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 DVD-Besprechung

Tutto Verdi

29.4.2013

 

 

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Verdi zum Schmökern

26 Opern hat Giuseppe Verdi in seinem Leben geschrieben. Der Großteil davon gehört heute zum Standardrepertoire der Theater. Der künstlerische Anspruch der Werke ist immer eine Herausforderung für alle Beteiligten, der musikalische Reichtum geht weit über berühmte Ohrwürmer hinaus. Zu Verdis 200. Geburtstag hat das Label C Major ein einzigartiges Projekt der DVD-Geschichte vorgelegt. Alle Opern werden einzeln, aber auch in einer gesamten Box veröffentlicht. Zwei Namen fehlen indes aus guten Gründen: Zum einen die Oper Rocester, die als Erstlingswerk Verdis umstritten ist und ebenso auch als erste Oper Oberto bekannt sein könnte. Zum anderen die Oper Aroldo, die „nur“ die zensierte Form der Oper Stiffelio darstellt. Als Bonus-DVD werden das Requiem und eine Dokumentation beigefügt. Und diese Box ist für jede Zielgruppe, trotz oder wegen eines recht happigen Preises, das Highlight einer jeden privaten Sammlung. Schon von außen macht die Box eher den Eindruck eines Lexikons als die Anreihung von Silberscheiben. Im Inneren sind die DVDs sehr liebevoll und chronologisch auf der rechten Seite des „Buches“ in Vierer-Gruppen angeordnet. Auf der linken Seite sind dazu passend die Besetzungsangaben aufgeführt. Ein großes Begleitbuch lässt indes mehr Informationen und Begleitmaterial vermuten, als eine Einleitung und der Essay „Mythos Verdi“ einlösen. Beide sind viersprachig abgedruckt, ebenso auch wird mit den folgenden Inhaltsangaben der Opern verfahren, die mit den Tracklisten kombiniert sind.

Ob musikwissenschaftlich-gebildete Hörer oder einfach nur interessierter Laie – beide kommen nicht drum herum, Verdis Werk nach und nach gründlich zu durchstöbern. Ob man nun bei den berühmten Werken wie Rigoletto, Traviata oder Otello ansetzt, oder chronologisch am Anfang mit Oberto beginnt: Es macht einfach Spaß, Verdis Kompositionen zu vergleichen, Ähnlichkeiten aufzustöbern und Entwicklungen zu entdecken. Auf jeden Fall lässt es sich in dieser Sammlung herrlich schmökern. Natürlich wäre es übertrieben zu behaupten, alle DVDs würden einem gleichhohen musikalischen und szenischen Qualitätsanspruch unterliegen. Doch es überwiegt eine insgesamt beachtliche Wiedergabe der Werke Verdis, die fast alle szenisch eingefangen sind. Eine Ausnahme ist die konzertante Alzira, die von Gustav Kuhn dirigiert wird. Eine weitere Ausnahme stellt der Otello dar, aufgenommen in einer nur bedingt festspielwürdigen Aufführung aus Salzburg. Ricardo Muti am Pult und Carlos Alvarez herb-diabolischer Jago heben das Niveau an.

