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Staatstheater Darmstadt


 
 

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Künstler im Stolperschritt

Im Staatstheater Darmstadt rumort es gewaltig. Die Führungsspitze liegt im Clinch. Jetzt haben Kulturministerin und Oberbürgermeister sich für ein angemessenes kommunikatives Verfahren ausgesprochen.

Normalerweise erzählt das Theater Geschichten: Über die Menschen und deren Abgründe, über die Gesellschaft und deren Verwerfungen, über Not und Elend, Glück und Sehnsucht.

In Darmstadt aber ist das Hessische Staatstheater, getragen vom Land und von der Stadt, seit Wochen, ja seit Monaten mit sich selbst beschäftigt, und nachdem nun einmal der Vorhang aufgezogen ist, kommen Geschichten zum Vorschein, die mit Kunst herzlich wenig zu tun haben. Dafür aber mit dem Menschlich-Allzumenschlichen und mit banalen Unzulänglichkeiten, denn die Kommunikation ist massiv gestört, und in der Belegschaft, immerhin etwa 500 Mitarbeiter, traut sich kaum einer mehr ein offenes Wort.

Kurz zum Ausgangspunkt der aktuellen „Komödie“: Intendant John Dew wünscht sich für seine Ring-Inszenierung als „Loge“-Besetzung einen Tenor, der ihm privat partnerschaftlich verbunden ist. Nach Vorsingen lehnt der Generalmusikdirektor Constantin Trinks den Sänger Sven Ehrke ab. Ob das nun wirklich der diplomatischen Weisheit letzter Schluss ist? Die Geschichte eskaliert, denn für Mitte November steht eine Lucia di Lammermoor-Premiere an. Per Gastvertrag soll – und das schon lange offiziell angekündigt – Alexandra Lubchansky die Partie übernehmen. Die ist privat mit dem GMD Trinks zusammen. Doch John Dew will den Vertrag „aus finanziellen Gründen“ nicht mehr wahrhaben. Billige Retourkutsche oder bestand noch kein gültiges Vertragsverhältnis?

Jetzt kommen die Juristen ins Spiel. Die Sängerin wird von Ulrich Schwab vertreten, der in Theaterdingen sehr erfahren ist, denn er blickt auf eine lange Intendantenkarriere zurück. Er und auch der Hausjurist gehen von einem gültigen Gastiervertrag aus. Frau Lubchansky darf die Premiere singen, und sie gestaltet die Partie ausgezeichnet. Aber sie fühlt sich gemobbt, sei von Proben ausgeschlossen und erst kurz vor  der Premiere mit einer Fülle von Regieanweisungen überzogen worden, deren Nichteinhaltung Vertragsauflösung nach sich ziehe. Anwalt Schwab geht in die Öffentlichkeit, wendet sich ans Ministerium. Die Angelegenheit wird immer mehr zur Schmierenkomödie, plötzlich soll das alles kein Einzelfall sein, ein Klima der Angst herrsche am Haus, und die Kritik fokussiert sich auf John Dew. Er, Ulrich Schwab, könne sich nicht vorstellen, dass unter diesem Intendanten noch einmal geordnete Verhältnisse ins Staatstheater Darmstadt einziehen könnten. Gegen den geschäftsführenden Direktor am Staatstheater, Jürgen Pelz, wird Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben, das Ministerium weist diese nach Prüfung als „unbegründet“ zurück.

