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 DVD-Besprechung

Matthäus-Passion

18.4.2013

 

 

Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Kamera

Ton

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Der Welt entrückt

Tänzer und Statisten haben auf der Bühne eines gemeinsam: Sie schweigen. Vielleicht führt das Erstere zur Kontemplation, zur tieferen Einsicht. In vorgerücktem Alter äußern sie sich dann halblaut, demutsvoll und der Welt entrückt zu ihren Werken. Möglicherweise als Ausdruck eines Lebens, das der Ästhetik geweiht ist. John Neumeier sagt: „Seit ich choreografiere, gab es für mich noch nie eine solche Zeit der Harmonie mit den Tänzern, des Voneinanderlernens, ein solch instinktives Verstehen des Werks, solch positive Zusammenarbeit und Konzentration wie während der Kreation der Matthäus-Passion. Auch wenn sie niemals über das Probenstadium hinaus und zur Aufführung gekommen wäre, wäre ihr Entstehen das tiefste Erlebnis meines bisherigen Arbeitslebens.“ Das Werk, von dem Neumeier spricht, ist Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion, die 2005 im Festspielhaus Baden-Baden als Ballett aufgeführt – und aufgezeichnet wurde. Jetzt erscheint sie als DVD bei Arthaus Musik und hinterlässt durchaus gemischte Gefühle.

Vor dem schwarzen Hintergrund einer allenfalls mit Marginalien besetzten Bühne marschiert das Corps auf. Heike Bülk hat die Herren in weiße Hosen und seidene muscle shirts gesteckt und die Damen in weiße Kleider gehüllt, unter denen hautfarbene Trikots für die nötige Bewegungsfreiheit sorgen. Ralf Merkel sorgt dafür, dass einzelne Tänzer oder Gruppen in ein neutrales Licht gesetzt werden. Neumeier selbst steht als Messias mit entblößtem Oberkörper immer wieder im Mittelpunkt. Es rührt seltsam an, den Altmeister des Balletts in der Rolle des Jesus zu erleben. Vielleicht, weil er zu einem Ausdruck findet, der an Intensität kaum zu überbieten ist, vielleicht, weil man einen John Neumeier nicht als Messias sehen möchte.

Der Choreograf hat eine Mischung aus Handlungsballett und zeitgenössischem Tanz gewählt, in dem Elemente anderer Religionen, anderer Mythen, anderer Traditionen einfließen. Trotz alternativer Formen, in denen auch der Spitzentanz immer wieder Einfluss findet, bleibt das Geschehen auf der Bühne dem Werk Bachs angemessen. Hier wird nicht provoziert, sondern pathetisch einher geschritten. Nicht neue Ausdrucksformen interpretieren den Erlöser, sondern Pathos und Intensität. Bei einer mehr als dreistündigen Aufführung ist das erschöpfend, weniger erhellend. Für Abwechslung sorgt Videoregisseur Thomas Grimm mit acht Kameras. Ein beachtlicher Aufwand, der sich lohnt. Oft auf den Punkt fängt Grimm die Einzelsituationen ein, geht bis in die Nahaufnahme, um dann wieder – kurzfristig – in die Totale zu wechseln. Das ist wirklich professionell und sehenswert gemacht und geht weit über die sonst im Fernsehen angebotenen Aufführungen hinaus. Als „Bonus“ bietet die DVD auch die Komplettansicht aus der Totalen. Das wirkt allerdings eher als Zugeständnis an das Althergebrachte und wertet die hervorragende Arbeit Grimms im Grunde unnötig ab.

Dass das Ganze letztlich doch als Konserve und nicht als modernes Tanztheater wirkt, liegt am Fehlen der Zusatzinformationen. Weder die Sänger, Chöre, das St.-Michaelis-Orchester unter Leitung Günther Jena noch das Publikum sind zu sehen – und auch schlecht zu hören. Dabei hat man bei den Sängern eigentlich ein wunderbares Potenzial: Als Evangelist und Arian singt der Tenor Peter Schreier, die Bässe Bernd Weikl und Franz Grundheber verweigern das Brummen, Sopranistin Mitsuko Shirai und die Alt-Stimme von Marga Schiml veredeln die Aufführung. Theoretisch. In der Praxis ist von dem Genuss trotz aufgedrehter Lautstärke kaum mehr zu hören, als dass gesungen wird.

Oft genug wird beim Ballett die Musik und der Gesang aus der Konserve übermittelt, erfolgreich zuletzt bei der Schläpfer-Premiere in Düsseldorf. John Neumeier mit seinem Hamburg Ballett liefert eine Leistung ab, die dem Werk adäquat ist. Und Thomas Grimm fängt die Bilder mehr als ordentlich ein. Damit sollte sich der Kauf der DVD lohnen.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Holger Badekow