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Fakten zur Aufführung 

b.15
(Martin Schläpfer)
12. April 2013
(Premiere)

Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg, Oper Düsseldorf


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

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Vor der Premiere


Das Ballett am Rhein präsentiert sein neues Oeuvre. Ein Stück von Merce Cunningham wird mit gleich vier Uraufführungen kombiniert (5'54).

 

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We are right here

Vier Uraufführungen, die sich um ein Werk von Cunningham scharen – was will ein Ballettfreund mehr? Geboten wird einem das vom Ballett am Rhein. Martin Schläpfer stellt b.15 vor und hält das Niveau, obwohl er selbst diesmal keine Rolle spielt. Weder als Tänzer noch als Choreograf tritt er in Erscheinung, überlässt lieber das Feld dem Nachwuchs; nicht, ohne auf ein „Zugpferd“ zu vertrauen. Das verbindende Element des Abends sucht man im Thema vergebens. Trotzdem haben sich im Probenverlauf Annäherungen ergeben, die aus dem Ergebnis ein harmonisches Ganzes formen.

In jeder Hinsicht im Mittelpunkt steht Merce Cunninghams Pond Way. Vor dem von Roy Lichtenstein geschaffenen Werk Landschaft mit Boot entwickelt der Choreograf, der sich mit zunehmendem Alter mehr für Zoologie und Anthropologie als für Psychologie interessierte, den Kosmos einer Teichwelt, immer wieder unterbrochen von scheinbar menschlich-individualistischen Bewegungen. Cunningham, Lebensgefährte von John Cage, gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Tanzavantgarde des 20. Jahrhunderts. Lange Zeit kümmerte er sich nicht um die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Musik, Bühnengestaltung, Licht. Das änderte sich in seiner naturalistischen Phase. Und so beauftragte er für Pond Way New Ikebukuro für drei CD-Player bei Brian Eno. In weißen Kostümen mit wallenden Ärmeln präsentieren 13 Tänzerinnen und Tänzer die Tier- und Menschenwelt am, um und im Teich, ausgewogen ins Licht gesetzt von David Covey. Am 13. Januar 1998 an der Opéra national de Paris im Palais Garnier uraufgeführt, hat das Stück bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Schläpfer setzt Pond Way nicht etwa als Höhepunkt an das Ende von b.15, sondern traut sich, es in der Mitte der Aufführungen zu platzieren.

Das funktioniert nur bedingt. Trotz einer Pause gelingt es Amanda Miller mit ihrer Uraufführung Crop nicht, die Faszination von Pond Way aufrechtzuerhalten. Vielleicht liegt es an der esoterischen Allegory von Fred Frith, vielleicht an der Beliebigkeit, die Miller zum Programm erhebt. Die Choreografin schließt sich der Auffassung von Cunningham an, wenn sie die Bedeutung der Position im Raum aufheben will. Aber es fehlt möglicherweise an der Überzeugungskraft eines abgeklärten Cunningham, um den rechten Anschluss zu finden.

Vielleicht hätte auch Martin Chaix dieses Schicksal mit seiner Uraufführung We were right here ereilt, hätte er nicht den Reigen der Aufführungen eröffnet. Für ihn ist die Flüchtigkeit des Augenblicks wichtig oder besser: Die Aufhebung des Begriffs Heimat. Ein Begriff, der für frühere Generationen für Beständigkeit, Rückzug und Sicherheit stand, hat längst seine Bedeutung verloren. Auf der Bühne von Felix Aarts, auf der Plastikfetzen in die Bühnenmitte hängen, wird viel gerannt. Immer wieder finden sich die Individuen in flüchtigen Gruppen zusammen, aus denen sich die Tänzer wieder lösen, um in neuen Konstellationen zusammenzufinden. Das ist hoffentlich nicht das, was wir unter Heimat in Zukunft zu verstehen haben: Eine Gruppe von Menschen, die, ästhetisch angeordnet, für einen Moment verharrt. Eine deprimierende Aussicht, zu der die Musik des Ersten Satzes aus dem Konzert für Chor von Alfred Schnittke ihr Übriges beiträgt.

Optimistischer kommt Antoine Jully mit seinem Rebound – Topple – Splash daher. Zur Musik von Strawinskys Dumberton Oaks verbindet er Grazie und Groteske, Nähe und Anmut. Es ist Jullys zweite Choreografie, und sie überzeugt. Im ausreichenden Licht von Volker Weinhart präsentiert Jully seine Tänzer in selbst entworfenen Kostümen, deren vergleichsweise unspektakuläres Aussehen die Faszination der Choreografie nicht schmälern kann.

Den gelungenen Abschluss des Abends bildet die Uraufführung Inclination von Regina van Berkel. „Ein Mann sieht sich unter einem alten Ahorn, in den der Blitz eingeschlagen hat, sitzen. Erinnerungen steigen vor seinem inneren Auge auf, als der Baum noch frisches Grün trug und der Mann selbst noch ein kleiner Junge war: glückliche und unbeschwerte Zeiten“, beschreibt Dramaturgin Anne do Paço die Ausgangssituation, in der sich die Hitze der Jugend widerspiegelt. Zum Streichquartett The Ancient Tree von Alan Hovhaness mit barocken Einschlägen sind Ansätze von Ekstase, der Kampf zwischen drei Menschen um die rechte Beziehung bis zur fehlenden Abgeklärtheit des Alters zu erahnen. Egal, welche Deutungsversuche Tanz unternimmt: Letztendlich wirft es uns immer wieder auf die Frage nach den Beziehungen zwischen Menschen zurück. Und das muss nicht falsch sein.

Das Publikum dieses Abends hat in erster Linie Husten. Dauernd und nachhaltig. Aber das hindert es nicht, die fünf Stücke nachhaltig und intensiv zu beklatschen. Auch einzelne Bravo-Rufe sind immer wieder hörbar. Martin Schläpfer kann seinem Schaffen einen weiteren Höhepunkt hinzufügen. Und die Zuschauer gehen sehr, sehr zufrieden nach Hause.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Gert Weigelt