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 DVD-Besprechung

Schwanensee

10.11.2014

 

 

Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

Chat-Faktor


Cover

 

 

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Früher war eben doch alles besser

Wer sich gerne mal 20 oder 30 Jahre alte Aufführungen anschauen möchte, ist in der Wiener Staatsoper immer ganz gut aufgehoben. Die Wiederaufnahmen dieser alten Schätzchen erfreuen sich beim Publikum größter Beliebtheit. Dieses Publikum ist es auch, dass diejenigen Lügen straft, die das Handlungsballett seit Jahren für tot erklären. Ausverkauft war beispielsweise im März dieses Jahres die Wiederaufnahme von Schwanensee in einer Choreografie von niemand Geringerem als Rudolf Nurejew, der sich an der Vorlage von Marius Petipa und Lev Ivanov orientierte. Satte 50 Jahre ist es her, dass die Wiener Erstaufführung für sage und schreibe 89 Vorhänge für das Hauptdarstellerpaar sorgte.

Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft veröffentlicht C Major die Aufzeichnung vom März und verdient damit Dank und Anerkennung. Zu sehen ist eine Aufführung, die so absolut ist, dass sie zum Pflichtprogramm eines jeden Schülers werden sollte. Ah, ein Aufschrei geht durch die Tanzgemeinde. „Anachronismus“, murmeln die einen. „Das Ballett ist tot, es lebe der zeitgenössische Tanz“, kreischt es von den Barrikaden der Neuerer. Gemach, gemach. Was auf dieser DVD zu sehen ist, ist eine Kunstform, die verloren zu gehen droht. Der Direktor des Wiener Staatsballetts, Manuel Legris, hat eine Wiederaufnahme geschaffen, die die Begeisterung des Publikums seit 1875 erklärt. Da fand die Premiere des Schwanensee-Balletts im Bolschoi-Theater statt. Berühmt sind längst das silbrig-blaue Bühnenbild und die historisierten Kostüme von Luisa Spinatelli. Die sorgen für Anmut und stimmige Atmosphäre auf der Bühne. Kitsch in einer Zeit der Beton- und Glas-Fassaden, sagen die einen, zeitlose Ästhetik und Eleganz, die die Kälte der Gegenwart überwinden wird, sagen die anderen.

Über all das mag man streiten, über die Leistungen der Tänzerinnen und Tänzer nicht. Hier wird die ganz hohe Kunst des klassischen Balletts gezeigt. Siegfried, Paraderolle von Nurejew, wird eindrucksvoll und über jede Kritik erhaben von Vladimir Shishov getanzt. Wer allerdings Olga Esina als Odette erlebt, versteht endlich, warum Serien, Filme und Dramolette über junge Tänzerinnen gedreht wurden, die Morde begehen, um die Rolle des weißen Schwans zu bekommen. Wir können Margot Fonteyn, die Partnerin Nurejews, nicht mehr erleben, die wohl die Reinkarnation des weißen Schwans war, aber Esina ist in jedem Fall ihre legitime Nachfolgerin. Dass sich die Erotik des schwarzen Schwans, also Odile, 1964 eher in Grenzen hält, versteht sich aus heutiger Sicht von selbst. Auch die übrigen Solisten begeistern in ihrer akrobatischen und tänzerischen Arbeit. Das Corps de ballet fasziniert in der synchronen Leistung. Die kleinen Schwäne kennen junge Leute eigentlich nur als Parodie. Hier sind sie so faszinierend zu erleben, dass jede Parodie absurd erscheint. Verunglimpfungen vergangener Jahrzehnte werden hier zurechtgerückt und auf die Schiene ersehnter Faszination gesetzt.

Das Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Alexander Ingram liefert, obwohl unsichtbar, die passende Musik dazu. Hier wird Tchaikovsky in seiner schönsten Form präsentiert.

Michael Beyer sorgt dafür, dass das Geschehen in Ton und Szene bestmöglich umgesetzt wird. Den Namen muss man sich merken, weil man selten eine solch perfekte Abstimmung präsentiert bekommt.

Einem Ereignis wie dieser Aufzeichnung wäre zu wünschen gewesen, dass das Marketing der Verpackung mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Hier wird üblicher Standard geliefert, Plastikbox und schmales, dreisprachiges Begleitheft, in der Schriftgröße kaum lesbar, Werbeflyer inklusive. Bei solcher Respektlosigkeit gegenüber Kunden und Werk wird es den Kunden Überwindung kosten, den recht hohen Preis für die DVD zu leisten. Obwohl die einfallslose Verpackung eher abschreckend wirkt, ist die Anschaffung auf jeden Fall empfehlenswert.

Michael S. Zerban

Fotos: C Major