Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
ABSCHLUSSFEIER
(Dominik Hertrich, Christina Binta)
Besuch am
27. Juli 2023
(Uraufführung)
Am 25. Mai begann das Rabbit-Hole-Theater am Viehoferplatz in Essen ein Experiment. Statt der Fernsehserie sollte es zukünftig die Theaterserie geben, jeweils am letzten Donnerstag im Monat. Am 29. Juni ging es weiter, und nun steht also die dritte Folge auf dem Programm. Zeit, einmal kurz innehalten, um das Geschehene Revue passieren zu lassen und auf die kommende Entwicklung zu schauen. Damit eröffnet Danny-Tristan Bombosch denn auch den Abend, der schon beim Blick auf die eingezäunte Bühne interessant zu werden verspricht.
Jens Dornheim – Foto © O-Ton
Vorne links an zwei Tischen sitzen Dominik Hertrich, heute als Kassierer, und Bombosch wie gewohnt als Raymond Papadopoulos, der Theaterkettenbesitzer. Hinter den beiden Jens Dornheim, dem als Tom Markward offenbar übelst mitgespielt wurde. Jedenfalls sind beide Füße bandagiert, der Pullover ist zerrissen und blutdurchtränkt, darunter etwas, was zwei Elektroden sein könnten, an die Batteriekabel als Symbole von Stromkabeln geklemmt sind. Sein Mund ist verpflastert. Das sieht alles nicht so gut aus. Auch Alexander Kupsch, der hinter einem Bauzaun im Hintergrund mit Popcorn aus einem Fressnapf vor sich hinvegetiert, macht keinen wirklich besseren Eindruck. Und die großartige Rechtsanwältin für Urheberrecht, Kunstfreiheit und Zensur, Mara Böhm-Duvel, wird von einer zurzeit eher kleinlauten Katina Kamke verkörpert, die hinter der Bühnenabsperrung kauert. Rechts von ihr, nahezu unsichtbar, hockt wie gewohnt Stefan Bahl, der mit seiner Kamera das Bühnengeschehen einfängt. Die Gesamtsituation in dem Bau wirkt eher dystopisch, und entsprechend unfreundlich ist auch diesmal der Empfang. Die Gefahr lauert.
Während Papadopoulos sein Eingangsstatement vom Zettel halbwegs flüssig ins Mikrofon liest, staunt der treue Serienanhänger einmal mehr, was das Ensemble da jedes Mal binnen vier Wochen auf die Beine stellt. Angefangen hat es ja damit, dass Salamanca Kronenberg ihre Abschiedsvorstellung gab, um anschließend mit Wrestling-Legende Rick Maelstrom ins Ausland zu gehen und Elefanten zu streicheln. Maelstrom nahm stattdessen Reißaus, kehrte aber später „infiziert“ zurück, denn aus dem Theater ist inzwischen eine Zufluchtsstätte vor der in der Außenwelt aufgetretenen Seuche geworden. Mittlerweile ist bekannt, um welche Seuche es sich handelt, und die Akteure befinden sich inmitten von Verschwörungstheorien. „Kukulkan, die gefiederte Schlange, ist zurückgekehrt. Und sie beansprucht all das, was sie vor Millionen Jahren gesät hat, für sich“, erzählt Papadopoulos. Was das ist, behält er für sich. Die „Eliten“ haben sich in Bunker zurückgezogen, um beizeiten Rebecca, die Erlöserin, als Rettung zu präsentieren. Der Theaterkönig widerspricht dieser Version und sieht in der Regierung die eigentlichen Täter, die mit Spritzen für die typische Sprachlosigkeit sorgen, die der Seuche anhaftet.
Christian Freund – Foto © O-Ton
Derweil ist Christina Binta in Gestalt von Bonnie, die Tochter von McTheater, wie man Papadopoulos nennt, aufgebrochen, um Medikamente für Kronenberg zu besorgen, die am Bauchspeicheldrüsenkrebs infolge der Seuche darbt. Soweit der Stand der Dinge zu Beginn der dritten Folge, die im Anschluss ein wenig handlungsarm daherkommt. Salamanca tritt gar nicht erst in Erscheinung, Bonnie taucht in einer Videoprojektion im Krankenhaus Velbert auf, um kurz darauf mit dem Heiler John, der von Christian Freund verkörpert wird, in das Theater zurückzukehren. Auch sie trägt etliche Blutungen im Gesicht. Warum es das Krankenhaus in Velbert ist, das die Medikamente vorrätig hält, bleibt im Verborgenen, zumal Bonnie auf ihrem Besorgungsweg mindestens an einer Universitätsklinik vorbeimusste. Geschenkt. Ein weiterer Folterversuch Markwards bleibt erfolglos. John rettet Maelstrom in einer spektakulären Aktion. Der Heiler tritt in eine sehr besondere Beziehung zu Böhm-Duvel. Was daraus wird? Zu diesem Zeitpunkt völlig unklar. Die beiden machen sich auf, um Kukulkan aufzusuchen und sie zu befrieden. Tatsächlich. Viel mehr passiert in der dritten Folge nicht. Dafür ist sie mit einem eindrucksvollen Aufwand inszeniert. Das entspricht durchaus den Inhalten von Fernsehserien und ist damit legitim.
Christina Binta und Dominik Hertrich gelingt es, nicht nur die Spannung aufrechtzuerhalten, sondern die Fantasie so weit voranzutreiben, dass man in der Weiterentwicklung der Handlung an alles glaubt. Wird es die Adaption der Unendlichen Geschichte, wenn sich John und Mara auf den Weg zur gefiederten Schlange machen? Oder wird das Publikum weiter Asyl in dem Theater finden, um dumpf und unbeteiligt die weitere Entwicklung der Seuche zu erleben? Mit jeder Folge, so scheint es, wagen die Autoren sich in neue fantastische Welten vor. Das Scheitern liegt nahe, der Erfolg wird kaum beachtet werden. Aber sie haben Darsteller an ihrer Seite, die anscheinend alles bedingungslos mittragen. Das Experiment läuft also weiter. Und es läuft auf eine Entscheidung hinaus. Zwischen Belanglosigkeit und Größenwahn ist derzeit alles drin.
Am 31. August können nun auch neue Zuschauer noch einsteigen, um dann die zweite Hälfte der Staffel zu erleben. Das kann man jedem empfehlen, der noch eine Eintrittskarte bekommen kann.
Michael S. Zerban