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Formate mit Fantasie


 
 

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Die richtige Brennweite

Manche Entwicklungen dauern etwas länger, aber mittlerweile haben doch die Verantwortlichen der meisten Häuser begriffen, dass es kaum reicht, als Institution per se zu existieren. Zu stark ist der bestehende Ansturm auf die Pfründe. Intelligente Lösungen sind gefragt, sich in der Stadt vulgo im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zu verankern, um die Notwendigkeit der eigenen Existenz zu beweisen. In Essen verfolgt man einen besonderen Weg.

Das architektonisch eindrucksvolle Foyer des Aalto-Theaters in Essen dient an vergleichsweise wenigen Tagen im Jahr als Bühne. Dann flaniert, palavert und vor allem zeigt sich das Premierenpublikum dort. Dafür hat der finnische Architekt Hugo Alvar Henrik Aalto es entwickelt. Am Montagabend findet dort üblicherweise kein Betrieb statt. Aber Intendant Hein Mulders hat die Devise ausgerufen, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Essen ins Haus zu holen. Also ist an diesem Abend an der Längswand des Foyers eine hübsche, kleine Bühne inszeniert. Ein Podest, von einigen Buchsbaum-Kugeln umgeben, findet Platz für ein Stehpult und einen historisierten Tisch samt Stuhl. Darauf einige Mikrofon- und Lichttechnik, ausgeleuchtet von einem Spot. Ein Beamer ist in einem zusätzlichen Pult untergebracht. Davor fünf Stuhlreihen, die ein wissenshungriges Publikum erwarten.

Um die Pläne Mulders‘ umzusetzen, hat sein Team verschiedene Reihen entwickelt, die das Publikum auch außerhalb der großen Aufführungen einladen will. Eine davon ist jetzt an den Start gegangen. Brennweite, so der Titel der Reihe, physikalisch eher kompliziert, ist im metaphorischen Sinn zu verstehen. Ausgeleuchtet werden sollen ungewöhnliche Blickpunkte auf ein Werk, die in den inzwischen üblichen Einführungsveranstaltungen nicht geboten werden. Gleich die erste Veranstaltung ist ein Bonbon. Journalist und Schriftsteller Hanjo Kesting beschäftigt sich gemeinsam mit dem Jungschauspieler Jan Jaroszek weniger mit der x-ten Schilderung der Entstehungsgeschichte von Puccinis Oper Manon Lescaut, sondern wirft einen Blick hinter die Kulissen. Er hat in den Roman Abbé Prévosts hineingeschaut und hält einen launigen Vortrag über das Buch und seine historische Einordnung, während Jaroszek wichtige Passagen des Werks nahezu in Hörbuchqualität rezitiert.

Erweiterte Einblicke

Die Stuhlreihen sind – man möchte sagen: erwartungsgemäß – nahezu leer geblieben. Kaum zwanzig Personen, die Mitarbeiter des Aalto-Theaters nicht mitgerechnet, haben ihren Weg zu der Veranstaltung gefunden und dafür einen kleinen Obolus entrichtet. Überwiegend ältere Herrschaften, die sich gegenseitig erzählen, wie oft sie die Manon Lescaut schon gesehen haben. Zur Belohnung erwartet sie gar eine „Brezelbegegnung“ nach dem Vortrag in der Caféteria, wo frisches Laugengebäck und ein Getränk eigener Wahl angeboten werden. Der Aufwand dafür ist enorm. Nach der sehr freundlichen Begrüßung an der Kasse warten der mürrische Kontrolleur und eine freundliche, aus der Ferne grüßende Gardobiere ebenso wie der Kantinenwirt auf die Gäste. Ein weiterer Mitarbeiter des Hauses verliest eloquent eine Einführung zum Vortrag. Von den Bühnenarbeitern, die die Bühne im Vorfeld eingerichtet und anschließend abzuräumen haben, ganz zu schweigen. Was mit so viel Aufwand betrieben wird, hätte ein wenig mehr Aufmerksamkeit verdient.

Andere Häuser gehen einen anderen Weg. Sie tragen die Oper in die Stadt. So hat die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg anlässlich eines Stadtfestes eine Opern-Rallye veranstaltet, bei der das Opernhaus mit dem Vortrag einzelner Arien auf der Straße, in Cafés und Kirchen mehr Lust auf Oper gemacht hat. Beliebt sind auch so genannte Flashmobs. Das sind Blitzauftritte auf öffentlichen Plätzen, bei denen das Ensemble oder Teile davon mit Ausschnitten auf die bevorstehende Premiere hinweisen. Nachteil: Sänger und Musiker müssen die in der Regel ohnehin knapp bemessene Probenzeit weiter kürzen. Aber Spaß macht es trotzdem. Für die, die das Haus partout nicht verlassen wollen, gehören Matineen, also Vormittagsveranstaltungen, am Sonntagmorgen fast schon zur Pflicht. Wie beispielsweise in Kürze im Foyer des Heidelberger Theaters, wenn die Oper Fetonte in Anwesenheit von Operndirektor, Sängerinnen und Sängern bei freiem Eintritt vorgestellt wird.

Fantasievolle Formate

Das Aalto-Theater belässt es nicht bei Pflichtveranstaltungen, sondern lässt Fantasie walten. So sind in dieser Spielzeit noch zwei Brennweiten geplant – und die nächste Reihe mehrmusik geht schon in der kommenden Woche auf die Bühne des Foyers. Unter dem Titel Durch Nacht und Wind dürfen sich Besucherinnen und Besucher dann auf eine „bilder-, geschichten- und musikreiche Reise durch die Schwarze Romantik“ freuen. „Wir wollen dem Publikum die Möglichkeit geben, Sänger, Schauspieler und Dramaturgen hautnah zu erleben, und eine Form des Liederabends vorstellen, die mehr Musik und zugleich mehr als Musik anbietet“, pointiert Christoph Dittmann, Pressesprecher des Aalto-Theaters, das neue Format.

Egal, wie die Rezepte aussehen – die Erfolge wird man sehen müssen – scheint jedenfalls der Weg richtig zu sein, die Häuser aus ihrer musealen Starre zu befreien und als Kommunikationsplattformen zu etablieren. Dass Essen kleinere Formate wählt, die auch für den kleinen Geldbeutel erschwinglich sind, kann auch für solche Menschen Anreiz zu einem Besuch sein, die sich bislang vom „großen“ Angebot nicht angesprochen fühlten.

Michael S. Zerban, 5.11.2014

 


Dramaturg Alexander Meier-
Dörzenbach führt in den etwas
anderen Abend zum Thema Manon
Lescaut
im Foyer des Aalto-Theaters
ein.


Seinen launigen Ausflug in die Welt
der Literatur untermalt Schriftsteller
und Journalist Hanjo Kesting mit einer
Bilderreihe.


Jungschauspieler Jan Jaroszek
sekundiert Kesting mit wunderbar
vorgetragenen Textstellen aus Manon
Lescaut
.


Durch Nacht und Wind führt auch der
Bariton Martijn Cornet das Publikum
im neuen Foyer-Format, das am 11.
November im Aalto-Theater startet.


Die Dramaturgin Janina Zell wird die
neue Reihe mehrmusik moderieren.