O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Skandinavische Reise

NORDSTERNE
(Edvard Grieg, Jean Sibelius, Urmas Sisask)

Besuch am
24. März 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Konzertsaal „Talentschmiede“ in der ehemaligen Christuskirche, Solingen

Mit einer fulminanten Matthäus-Passion verabschiedete sich Ekaterina Porizko Anfang März als Kantorin der evangelischen Kirchengemeinde aus Meerbusch. Nun bricht sie auf zu neuen Ufern. Dazu eignet sich ein Konzert sehr gut. Oder gleich eine ganze Konzertserie. Die heißt KlingenKlang – Klassik aus der Talentschmiede und will auf die Arbeit von EP Klassik aber frisch mit Sitz in Solingen aufmerksam machen. Mit Unterstützung von Ekaterina Belowa wird Porizko sich künftig darum kümmern, „jungen Künstlern den Weg zum realen Konzertleben“ zu erleichtern und „für sie einen Raum zu bieten, wo sie ihre Erfahrungen sammeln können“.

Die Talentschmiede ist ein großzügiger Vielzweckraum in der ehemaligen Christuskirche an der Bergstraße in Solingen. Hier sollen in Zukunft Konzerte, Seminare, Workshops und ähnliche Veranstaltungen stattfinden. Eröffnet wird die Konzertserie von Porizko selbst. Und dafür hat sie sich ein wunderbares Programm unter dem Titel Nordsterne ausgedacht.

Ekaterina Porizko – Foto © O-Ton

Den Auftakt zu der kleinen skandinavischen Reise am wohlklingenden Stutzflügel macht Edvard Grieg. 1889 vollendete der Norweger seinen Zyklus Sechs Lieder. Sie gehörten damals zu den neuesten Werken im „internationalen Stil“, die Grieg komponierte, um sich gegen den Vorwurf zu wehren, ein nationaler Komponist zu sein. Dementsprechend liegen keinem der Lieder norwegische Gedichte zugrunde. Vielmehr wählte der Komponist, der in Leipzig studiert hatte und der deutschen Sprache mächtig war, berühmte deutsche Gedichte aus Klassik und Romantik. Neben dem Gruß von Heinrich Heine finden sich Dereinst, Gedanke mein von Emanuel Geibel oder Lauf der Welt von Ludwig Uhland. Walther von der Vogelweide steuert Die verschwiegene Nachtigall bei, von Johann Wolfgang von Goethe stammt Zur Rosenzeit und den Abschluss bildet Friedrich Bodenstedts Ein Traum. Porizko verzichtet auf den Gesang, fesselt aber mit den Melodien. Für die Pianistin sind die Lieder weniger Herausforderung als Vergnügen, zumal der Stil von Kirchentonarten geprägt ist, die auf das lyrische deutsche Lied übertragen werden, wenn sie nicht eher im Stil von Robert Schumann gestaltet sind.

Anspruchsvoller wird es, was die Hörgewohnheiten angeht, bei Jean Sibelius. Die „Baumsuite“ entstand in den Jahren 1914 bis 1919 und zeigt, wie „die Bäume zu ihm sprechen“. Ungewohnt für das deutsche Ohr sind die immer wieder eingebauten Pausen, die gar wunderbare Läufe scheinbar abbrechen. Wenn der Sperberbaum blüht erinnert an Klavierlieder von Tschaikowski. Die einsame Fichte wurde in ihrer Entstehungszeit als ein Symbol für Finnland interpretiert, „das unnachgiebig den schneidenden Ostwinden standhielt“ und damit typisch für Sibelius ist. Während Die Pappel eher impressionistisch daherkommt, geht es bei Die Birke lebhafter zu. Sie gilt als der Lieblingsbaum der Finnen, „so weiß steht sie da“. Als Schlager könnte man Die Tanne bezeichnen, die selbst in Deutschland als langsamer Walzer mit schnellen Arpeggien bekannt ist. Porizko interpretiert das Werk sommerlich leicht, da taucht vor dem inneren Auge die Gesellschaft auf Landpartie auf. Ein deutlicher Höhepunkt der Darbietung.

Ekaterina Belowa und Ekaterina Porizko – Foto © O-Ton

Für das Multitalent, das heute als Pianistin auftritt, gehören die Stücke zum Kernrepertoire und sind gleichzeitig eine kleine Reise in die Vergangenheit ihrer Konzerttätigkeit. Da ist man locker genug, und Porizko sowieso, mit Zwischenmoderationen zur positiven Stimmung beizutragen. Gar Quizfragen hält sie für das Publikum bereit. Und sie beweist Sinn für Dramaturgie, wenn sie sich ihren persönlichen Lieblingskomponisten des Konzerts für den Schluss aufbewahrt, mit dem es gleichzeitig in das unbekannte Sehnsuchtsland Estland geht. Hier hat Porizko noch Vorlesungen bei Arvo Pärt gehört. Aber jetzt geht es um Urmas Sisask. Er gilt als einer der bekanntesten Komponisten Estlands. Ende vergangenen Jahres verstarb er. Einen Großteil seiner Inspiration bezog er aus der Astronomie. Und so verwundert es nicht, dass Porizko zwei Stücke aus dem Zyklus Sternenhimmel auswählt, darunter dass auch in Deutschland bekannte Aquarius. Man muss die Begeisterung der Klavierspielerin nicht teilen, wird aber auch nicht überfordert. Und dass sie gleich den Spaßfaktor hinterherschiebt, hält die fröhliche Heiterkeit des Konzerts aufrecht. Denn Sisask hat auch ein Wiegenlied geschrieben, das aus nichts anderem besteht als „Kuss-kuss kallike“. Da wird das Publikum rasch eingeübt, schließlich verfügt Porizko als Chorleiterin über ausreichend Begeisterungsfähigkeit, auch Gesangsmuffel zu einem einfachen wie eingängigen Text zu animieren, der übrigens im Deutschen so viel heißt wie „Schlaf, schlaf, mein Schatz“. Da fragt man sich, was wohl die schönere Sprache ist.

Als Zugabe spendiert Porizko einen Chorsatz aus Sisasks Messe Sanctus in Klavierbearbeitung, die sie auswendig beherrscht. Nach einer Stunde ist das kurzweilige Vergnügen, in der skandinavischen Musikliteratur zu stöbern, beendet. Das Publikum ist begeistert und feiert Ekaterina Porizko mit Beifall und Umarmungen.

Das nächste ungewöhnliche Programm steht bereits fest. Am 21. April heißt es Friedenslied. Dann tritt Porizko in den Hintergrund, um der Sopranistin Ekaterina Somicheva die Bühne zu bereiten, die Musik der jüdischen Komponistin Basia Rubin einem breiteren Publikum vorzustellen. Der Besuch ist absolut empfehlenswert. Und am 19. Mai präsentiert dann der Cellist Roger Morelló Ros sein Solo-Programm The Voice of Casals, eine Hommage an den berühmten katalanischen Cellisten, Komponisten und Dirigenten, bevor es dann im September mit den Konzerten weitergeht.

Michael S. Zerban