Ministerin nickt ab, stellt ihrerseits klar, dass das eine spezielle Lex Darmstadt ist.

Also: Dew, Trinks und Heckel schienen sich anfangs freundschaftlich verbunden, doch kühlte das Verhältnis deutlich ab. Dew setzte sich nicht immer mit Trinks bei Besetzungen „ins Benehmen“, Trinks war es offenbar anfangs egal, später wurde ein Akt daraus. Und so weiter. Grosse-Brockhoff listet penibel auf, wer, wann mit wem in der Lucia-Angelegenheit was besprochen haben will, welche zeitlichen Implikationen es gab. Vom Beginn der Proben bis zur Premiere habe er zwar viele Vorgänge festgestellt, die man als Mobbing deuten könnte, aber „in keinem Fall habe ich Belege dafür gefunden, dass es sich tatsächlich um Mobbing handelte“, so der Prüfer. Auch sei Lubchansky keinesfalls „unzulässig benachteiligt“ gegenüber der Zweitbesetzung während der Proben behandelt worden. Und so weiter. Dann geht es noch um die Uhrzeit der detaillierten Regieanweisungen für die Wahnsinnsarie, es stellt sich heraus, dass die Sängerin selbst welche anforderte. Und Rechtsanwalt Schwab kommt ins Fadenkreuz, weil er sich per E-Mail direkt an Mitarbeiter gewandt und solche Adressen an die Presse weitergegeben habe und mit seiner geplanten Publikation Die letzten Diktatoren winkte. Und GMD Trinks werden nicht nur Gastierverträge für die nächste Saison, die nicht mit der Spielzeitplanung der nächsten Saison vereinbar seien, angelastet, er hat ein Telefonat mit seinem Stellvertreter mitgeschnitten und ohne dessen Zustimmung dem Prüfer trotz dessen Vorhalt vorgespielt; insgesamt habe er das Vertrauensverhältnis „in empfindlichen Maße gestört“. Und so weiter, und so weiter. Mein Gott, was für ein Wust, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff kann einem leid tun, durch welchen Morast er waten muss.

Und jetzt zum Donnerschlag. Acht Empfehlungen spricht der Prüfer aus, deren wichtigste kurz referiert seien. GMD Trinks, der selbst außerordentlich zum Saisonende kündigte – das Ministerium widersprach zwischenzeitlich – ist freigestellt. Das Ministerium betreibt seine fristlose Kündigung*. Für die Mitarbeiter wird ein Ombudsmann bestellt, und Intendant John Dew, der seine Fehler eingesehen hat, plus sein Leitungsteam bekommen für mindestens ein Jahr einen externen Moderator zur Seite gestellt; das Ministerium möge engeren informellen Kontakt zu Personalrat, Vorständen und Ensemblesprechern halten. Dew solle seinen Führungsstil ändern. Es sei zu prüfen, ob gegen Herrn Trinks ein Strafantrag nach § 201 Strafgesetzbuch seitens des Arbeitgebers gestellt werden kann; die problematisierten Vorgänge von Seiten des Rechtsanwalts Schwab sollen der zuständigen Rechtsanwaltskammer mit der Bitte um Überprüfung übergeben werden. Und zuletzt: Der junge Regisseur Krause soll „auf geeignete Weise im Hause wie auch öffentlich rehabilitiert“ werden, da er ein Hauptleidtragender der ganzen Affäre sei.

Vorhang zu? John Dew hat sich erheblich selbst beschädigt. Im Klartext bedeuten die Empfehlungen, dass man Dew die Führung des Hauses nicht uneingeschränkt zutraut. Und Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch – „Theater wird auf der Bühne inszeniert und nicht hinter den Kulissen“ - deutet an, dass weitere Vorwürfe geprüft werden. Ministerin Eva Kühne-Hörmann sagt kühl: „Hätte es rechtsverwertbare Vorwürfe gegeben, hätten wir uns von Dew getrennt“, dessen Vertrag bis August 2014 läuft. Die Frage einer eventuellen „einvernehmlichen Vertragsauflösung“ bleibt vorerst unbeantwortet. Die Intendantenstelle wird noch in diesem Quartal ausgeschrieben.

Eckhard Britsch, 20.1.2012

*Anm. d. Red., 21.6.2014: Die außerordentliche Kündigung gegen Constantin Trinks wurde in einem gerichtlichen Vergleichsverfahren zurückgenommen.

 


Eva Kühne-Hörmann (CDU), Ministerin
für Wissenschaft und Kunst in Hessen,
schließt sich den Empfehlungen des
externen Prüfers an.


Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU)
hat die Vorgänge im Staatstheater
Darmstadt aus externer Sicht beurteilt.


Generalmusikdirektor Constantin
Trinks ist auf dem Weg zu neuen
Ufern.


Intendant John Dew wird ein externer
Moderator an die Seite gestellt.