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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF DER WARTBURG
(Richard Wagner)
4. Mai 2013
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, Düsseldorf


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Unversöhnliche Begegnung

Was hat Wagner mit Hitler zu tun? Einfache Antwort: Nichts. Wagner war bereits sechs Jahre tot, als der spätere Diktator das Licht der Welt erblickte. Es hat immer wieder Versuche von Regisseuren gegeben, Wagner-Stücke mit dem verquasten Gedankengut der Nationalsozialisten zu verquicken. Es funktioniert nicht; auch nicht mehr als Provokation. Sicher vermag ein Theaterstück über Anne Frank auch heute noch unser Entsetzen zu wecken, weil es stellvertretend für die Gräuel steht, die ein verbrecherisches Regime an den Juden verübt hat, weil es subtil und gerade deshalb so intensiv ist. Einem Heinrich Tannhäuser eine Hakenkreuzbinde an den Arm zu stecken, ist auf eine Weise platt, die das Publikum nicht mehr will. Vielleicht, weil wir inzwischen genug über die unendliche Perversion der Nationalsozialisten wissen, dass wir dilettantisch-plakative Darstellungen auf der Bühne nicht mehr ertragen können.

Regisseur Burkhard C. Kosminksi reicht sexueller Exzess nach eigenem Bekunden als Sünde in der heutigen Zeit nicht mehr aus, um die Tannhäuser-Geschichte glaubwürdig zu erzählen. Also macht er aus Heinrich einen Kriegsverbrecher, der für Judenvergasung und -erschießung im so genannten Dritten Reich verantwortlich ist. Um das zu verdeutlichen, verwandelt Bühnenbildner Florian Etti den Venusberg von einem Ort der Lust in eine Stätte des Grauens. Im Bühnenhintergrund werden überdimensionale Glasbaukästen übereinandergestapelt, in denen nackte Statisten darauf warten, dass Dampf, vulgo Gas, einströmt, um zu verenden. Dann endet die Musik, ein jüdisches Ehepaar mit Tochter und Reisegepäck wird von Soldaten auf die Bühne geführt, auf der in der Mitte zuvor eine flächendeckende weiße Folie abgesenkt wurde, so dass sie ein Halbrund bildet. Das jüdische Ehepaar muss sich entkleiden. Im Zuschauersaal ist das Entsetzen greifbar. Tannhäuser bekommt eine Pistole gereicht. Der Ehemann muss sich hinknien. Als den Eheleuten die Köpfe geschoren werden, ist das Maß voll. Diese Prozedur, die wir aus Dokumentationen aus den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten kennen, ist vielleicht das Entwürdigendste, was einem Menschen widerfahren kann. Die Menschen im Saal fühlen sich nicht provoziert, sondern sind fassungslos. Lautstark fordern viele von ihnen, die Aufführung abzubrechen. Sie sind in die Oper gekommen, um eine adäquate Wagner-Inszenierung zu erleben, nicht, um sich billiger Effekthascherei auszusetzen. Die Exekution geht im Tumult beinahe unter. In der Pause allerorten heftige Diskussionen. Darf man diese Verbrechen an der Menschheit für eine Geschichte wie den Tannhäuser nutzen? Oft gehörte Meinung: Man darf, wenn der Fortgang der Inszenierung eine Rechtfertigung für die drastische Darstellung bietet. Genau das bleibt der Regisseur schuldig. Im zweiten Akt geht es geradezu reaktionär weiter. In der Festhalle der Wartburg gibt es in der Bühnenmitte eine Brücke und Stühle für das Publikum. Und ansonsten Rampentheater. Auch im dritten Akt bleiben die Ideen weitestgehend aus. Zwar tauchen zwischendurch noch mal Statisten als KZ-Häftlinge auf, bietet das getötete jüdische Ehepaar Verzeihung aus dem Jenseits an und kommt die Versöhnung der Vergasten mit Tannhäuser nicht zu Stande, aber das passiert nur noch am Rande und rechtfertigt kaum die im ersten Akt zur Schau gestellte Grausamkeit. Die vielleicht originellste Idee ist, den Damenchor in den Fluren der Ränge singen zu lassen. Die Kostüme von Ute Lindenberg sind den Vorstellungen des Regisseurs angemessen und stimmig. Volker Weinhart bewältigt die aufwändige Lichtregie gekonnt, während es bei den Übertiteln während der ersten zwanzig Minuten zum Totalausfall kommt.