Ansonsten wird Verdi in seinem Heimatland und vor allem in seinem Geburtsort Parma aufgeführt. Das bedeutet zum Glück nicht, dass man nur Inszenierungen nach italienischer Art zu schauen bekommt. Im Gegenteil: Es gibt einige szenische Überraschungen: Etwa das moderne Ambiente von Gabriele Lavia für die Masnadieri oder der fast surreale Trovatore von Lorenzo Mariani. Stefano Poda inszeniert eine symbolmächtige Forza del Destino, die neben dem düsteren Grundton nur noch etwas mehr Dramatik benötigt hätte. Besonders gelungen ist der mit wenigen Mitteln auf den Punkt gebrachte Falstaff von Stephen Medcalf. Weniger mitreißend, zuweilen sogar langweilig sind Aida und Don Carlo anzuschauen. Beide Opern sind mit traditioneller Hand von Joseph Franconi Lee inszeniert, ohne dem Drama damit näher zu kommen. Die teils überzeichneten Farben und Kostüme in der Aida sind nahe an der Grenze des Erträglichen. Prächtige Kostüme werden auch im Don Carlo aufgefahren, aber Spannungen zwischen Kirche und Staat, zwischen Vater und Sohn, in den beiden Dreiecksbeziehungen werden durch eine viel zu oberflächliche Personenführung unschädlich gemacht. Auch Regisseur Pier’Alli nutzt die Chance nicht, dem Ernani eine spannende Atmosphäre zu verleihen, die das Werk womöglich wieder für andere Bühnen attraktiver gemacht hätte. Dass sich traditionell und trotzdem lebendig vereinen lassen, zeigt die Traviata in der Ausstattung von Karl-Ernst und Ursel Herrmann.

Vokal ist es vor allem ein Fest der Bariton-Stimmen: Artur Rucinski liefert ein spannendes Psychogramm des Francesco di Moor in I Masnadieri. Claudio Sgura ist ein energiegeladener Conte di Luna. Der etwas monochrome, aber stets kultiviert und ausdrucksstark singende Vladimir Stoyanov tritt gleich mehrmals in Erscheinung: Gut ist er als Don Carlos di Vargas, besser als Renato im Maskenball, hervorragend als Giorgio Germont in der Traviata. Und immer wieder Leo Nucci: Dessen vokale Klasse wurde ja schon im Rigoletto beschrieben. Doch er kann noch mehr und demonstriert, wie sich seine selbst im fortgeschrittenem Alter noch immer stabile Stimme mit Giuseppe Verdi verbindet: Egal ob als Nabucco, als Francesco Foscari, als Macbeth, als Vater Miller, als Guido di Monforte oder als Simon Boccanegra – allein wegen seiner Auftritte lohnt sich die Anschaffung dieser DVD-Box. Eine weitere Wiederbegegnung mit einem Bariton-Veteran findet bei Giovanna d’Arco mit Renato Bruson statt. Schlichtweg großartig ist auch Ambrogio Maestri in seiner Paraderolle Falstaff, den er verschmitzt und pointiert verkörpert. Bei den Tenören punktet Marcello Alvarez, der die Schwierigkeiten des Manrico im Trovatore nahezu mühelos meistert. Francesco Meli zelebriert den Riccardo im Maskenball mit Schmelz und Leidenschaft. Auch in den schwierigen Sopran-Partien gibt es gute Stimmen zu hören: Etwa Dimitra Theodossiou als Forza-Leonora, Yu Guanqun als Lina im Stiffelio, oder Kristin Lewis als Amelia. Neben den vielen guten Stimmen sind natürlich auch einige lediglich durchschnittliche Leistungen zu vermerken, aber immerhin gibt es in allen wichtigen Partien auch keinen Totalausfall zu verzeichnen. Dementsprechend fällt auch der Applaus des Publikums immer zufrieden bis enthusiastisch aus. Darin einbezogen werden die verschiedenen Orchester, die von versierten Dirigenten geleitet werden: Darunter Nicola Luisotti, Bruno Bartoletti, Yuri Temirkanov, Fabrizio Ventura und Gianluigi Gelmetti.

Positiv ist weiter festzustellen, dass auch technisch die DVDs trotz leichter Schwankungen in Bild- und Tonqualität gut eingestellt sind. Hier und da könnte der Ton sicher noch etwas präziser sein. Die Kamera hat die generelle Tendenz zur sängerorientierten Nähe, aber das Bühnengeschehen wird sehr sauber eingefangen. Jede DVD hat noch eine kleine Einführung für die Oper. Das sieht man sich gerne an, da hört man gerne zu. Verdis Werke im großen Schmöker-Band, das ist würdig für ein Jubiläum.

Christoph Broermann

Fotos: Roberto Ricci, F. Parenzan