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KOMMENTAR

Mai 2013


 


 

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Tannhäuser und die Opfer

Eine miserable Inszenierung eines Tannhäuser an der Deutschen Oper am Rhein sorgt inzwischen weltweit für Diskussionen. Völlig überflüssig. Diese Inszenierung ist keines weiteren Wortes würdig. Dass die Auseinandersetzungen dennoch weitergehen, ist fatal, hängt aber stark mit Fremdwörtern zusammen.

Wenn dir als Regisseur so gar nichts mehr zu einer Inszenierung einfällt, rufst du deinen Kostümbildner an und fragst ihn, ob er noch genügend SS-Uniformen im Schrank hat. Und wenn im Stück ein König vorkommt, ist auch ein Gestapo-Mantel ganz hilfreich. Sehen will das keiner mehr. Nicht, weil wir uns mit den Gräueln der nationalsozialistischen Regierungszeit nicht mehr auseinandersetzen wollen. Sondern weil viele Deutsche, jawohl, inzwischen begriffen haben, welche kollektive Schuld auf uns lastet. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, haben viele Tränen vergossen über das Leid, das wir anderen zugefügt und selbst erlitten haben. Und bereitwillig akzeptieren wir, wenn es neue Sichtweisen gibt, die unseren Nachkommen verdeutlichen, dass es großes Unrecht gegeben hat. Aber wir sind nicht mehr Willens, uns Klischees um die Ohren hauen zu lassen. Dazu wissen wir viel zu gut, dass nicht oder nur marginal die Uniformen vulgo Springerstiefel und kahlrasierte Hohlschädel Unheil bringen, sondern es bis heute die Herren in den grauen Anzügen und mit den kleingeistigen Hirnen sind, von denen Gefahr ausgeht.

Regisseur Burkhard Kosminski hat in Düsseldorf bewiesen, dass Dummheit, Überheblichkeit und Einfallslosigkeit nicht mehr funktionieren. Aber er hat auch gezeigt – zeigen dürfen – dass die Opfer in zirzensischer Manier menschenverachtend vorgeführt werden. Vollkommen überflüssig und – ich bleibe dabei – mit billiger Effekthascherei hat er eine Erschießungsszene auf die Bühne gebracht, die in ihrer Machart in erster Linie eines ist: die Missachtung der Würde der Opfer. Provokation, um Denkprozesse anzuregen? Nein. Eine Szene, bei der die Würde der Opfer so massiv mit Füßen getreten wird, befördert keine Denkprozesse, sondern ist ungehörig. Und deshalb gehört sie auch nicht auf eine Bühne. Damit so etwas verhindert wird, gibt es einen Intendanten, der nötigenfalls auch das Rückgrat besitzen muss, eine Premiere abzusagen, wenn er spätestens in der Generalprobe eine Szene feststellt, die mit Kunst oder deren Freiheit nicht das Mindeste zu tun hat. Wer einmal erlebt hat, wie tief die an einem Probenprozess Beteiligten sich in ihre Arbeit versenken, mag nachvollziehen, dass einer Szene eine ganz andere Bedeutung zugemessen werden kann als die, die sie später beim Publikum entfaltet. Wenn dann in der Premiere das Publikum darauf hinweist, welch ungeheurer Lapsus dem Hause unterlaufen ist, ist das wohl die allerletzte Gelegenheit, nachträglich die Sensibilität für den Umgang mit Opfern zu entwickeln. Man muss die Inszenierung absetzen. Und mit dem Eingeständnis eines Fehlers wäre zwar – möglicherweise – das Ansehen des Intendanten vorübergehend angekratzt, aber die Sache doch eher zügig vom Tisch.

Fehler machen wir schließlich alle. Und bekanntlich ist das auch gut so, damit wir daraus lernen. Auch wenn ein solcher Fehler längst gemacht ist, kann seine Wiederholung ja durchaus dazu dienen, das Bewusstsein zu schärfen. So hätte mit der Absetzung des Stücks eine konstruktive Diskussion über den Umgang mit der Würde des Opfers einsetzen können. Damit wäre im Nachgang allen gedient gewesen.

Stattdessen verlautbart die Rheinoper nun gebetmühlenartig, dass es ihr um die Gesundheit ihrer Besucher ginge. Dazu empfehlen wir zukünftige Gesundheitseignungstests vor Betreten der Oper. Auch wenn verschiedene Medien diese „Sprachregelung“ ungefiltert übernehmen, ist vorhersehbar, welche Wirkungen sie hat. Die Sensationsgeilen, die die Premiere nicht gesehen haben, sind maßlos enttäuscht, glauben kein Wort von der Gesundheitsgefährdung und faseln mehr oder minder zügellos und unberechtigt von Zensur. Es gibt durchaus Gründe, warum im Fernsehen bestimmte Bilder nicht zu sehen sind. Die Sendeanstalten verwenden dafür ein Fremdwort, dass vielen Menschen nicht mehr geläufig ist: Ethik. Inzwischen diskutieren die Menschen über die Zahl der Opfer unter den Besuchern der Premiere. Eine Farce. Zwar ist ein Teil der Besucher einer Oper durchaus in einem Alter, in dem leichtere Eruptionen während der Aufführung zu Herzrhythmusstörungen führen können, und solchen Besuchern sei in der Tat ein Arztbesuch schon vor dem Besuch einer Oper angeraten, schließlich sind dort mitunter auch markerschütternde Töne zu hören, die Ungeahntes auslösen können, aber die Absetzung einer Inszenierung damit zu begründen, ist schon, sagen wir, reichlich gewagt. Und vor allem weitab von Erkenntnis.

Weitab jeder Erkenntnis stehen auch die Äußerungen des Regisseurs. Das war aber auch angesichts der Flachheit und Geschmacklosigkeit seiner Inszenierung nicht anders zu erwarten. Für das Nationaltheater Mannheim ist das nicht so dramatisch. Schließlich inszeniert Kosminski dort als Intendant keine Opern. Ein Schauspielintendant, der die Ethik mit Füßen tritt; ein Opernintendant, der es nicht erkennt und stattdessen um die Gesundheit seiner Gäste besorgt ist – was ist eigentlich los mit der Kultur in Deutschland?

Michael S. Zerban, 12.5.2013

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Auf den Bildern, die die Rheinoper zur
Verfügung stellt, tauchen die
entscheidenden Szenen nicht auf. Das
ärgert die Sensationslüsternen, aber
es schützt die Opfer eines grausamen
Regimes.


Die Inszenierung des Tannhäuser im
Übrigen ist schwach. Das offenbart der
zweite Akt mit seinem Rampengesang
am deutlichsten.


Glaskammern als Gaskammern, die
sich mit Dampf füllen: Verhöhnung der
Opfer setzt keine kreativen
Denkprozesse in Gang, sondern sorgt
für Entsetzen.


Sängerdarsteller haben kaum die
Chance, sich gegen die Vorstellungen
eines Regisseurs durchzusetzen - so
abstrus die auch sind.


Dieses Foto verwendeten die meisten
Medien - da ist die Hakenkreuzbinde
am Arm von Daniel Frank so schön zu
sehen.

Fotos: Hans Jörg Michel