Übertitel bei deutschen Opern lösen beim fachkundigen Publikum immer wieder Kopfschütteln oder abfällige Bemerkungen aus. Der Mezzosopranistin Elena Zhidkova allerdings wird das Fehlen der Übertitel in der Rolle der Venus zum Verhängnis. Wird so doch überdeutlich, dass sie schlicht unverständlich singt. Ganz anders beim schwedischen Tenor Daniel Frank, der im ersten Akt noch deutliche Schwierigkeiten hat, seine Rolle des Tannhäuser gesanglich auszufüllen. Das klingt schon beinahe bedenklich. Ab dem zweiten Akt allerdings hat er in seine Rolle gefunden. Und im dritten Akt verstehen dann auch die Zuhörer, warum er der Tannhäuser dieser Produktion und in Schweden ein gefeierter Star ist. Während Kosminski handlungsmäßig gar nichts mehr einfällt, packt Frank das Publikum mit seinem Reisebericht und zieht es in seinen Bann. Im Endergebnis ein gelungenes Tannhäuser- und Deutschlanddebüt für den sympathischen Tenor. Stimmlich ganz groß präsentiert sich Thorsten Grümbel als Landgraf. Der Bassist singt mit glasklarer Verständlichkeit und klingt selbst, wenn er in die Tiefe geht, rund und voll. In Verbindung mit seiner souveränen Darstellung darf man ihn sicher zu den Höhepunkten des Abends zählen. Eine ganz besondere Leistung liefert Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach ab. Sein Bariton klingt vollendet, aber vielleicht noch überzeugender ist, dass ihm auch in den Passagen, in denen die Regie Handlungsstillstand vorsieht, darstellerisch noch etwas einfällt. Sopranistin Elisabet Strid überzeugt, wenn immer ihr in der Rolle der Elisabeth dazu Gelegenheit gegeben wird – das ist nicht allzu oft, meist ist sie zur Reglosigkeit verdammt – durch Spielfreude. Zunächst um größtmögliche Verständlichkeit bemüht, und dafür größtes Kompliment, reicht das Volumen der Stimme nicht annähernd, wenn es laut wird. Im Sängerwettbewerb geht sie schließlich ganz unter. Bezaubernd schließlich ihre Schlusspartie als Elisabeth. Unter den Sängern, dabei sind Thomas Jesatko, Johannes Preißinger und Timo Riihonen, gefällt besonders Corby Welch als Walther von der Vogelweide. Weich wie ein Sahnebonbon, ohne allzu süß zu wirken, spielt er seine Rolle süffisant und souverän. Ein echter Höhepunkt im Rampengesang des zweiten Akts.

Mehr als Rampe fällt Kosminski auch mit oben beschriebener Ausnahme zu den Chören nicht ein. Aber die Damen und Herren des Chors und Extrachors der Deutschen Oper am Rhein in der Einstudierung von Gerhard Michalski fesseln in jeder Sekunde ihrer Auftritte. Sie begeistern mit ausgewogenem Klangvolumen und Engagement.

Eine Eigenschaft, die den Düsseldorfer Symphonikern an diesem Abend völlig abgeht. Selten dürfte man die Ouvertüre des Tannhäuser einfallsloser gehört haben. Das Orchester unter der Leitung von Axel Kober kümmert sich nicht um Akzente oder Einfallsreichtum. Die Bläser leisten sich gar falsche Klänge. „Wenn Axel Kober das in Bayreuth abliefert, ist seine Karriere beendet“, lautet der vernichtende Kommentar eines Besuchers. So weit wird es wohl nicht kommen. Aber Brillanz ist anders.

Großen Beifall hat die Statisterie der Deutschen Oper am Rhein unter Leitung von Michal Matys verdient. Sich entblößt, auch im Halbdunkel, auf die Bühne zu stellen, ist das eine. Das Ganze über einen langen Zeitraum überzeugend ohne falsche Scham und im einströmenden Rauch auszuhalten und so intensiv darzustellen, noch einmal eine andere. Das ist eine große Leistung, die auch das Publikum tief beeindruckt.

Versöhnung gibt es nicht. Weder im Stück, noch zwischen Regie und Publikum. Das Konzept von Kosminski hat zu offensichtlich nicht funktioniert. Und es entsteht der Eindruck, dass das Publikum nur darauf wartet, mit dem Regisseur, der hier sein Operndebüt abgeliefert hat, abzurechnen. Chöre und Solisten werden heftig beklatscht, aber im Grunde warten alle auf Kosminski, um ihn mit lautstarkem Buh zu überfallen. Das gerät so heftig, dass sich gar einige Zuschauer bemüßigt fühlen, mit Bravo-Rufen gegenzuhalten. Da hat sich schon zu Beginn der eine oder andere auf einen Theaterskandal – endlich mal wieder – gefreut. Aber das ist es nicht. Es ist eine schlechte, weil unsensible und unwürdige Inszenierung. Und das ist schade, weil das gesamte Ensemble eine überzeugende Leistung abliefert, die so nicht ausreichend gewürdigt wird.

Michael S. Zerban







Fotos: Hans Jörg Michel