Fundus    Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

 DVD-Besprechung

Der Nussknacker

7. Dezember 2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

zurück       Leserbrief

Weihnachtszeit ist Märchenzeit

C Major gehört zu den Labels, die Juwelen in Keksdosen packen, damit sie die Kosten für die Schmuckschatulle sparen. Die Gefahr dabei ist, dass Kunden, die Schmuckstücke suchen, selten in der Lebensmittelabteilung nachschauen. Wie schon bei der fabelhaften Schwanensee-DVD versteckt sich auch der Nussknacker in einer unansehnlichen Standard-Plastik-Box, deren wüst gestaltetes Cover zudem für ausgesprochen geringe Kauflaune sorgt. Aber es lohnt auch hier, dem Machwerk der Fantasielosigkeit und wider den guten Geschmack zu trotzen.

Liegt die DVD erst mal im Abspielgerät, weicht der Ärger ob des Profanen schnell dem Zauber des Märchens. Michael Beyer, der, wie schon bei Schwanensee, für die Aufzeichnung in der Wiener Staatsoper im Oktober 2012 verantwortlich war, eröffnet den Bilderreigen mit Kindergesichtern vor Beginn der Aufführung. Und da ist er: Der Zauber, das Staunen mit großen Kinderaugen – das Märchen kann beginnen. 1967 choreografiert Rudolf Nurejew den Nussknacker im Auftrag von Erik Bruhn, dem Direktor des Königlich-Schwedischen Balletts, nach Schwanensee und Dornröschen in bewährter Manier nach der Vorlage der Mariinski-Kirow-Fassung, die Wassili Wainonen 1934 eingerichtet hatte. Nurejews Interpretation entwickelte sich rasch zur am weitesten verbreiteten Fassung überhaupt. Vor zwei Jahren hatte sie Premiere an der Wiener Staatsoper unter dem Direktor des Wiener Staatsballetts, Manuel Legris. Und wenn es nach dem Erfolg von Schwanensee geht, werden wir sie dort mindestens in den kommenden 50 Jahren erleben. Die Kostüme und das Bühnenbild von Nicholas Georgiadis sind zeitlos opulent und schön. Es ist mutig, in der heutigen Zeit Soldaten in historische Soldatenuniformen und Ratten unter Rattenköpfen auftreten zu lassen. Aber es funktioniert ebenso wie die altmodische Bühne von Aleth Francillon.

Clara ist nicht das entzückende kleine Mädchen, das durch seinen Liebreiz besticht, sondern dank der Interpretation von Liudmila Konovalova ein Teenager, reif genug, die Liebe zu entdecken, noch nicht zu alt, um sich Träumereien hinzugeben und eine überzeugende Wanderin zwischen den Welten der Weihnachtsfeier und des Divertissements. Vladimir Shishov als Prinz in der einen Welt und Drosselmeyer in der anderen fügt sich mit ihr zum idealen Paar. Die übrigen Solisten unterstreichen die Gesamtwirkung ebenso wie das Corps de Ballet. Bei den Corps-Aufnahmen meint es Beyer ein wenig zu gut, wenn er mit Nahaufnahmen immer wieder auch Ungenauigkeiten im Tanz einfängt, die die Besucher der Aufführung mit Sicherheit nicht einmal ansatzweise erkennen können. Dafür gelingt es ihm mit filmischen Mitteln – die Freiheit nimmt er sich, und das ist gut so – die Traumsequenzen zu verdeutlichen, indem er einzelne Passagen noch einmal in einer Art Schnelldurchlauf zeigen lässt.

Das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper präsentiert unter Leitung von Paul Connelly einen wunderbaren Tchaikovsky-Klang, wie er schöner kaum sein könnte. Das findet auch das Publikum, das sich immer wieder zu Szenenapplausen hinreißen lässt, um endlich in Begeisterungsstürme auszubrechen. Und die dürfen auch durchaus für diese DVD gelten.

Es mag Menschen geben, die in einer solchen Aufführung einen „altmodischen Schmachtfetzen“ sehen. Andere erfreuen sich an der hohen Kunstfertigkeit des klassischen Balletts, die immer seltener zu erleben ist. Letztere werden an dieser DVD sehr viel Spaß haben.

Michael S. Zerban

Fotos: Michael Pöhn