Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
THE VOICE OF CASALS
(Diverse Komponisten)
Besuch am
19. Mai 2023
(Einmalige Aufführung)
Talentschmiede: So nennen Ekaterina Porizko und Ekaterina Belowa den Konzertsaal in der alten Christuskirche an der Bergstraße in Solingen, den sie mit ihrem neu gegründeten gemeinnützigen Unternehmen Klassik aber frisch in Betrieb genommen haben. Dort soll zunächst einmal im Monat ein Konzert mit mindestens einem Nachwuchstalent stattfinden. Damit nicht genug. Die Konzerte sollen nicht wie gewohnt gestaltet sein, sondern Porizko und Belowa nutzen die Bühne, um auch neue Formate auszuprobieren. Denn schließlich soll hier ja alles „frisch“ sein. Was es mit Klassik aber frisch auf sich hat, dazu hat sich vor Porizko vor kurzem in einem Audiobeitrag geäußert.
Nach einem Eröffnungskonzert, das Porizko selbst gab, beginnt auch das zweite Konzert ungewöhnlich. Die Idee hinter allem ist, die Zugangsschwelle zu einem klassischen Konzert so niedrig wie irgend möglich zu halten. Dazu gehört auch, es „selbstverständlich“ in den Alltag zu integrieren und eben nicht als „feierliche Abendgestaltung“ anzulegen. Also haben die Damen den Beginn der Aufführung bereits auf 18 Uhr gelegt. Was in der Theorie gut klingt, erweist sich in der Praxis als diskussionswürdig. Anders als beispielsweise in Amerika, wo es üblich ist, nach dem Feierabend-Einkauf noch mal schnell ins Theater oder ins Konzert zu gehen, ehe man nach Hause fährt, ist in Deutschland eine solche Aufführung immer noch ein „gesellschaftliches Ereignis“, auf das man sich entsprechend mental und kleidertechnisch vorbereitet. Dazu scheint aber 18 Uhr zu früh zu sein. Man darf gespannt sein, wie Porizko und Belowa das auf Dauer lösen.
Vorerst gibt es wenig Besucher, obwohl für den Abend der Auftritt von Roger Morelló Ros, einem 30-jährigen Cellisten, angekündigt ist, der zum einen gerade Furore auf den Bühnen macht, zum andern auch jüngst sein erstes Solo-Debüt-Album veröffentlicht hat. Liegt es also doch nur daran, dass dieser Freitag ein so genannter Brückentag ist, an dem die Solinger das verlängerte Wochenende für Kurzreisen statt für Konzertbesuche nutzen? Das Verkehrsaufkommen in der Innenstadt spricht dagegen. Aber Porizko und Morelló Ros ficht das ohnehin nicht an. Sie beginnen pünktlich und gut gelaunt mit ihrem Programm.
Schön, dass Morelló Ros hier nicht einfach das Programm von The Voice of Casals abspult, dem Album, das eine Hommage an den Humanisten und Cellisten, Komponisten und Dirigenten aus dem Katalonien des 20. Jahrhunderts darstellt, der dort bis heute als Volksheld gilt. Stattdessen haben Porizko und Morelló Ros einen eigenen Abend zusammengestellt. Aus der Kantate Ich steh mit einem Fuß im Grabe von Johann Sebastian Bach stammt das Arioso für Cello, das die beiden mit Klavierbegleitung an den Anfang stellen. Damit sind die Rahmenbedingungen geschaffen. Eine warme, gefällige Akustik, in der die Lautstärke gut ausgepegelt ist. Keine Mätzchen. Durch die verglaste Seitenwand fällt das späte Sonnenlicht und sorgt für Wohlfühlatmosphäre. Kurz: Ein Genuss. Morelló Ros begrüßt sein Publikum zum Hauskonzert. Die drei Damen, die das Publikum des heutigen Abends bilden, haben es sich mit ihren Getränken in den Stuhlreihen etwas weiter hinten gemütlich gemacht. Um sie herum hätten noch 50 bis 100 Personen Platz gehabt, aber schon nach dem Arioso haben sich die Anwesenden an die Situation gewöhnt und lassen sich ganz auf die Musik ein.
Morelló Ros erzählt über den Menschen Pau Casals, ehe er sein Solo-Programm fortsetzt. Casals erreichte unter anderem eine außergewöhnliche Bekanntheit, weil er die Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach entdeckte und für ihre Verbreitung sorgte. Aus dieser Notensammlung spielt der Cellist die Sarabande der ersten Suite, ehe er den Altmeister verlässt und ein katalanisches Volkslied vorträgt, das Casals zum Abschluss seiner Konzerte spielte und es damit zu so etwas wie einer Friedenshymne werden ließ. Es ist der Gesang der Vögel, ein Stück, das überraschend wenig Hymnisches hat, aber durchaus denjenigen berührt, der den Hintergrund kennt.
Gaspar Cassadó war ein Lieblingsschüler Casals. Da liegt es nahe, seine dreisätzige Suite für Cello solo aufzuführen. Seine anschließende Serenade begleitet Porizko am Flügel. Es ist eine Art Überleitung zum nächsten Höhepunkt. Eines der berühmtesten Stücke von Enrique Granados ist Andaluza, der fünfte aus einer Sammlung von zwölf spanischen Tänzen. Die Interpretation ist mehr als eindrucksvoll und ein glänzender Abschluss des offiziellen Teils. Denn es gehört mit zum Konzept von Klassik aber frisch, dass die Konzerte nicht über eine Stunde hinausgehen. So werden auch weniger Klassik-interessierte Menschen nicht überfordert. Und die Zugabe, eine Wiederholung des Gesangs der Vögel, diesmal aber in Begleitung am Flügel, sorgt für einen nachhaltigen Eindruck.
Die Stimmung ist fantastisch. Das Konzept scheint zu stimmen. Nun braucht es Durchhaltewillen und die Solidarität der Solinger, Klassik aber frisch mit ihren neuen Ideen zu unterstützen. Die nächsten Termine gibt es auf der Website.
Michael S. Zerban