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Buchbesprechung

Das deutsche Klavierlied


Autor



1925 - 2012. Studium an der Berliner Musikakademie. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann eine weltweite Karriere, die Dietrich Fischer-Dieskau zum bedeutendsten Lied- und Opernsänger seiner Zeit werden ließ.


Kaufinformationen

Dietrich Fischer-Dieskau:
Das deutsche Klavierlied

Berlin University Press

ISBN 978-3-86280-021-6

Gebunden, 95 Seiten, 20 Euro


Points of Honor                      

Buchidee

Stil

Erkenntnis

Preis/Leistung

Verarbeitung

Chat-Faktor


 

 

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Liederreisen

Kaum eine Sängerpersönlichkeit der letzten Jahrzehnte ist so eng mit der Gattung des Kunstliedes verbunden wie Dietrich Fischer-Dieskau. Nicht nur als Interpret hat er sich mit zahllosen Einspielungen um das Lied verdient gemacht, auch als Autor mehrerer Bücher und Herausgeber von Textsammlungen ist er nie müde geworden, für die Gattung einzutreten, die heute ein eher spärliches Dasein auf den Konzertpodien fristet.

Am 18. Mai dieses Jahres ist Dietrich Fischer-Dieskau gestorben. Neben seinen teilweise – und zurecht – als legendär betitelten Aufnahmen, seinen Büchern und all dem, was der künstlerisch und schriftstellerisch ebenso emsige Sänger hinterlassen hat, gibt es eine letzte niedergeschriebene Auseinandersetzung mit „seiner“ Gattung. Das deutsche Klavierlied ist ein schmales, kaum 100 Seiten umfassendes Buch, in dem sich Fischer-Dieskau am Beispiel einzelner Komponisten, aber auch musikhistorischer Phasen chronologisch durch die Geschichte des deutschen Klavierliedes arbeitet. Ein persönliches Resümee einer lebenslangen Beschäftigung.

Die Reise beginnt bei Johann Friedrich Reichardt und Carl Friedrich Zelter. Die Kompositionen beider sind heute wesentlich weniger bekannt als die anderer Liedkomponisten, jedoch kommt ihnen zentrale Bedeutung zu. Sie haben, in enger Zusammenarbeit mit etwa Johann Wolfgang von Goethe, eine Liederschule entwickelt, die die enge Verzahnung von Text und Musik betont, letztlich die immanente Musikalität bestimmter Gedichte Goethes klar herausstellt. Das sind wichtige Wurzeln für die weitere Entwicklung der Gattung.

Es verwundert kaum, dass das Kapitel über Franz Schubert den größten Raum einnimmt. Umso wichtiger ist es, dass Fischer-Dieskau dem Dreigestirn der Wiener Klassik – Haydn, Mozart und Beethoven – und damit dem unmittelbaren zeitlichen Umfeld ebenfalls differenzierte Betrachtungen widmet. Denn abgesehen von einigen Werken Beethovens steht auch das Liedschaffen dieser Komponisten nicht unbedingt im Mittelpunkt des Interesses. Wie sehr sich Joseph Haydn etwa als Liedkomponist von den Anfängen bis zu seinem Lebensende entwickelt hat, legt Fischer-Dieskau anschaulich dar. Und am Ende steht eine bedenkenswerte Erkenntnis: „Aus dem letzten Haydn ist sicherlich einer der merkwürdigsten 'Vor-Zusammenfasser' in der ganzen Musikgeschichte geworden.“

Schuberts Liedschaffen ist allein quantitativ mit mehr als 500 Kompositionen beeindruckend, erst recht bei Betrachtung der stilistischen Vielfalt auf allen Ebenen. Fischer-Dieskau verweist auf die letztliche Unmöglichkeit, Schubert einer bestimmten Richtung oder Epoche musikalisch zuzuordnen, und es scheint eingedenk der Vielzahl der bei ihm zusammenlaufenden Strömungen nicht als übertrieben, wenn er ihn musikalisch als „Europäer“ bezeichnet. Dass bei den Betrachtungen im Einzelnen immer wieder äußerst blumige, mitunter schwärmerische Formulierungen auftauchen, sei dem Autor gern verziehen, spricht es auf durchaus sympathische Weise von der Leidenschaft für die Sache, die ihn umtreibt; Sätze wie „Warm, weich und schwellend begegnet uns eine etwas abgedunkelte Klangwelt in Melos und Harmonie.“ stehen für diese Facette der Ausführungen.

Wie sehr Fischer-Dieskaus Aufmerksamkeit auf die Komponisten gelenkt gewesen ist, die in der ohnehin schwierig zu vermittelnden Gattung obendrein noch ein persönliches Schattendasein fristen, zeigen etwa das Kapitel zu Carl Loewe und das zu den „Neudeutschen“, vertreten durch Peter Cornelius, aber auch Liszt und Strauss, die Kapitel zu Hugo Wolf, Max Reger und Hans Pfitzner. Selbstverständlich fehlen auch Robert Schumann, Johannes Brahms und Gustav Mahler nicht.

Dietrich Fischer-Dieskau kann in seinen Ansichten über Interpretation, über seine Auffassung des Daseins als Liedsänger durchaus als ein Mann konservativen Geistes gesehen werden, musikalisch trifft das sicher nicht zu. Das zeigt beispielsweise das Kapitel zum Liedschaffen der Neuen Wiener Schule. „Arnold Schönberg und seine Schüler nahmen nicht etwa Abschied von der 'verständlichen' Musik, und sie verzichteten in keinem der Werke auf den Charakter der Mitteilung.“ Dieser Satz darf all denjenigen Lesern Mut machen, die mit der Musik dieser Zeit Berührungsängste haben. 

Ganz am Ende kommt Fischer-Dieskau in wenigen kurzen Anmerkungen auf einen Komponisten zu sprechen, mit dem ihn eine enge künstlerische Zusammenarbeit verbunden hat – Aribert Reimann. Reimann hat nicht nur eine Reihe von Liedern, häufig in kleinen Zyklen zusammengefasst, für den Bariton komponiert, er hat ihm ebenfalls einige seiner wichtigen Opernfiguren, allen voran die Titelpartie in Lear, gleichsam auf den Leib, besser auf die Stimme geschrieben. Hier bleibt durchaus der Wunsch zurück, noch mehr über diese künstlerische Beziehung erfahren zu wollen. Er bleibt unerfüllt, und dennoch prägt sich wenigstens eine Äußerung Fischer-Dieskaus ein, die sicher für das Verständnis Reimanns generell bedeutsam ist: „Als wohl dem einzigen Deutschen war es ihm den Versuch wert, Erfahrungen und Erkenntnisse der Neuen Wiener Schule in sein Schaffen einzubringen […]. Reimann überwand die Gebundenheit an eine Moderne, der ein früher Tod vorbestimmt war.“

Auf knappem Raum bietet Dietrich Fischer-Dieskau mit diesem Buch an der Gattung Interessierten einen kenntnisreichen, insgesamt unterhaltsam zu lesenden Einblick in die Entwicklung des Klavierliedes – freilich aus seiner ganz eigenen Sicht. Das Buch regt zur weiteren Beschäftigung an, eine umfassende Auseinandersetzung mit der Materie kann – und will es sicher auch – nicht ersetzen.  

Christian Schütte, 2.9.2012

Christoph Broermann hat einen Blick zurück auf das Leben Dietrich Fischer-Dieskaus geworfen.