Dienstag, 6. Dezember, 10 Uhr. Eva Kühne-Hörmann, Ministerin für Wissenschaft und Kunst (CDU), und Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) laden zur Pressekonferenz – ohne Dew und Trinks. Gerade kommen sie von einer Personalversammlung im Staatstheater -  ohne Dew und Trinks. Deutlich ist ihnen Verärgerung anzumerken, denn es wurde offenbar massiv Dampf abgelassen, die Fronten im Haus gehen kreuz und quer, die Kommunikationsmängel sind unübersehbar. Vorher schon machen Gerüchte von Demissionsabsichten die Runde. Offiziell aber heißt es: „Es ist die erklärte Absicht der Träger des Staatstheaters – des Landes Hessen und der Stadt Darmstadt – dass beide Künstler ihre erfolgreiche Arbeit am Staatstheater fortsetzen und ihre Verträge erfüllen“. Die laufen bis August 2014. Allerdings stellen Stadt und Land fest: „Die erforderliche Zusammenarbeit zwischen Intendant und Generalmusikdirektor ist durch die aktuellen Vorgänge beschädigt. Wir fordern beide Persönlichkeiten auf, ihrer Verantwortung gegenüber dem Staatstheater Darmstadt und seinem Publikum gerecht zu werden, die öffentliche Kampagne zu beenden und die Zusammenarbeit auf der Grundlage der eindeutigen vertraglichen Regelungen wieder aufzunehmen“.

Gleichzeitig werden die Götter, deren Dämmerung wohl anbricht, an die Kandare genommen. Zwar hat der Intendant bei Besetzungsfragen das letzte Wort, soll aber Einvernehmen mit dem GMD herstellen. Beide wollen nach Einzelgesprächen mit der Ministerin „konstruktiv“ zusammenarbeiten. „Vertrauensvoll“ wäre der schönere Begriff, der fällt leider nicht. Dew wird von der Ministerin an den Vertragspassus erinnert, dass bei partnerschaftlichen Besetzungen die Erlaubnis des Ministeriums eingeholt werden muss. Und GMD Trinks wird ebenfalls Vertragsverletzung vorgeworfen, er habe zumindest für 2012 so viele Gastierverträge abgeschlossen, dass er seiner Residenzpflicht in Darmstadt nicht nachkommen könne. Und der Kulturpolitiker Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Staatssekretär a. D. in Nordrhein-Westfalen, ein anerkannter Mann, soll die Vorgänge prüfen, um eine unvoreingenommene Sicht von außen zu gewährleisten. Weiter wird dem Intendanten und dem Generalmusikdirektor ein „Mediationsverfahren angeboten“. Zudem macht der Oberbürgermeister deutlich, unter Diplomaten wäre sein Statement sogar als Grobheit einzustufen: „Es ist wichtig, Angst abzubauen . . . es gibt auch eine Grenze . . . falls notwendig auch einen anderen Weg“. Die Ampel steht also auf Spätgelb.

John Dew ist ein Künstler, der Operngeschichte geschrieben hat. Die Wiederentdeckung der Komponisten, die - als „entartet“ eingestuft - verdrängt und vergessen worden waren, ist sein einzigartiges Verdienst. Ebenso hat er früher als alle anderen Kollegen die große französische Oper schon in Bielefeld und Dortmund aus der Versenkung geholt. Wunderbare Opernabende haben sich bleibend eingeprägt. Dass er allerdings gewisse Kommunikationsprobleme hat, gilt als gesichert. Der moderne Intendant heutiger Prägung darf nicht nur auf die Kunst schauen, sondern muss seinen Laden auch positiv zusammenhalten, um es etwas flapsig auszudrücken. Wobei anzumerken ist, dass das Staatstheater Darmstadt unter der Ägide Dew mit guten Auslastungszahlen aufwarten kann.

Doch über ein Geschichtchen zu stolpern, wäre seiner unwürdig. So bleibt zu hoffen, dass durch das ministerielle Machtwort die Würde aller Beteiligten und des Hauses wieder hergestellt werden kann.

Eckhard Britsch, 5.12.2011

 


Eva Kühne-Hörmann (CDU), Ministerin für Wissenschaft und Kunst in Hessen, hat ein Machtwort gesprochen.


Der Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt, Jochen Partsch (Grüne), droht mit Sanktionen, falls die Künstler ihren Konflikt nicht selbst beilegen.


Generalmusikdirektor Constantin Trinks ist wegen seiner Gastierverträge gemahnt worden.


Intendant John Dew gelobt für die Zukunft eine "konstruktive" Zusammenarbeit mit dem GMD.