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 DVD-Besprechung

Yearning for the Presence

12.7.2015

 

 

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Erfolgreich gelandet

Sieben Jahre brauchte Komponist Mark André, bis sein Werk Wunderzaichen am 2. März 2014 in Stuttgart zur Uraufführung kam. Publikum und Kritik reagierten begeistert bis euphorisch. Die Aussichten sind also gut, dass die Oper nicht, wie so viele andere zeitgenössische Stücke, nach der Uraufführung wieder sang- und klanglos in der Schublade verschwindet. Zumal ihre Entstehungsgeschichte mindestens so spannend ist wie das Opus selbst. Die Staatsoper Stuttgart hat es deshalb auch nicht bei der Aufführung des Stücks belassen, sondern den Dokumentarfilmer Uli Aumüller beauftragt, diese Geschichte aufzuarbeiten. Jetzt ist Yearning for the Presence  - The Originating Process of the Opera Wunderzaichen bei EuroArts als DVD erschienen. Warum die DVD nicht Sehnsucht nach der Gegenwart heißt und stattdessen den englischen Titel trägt, zumal es sich um eine deutsche Auftragskomposition handelt, erschließt sich nicht. Immerhin gibt es im zweiten Teil des dürren Begleitheftes eine deutsche Übersetzung der englischen Texte. Das deutsche Publikum sollte sich von solcher Missachtung nicht abschrecken lassen. Auch wenn es der englischen Sprache nicht mächtig ist, was in Deutschland kein Verbrechen ist, wird der Zuschauer keine Schwierigkeiten haben, die deutsch sprechenden Akteure zu verstehen.

Üblicherweise wird an dieser Stelle vom Vertrieb darauf hingewiesen, dass es sich um ein Produkt für den internationalen Markt handelt. Die meistgesprochene Sprache der Welt ist allerdings Spanisch.

Glücklicherweise übersteigt die Qualität des Dokumentarfilms die des Marketings bei Weitem. Und so ist ein Werk entstanden, das nicht nur die Menschen interessieren wird, die die Aufführungen von Wunderzaichen gesehen haben. Denn während Jossi Wieler und Sergio Morabito über die Entstehungsidee sowie die Zusammenarbeit mit dem Komponisten und GMD Sylvain Cambreling über die Herausforderungen der musikalischen Darbietung berichten, geht Aumüller mit Mark André auf Klangsuche. Denn das ist die eigentliche Frage, die André umtreibt: Wie entsteht ein Ton, und wie endet er? Um das herauszufinden, hat er früher bereits mit Computern experimentiert. Jetzt begibt er sich auf Reisen. Während einer Übernachtung in der Jerusalemer Grabeskirche zeichnet er die dort entstehenden Geräusche auf, lauscht den Klangwelten der Wüste, des Regens und des Windes. Mit den Ergebnissen geht es in das Experimentalstudio des Südwestrundfunks nach Freiburg, ehe schließlich Handlung und Musik bei den Proben zusammenfinden.

Man muss zeitgenössische Musik oder gar Oper nicht mögen, um sich von diesem Film faszinieren zu lassen. Aumüller zeigt nicht nur, wie aus einer eher zufällig entstandenen Idee eine Lawine losgetreten wird, aus der schließlich ein komplexes Werk entsteht. Er gibt auch Einblicke in die praktischen Seiten einer Opernproduktion. Am Ende der kurzweiligen Dokumentation bleibt Staunen. Da hat ein Mensch sieben Jahre seines Lebens darauf verwendet, eine Musik für eine Oper zu schaffen. Und um diese Partitur ist eine neue Welt, ein Kosmos entstanden. Und der Zuschauer wird, anders als bei Puccini oder Verdi, Zeuge dieses Prozesses. Da wird man selbst zum Teil von Geschichte. Schon deshalb sollte man sich diese DVD nicht entgehen lassen – in welcher Sprache auch immer.

Michael S. Zerban, 12.7.2015

 

Fotos: EuroArts