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Der zweifache Tod


 
 

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Ein Sänger stirbt zwei Mal

Dietrich Fischer-Dieskau hinterlässt viele künstlerische Spuren: In der Oper und vor allem im Kunstlied. Der große deutsche Bariton begeisterte und polarisierte mit einem hohen künstlerischen Selbstbewusstsein. Ein Rückblick.

Eine große Karriere beginnt im Jahr 1947: Gerade erst aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft in Italien zurückgekehrt und bei den Eltern seiner Verlobten und ersten Frau Imgard Poppen in Freiburg untergekommen, springt der junge Bariton ohne Probe für einen erkrankten Kollegen bei einer Aufführung von Brahms Deutschem Requiem in Badenweiler ein. Ein Ereignis, das symptomatisch für das künstlerische Selbstbewusstsein des Baritons Dietrich Fischer-Dieskau steht. Schon während seiner Kriegsgefangenschaft gibt der Künstler, der sich auch in dieser Lage autodidaktisch weiterbildet, kleine Konzerte. Der zweite Weltkrieg kann Dietrich Fischer-Dieskau in seiner künstlerischen Entwicklung nur bedingt aufhalten, die seine Eltern stets gefördert haben. Der 1925 in Berlin geborene Sohn eines promovierten Philologen und einer Lehrerin erhält bereits mit sechszehn Jahren seinen ersten Gesangsunterricht, macht 1942 sein Abitur und wird anschließend zum Kriegsdienst eingezogen.

Nach dem zweiten Weltkrieg setzt er noch sein Gesangsstudium fort, als schon seine große Opern- und Liederkarriere Fahrt aufnimmt. Seinen ersten Liederabend singt Fischer-Dieskau 1947 in Leipzig, und ein Jahr später beginnt er mit der Ensembleverpflichtung als lyrischer Bariton seine Zusammenarbeit mit der Deutschen Oper Berlin. Filmdokumente auf DVD zeigen den Sänger in zwei seiner großen Rollen an seiner langjährigen Wirkungsstätte: 1961 singt er zur Eröffnung der neuen Deutschen Oper Berlin den Don Giovanni und selbst im schwarz-weißen Bild erkennt man den jugendliche-virilen Charme, den Fischer-Dieskau neben seinem effektvoll eingesetzten Bariton versprüht. Nicht weniger nachdrücklich, aber in der Gestaltung doch so anders ist sein Marquis di Posa in Verdis Don Carlos aus dem Jahr 1965. Zwei Jahre vorher stirbt seine erste Frau bei der Geburt des dritten Sohnes. Mit Verdis Rodrigo debütiert er 1948 in Berlin und nimmt im selben Jahr seine erste Winterreise auf. Es ist die erste von neun Auseinandersetzungen mit dem großen Liederzyklus.

Die umfangreichen Leistungen im Liedgesang werden schon dadurch dokumentiert, dass es leichter wäre, die Lieder aufzuschreiben, die er nicht gesungen hat. Er etablierte im 20. Jahrhundert neben wenigen anderen berühmten Sängern den Liedgesang als eine gleichberechtigte Form des Kunstgesangs. Sein würdevoller Umgang mit dem oft verschmähten Genre und die spannenden und stets von persönlicher Neugierde getriebenen Interpretationen öffnen bis heute vielen Zuhörern die Tür zum klassischen deutschen Liedgut. Seine Interpretationen von Lied, Oratorium und Oper verbindet die ganz persönliche Symbiose aus Vortrag, Wort und Gesang, was auch der Sänger selber weiß: „ Ich habe meine eigenen Maßstäbe… Die meisten Kritiker unterscheiden zu wenig zwischen den individuellen Gegebenheiten des Sängers und einer Gesangslehre.“

Das umfangreiche, breit gefächerte Opernrepertoire zeigt einen Sänger, der über dem Fachdenken steht. Neben den lyrischen Rollen wie Papageno, den Fischer-Dieskau nie auf der Bühne dargestellt hat, findet sich Verdis Jago, Hindemiths Mathis und Wagners Sachs. Seine Kritiker bemängeln neben der Rollenwahl stets auch den manierierten Vortrag, in dem Fischer-Dieskau eine Darstellung des Gesangs bietet. Seine Befürworter lieben ihn für sein individuelles Timbre, seine durchdachten Rollengestaltungen, die es ihm erlauben, verschiedenen Rollen wie dem Rheingold-Wotan, Macbeth, Amfortas oder dem Grafen Almaviva ein anderes Gesicht zu geben. Den Almaviva hat der Regisseur Jean-Pierre Ponelle mit der Kamera eingefangen, so dass man seine legendäre Darstellung eines verschmitzten, aber immer würdevollen Schürzenjägers ebenfalls noch auf DVD bewundern kann.

Doch Fischer-Dieskau ist auch stets auf musikalischem Neuland unterwegs, wie seine Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem Komponisten Aribert Reimann beweist. Reimann schreibt Fischer-Dieskau , der ihm auch die Anregung zur Vertonung gibt, im Jahr 1978 die Titelpartie seiner Oper Lear in die Kehle. 1962 ist er Teil des symbolisch gewählten Solistenterzetts bei der Ur-Aufführung von Brittens War-Requiem.

Mit über 400 Tonträgern ist der Bariton, den der Dirigent Leonard Bernstein als „bedeutendsten Sänger des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hat, der meistaufgenommene Sänger überhaupt. Am 31.Dezember 1992 beendet Dietrich Fischer-Dieskau seine Sängerkarriere in einem Silvesterkonzert, doch bleibt sein Wissen, seine Musikalität der Musikwelt auch die nächsten Jahre erhalten. Er beginnt wieder zu dirigieren, wie schon in den Jahren 1973 bis 1975. Dabei entstehen auch einige Aufnahmen mit seiner vierten Frau, der Sopranistin Julia Varady. Doch vor allem ist er als Lehrer aktiv: Seit 1983 nimmt er einen Lehrauftrag an der Hochschule der Künste in Berlin wahr. Sein Schaffen an der Hochschule sowie in zahlreichen Meisterkursen ist für viele junge Sängerkarrieren mitverantwortlich: Olaf Bär, Andreas Schmidt, Christine Schäfer, Björn Waag und Oliver Widmer sind nur einige Schüler, die heute selbst prominent sind. Bis kurz vor seinen Tod am 18. Mai 2012 hält Fischer-Dieskau zu einigen Schülerinnen und Schülern immer noch Kontakt, beobachtet ihre Karriere, schickt ihnen Anmerkungen und Eindrücke. Allerdings kann und will er sich nicht allen Menschen öffnen. Er ist kein Sänger, der hinter der Bühne die gleiche Aufmerksamkeit sucht, wie auf der Bühne. „Ein Sänger, der in jedem Ton persönlich blieb, aber nie privat wurde“, schreibt der Musikwissenschaftler Stephan Mösch. Mit Dietrich Fischer-Dieskau stirbt nicht nur ein großer Sänger und Musiker, sondern auch ein Maler, Lehrer, Autor und Wegweiser. Für ihn ist es schon der zweite Tod: „Ein Sänger stirbt zweimal. Einmal wenn er nicht mehr singen kann und einmal mit seinem physischem Ende.“

Christoph Broermann, 1.9.2012

Dietrich Fischer-Dieskaus letztes Buch Das deutsche Klavierlied hat Christian Schütte besprochen.


Dietrich Fischer-Dieskau (1925 - 2012)