O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Die Apokalypse ist da

ABSCHLUSSFEIER
(Dominik Hertrich, Christina Binta)

Besuch am
29. Juni 2023
(Uraufführung)

 

Rabbit-Hole-Theater, Essen

Am 25. Mai startete das Rabbit-Hole-Theater am Viehoferplatz in Essen ein hochambitioniertes Projekt. Das Stück Abschlussfeier besteht aus sieben Folgen, von denen jeweils eine am letzten Donnerstag des Monats uraufgeführt wird. Im vergangenen Monat gelang ein fulminanter Auftakt. Da ist die Spannung groß, ob es gelingt, Tempo und Niveau aufrechtzuerhalten. Zumal die Arbeitsbedingungen eher so klingen, als ob das Projekt zum Scheitern verurteilt sei. Am Samstag vor der Aufführung erhalten die Darsteller ihre Texte, in der darauffolgenden Woche findet eine sechsstündige Probe statt, und dann muss die Aufführung sitzen. Da schüttelt der Profi den Kopf. Das ist zu wenig.

Dabei war der Start durchaus gelungen. Das Stammpersonal und die Ausgangssituation wurden dargestellt. Da gibt es Raymond Papadopoulos McTheater, Besitzer einer Theaterkette von annähernd 2.800 Theatern, seine Tochter Bonnie, die für den gastronomischen Betrieb zuständig ist, Salamanca Kronenberg, in Papadopoulos‘ Augen die beste Schauspielerin der Welt, die Wrestling-Legende Rick Maelstrom, den „Klimaaktivisten“ Tom Markward und die Juristin Mara Böhm-Duvel. Hinzu kommen fallweise Gäste. Spielort der ersten Folge war das Theater, aus dem sich Kronenberg verabschieden will, um mit Maelstrom Elefanten streicheln zu gehen. Da deuten sich so einige Krisensituationen an.

Danny-Tristan Bombosch – Foto © O-Ton

Was dann allerdings tatsächlich passiert, ist so überraschend, dass damit keiner gerechnet haben kann. Das Theater hat geschlossen. Stattdessen ist eine Notunterkunft entstanden. Außen an der Fensterfront weist ein Schild auf die Unterbringungsbedingungen hin. Da ist das Mitführen von Waffen strengstens untersagt, Infizierte haben keinen Zutritt, am Eingang wird ein Sprachtest durchgeführt. Und bei Zuwiderhandlung drohen drakonische Strafen. Auch der Innenraum hat sich drastisch verändert. Die Zuschauer werden in drangvoller Enge zusammengepfercht, die Bühne ist mit einem Zaun abgesperrt. Das Klavier steht im Hintergrund neben einem Bauzaun, der sich allmählich zu so etwas wie einem Markenzeichen des Theaters entwickelt. Davor liegt eine Matratze, die wohl nur in den vorderen Reihen sichtbar ist, neben der ein kleiner Nachttisch steht. Links im Vordergrund ein Esstisch, ein Standfahrrad, dessen Dynamo für die Stromversorgung sorgt, vervollständigt das Bühnenbild. Bonnie Papadopoulos sorgt mit strengem Regiment dafür, dass sich hier niemand zu wohl fühlt. Die Apokalypse – welche auch immer – ist Wirklichkeit geworden. Hündin Gerda und ihr Frauchen sind ihr bereits zum Opfer gefallen, was aus Rick geworden ist, weiß zu diesem Zeitpunkt niemand und Salamanca ist schwer erkrankt.

Micha-El Goehre und Selina-Naomi Koenen – Foto © O-Ton

Dominik Hertrich und Christina Binta haben die Texte geschrieben. Für die Darsteller zu viel. Da wird hölzern rezitiert, anstatt gesprochen, vom Textblatt abgelesen und immer wieder fallen Hänger auf. Das nimmt viel vom Vergnügen an diesem Abend. Aber letztlich überzeugt die Handlung, über der ganz groß Dystopie geschrieben steht. Nach einem Abendessen mit Gebet, zu dem Bonnie aus einem Topf dampfende Suppe in die Schalen schöpft, verabschiedet sich Binta alsbald, um sich auf die Suche nach rettenden Medikamenten für die dahinsiechende Salamanca, wunderbar leidend gespielt von Selina-Naomi Koenen, zu begeben. Danny-Tristan Bombosch muss als Papa McTheater vorübergehend den Bühnentod erleiden, gefällt aber dann wieder als Möchtegern-Patriarch. Dass Katina Kamke als Juristin ihren Text vom Klemmbrett abliest, passt irgendwie zur Rolle und sei der Laiendarstellerin damit verziehen, zumal sie eigentlich schon genug damit zu tun hat, mit der Pistole herumzufuchteln. Jens Dornheim übernimmt wieder Tom Markward, der sich allerdings seinen Klimaaktivismus gründlich abgeschminkt hat. Und hier gibt es einen weiteren Pluspunkt für das Buch, wenn Hertrich und Binta sich nicht dazu verleiten lassen, nun den Klimawandel als Wurzel allen Übels hervorzukehren. Schaurigschön bleibt die Ursache der Apokalypse im Ungewissen, was Alexander Kupsch die Gelegenheit gibt, als gitarrenspielender Zombie in Gestalt von Rick Maelstrom hinter dem Bauzaun aufzutauchen. Als sehr spezieller Gast 738 tritt Micha-El Goehre auf, der im wirklichen Leben sein Geld als Buchautor, Moderator, DJ, Blogger und Poetry Slammer verdient und hier sein Theaterbühnendebüt feiert. Zugegeben, die Rolle ist durchaus überschaubar, um nicht zu sagen, grenzt haarscharf an die Statisterie, aber seine Mischung aus „cooler Theatersau“ und Jesus-Verschnitt macht wirklich Spaß.

Ein Bühnenstück, das als siebenteilige Serie aufgeführt wird, gehört auf jeden Fall dokumentiert – und sei es nur für die Geschichtsarchive. Diese Aufgabe haben Dirk Gerigk und Stefan Bahl übernommen. In der zweiten Folge fällt Bahl gar eine Statistenrolle zu, wenn er für Papadopoulos ein Streaming einrichten muss, damit der seine Botschaft an die Welt verbreiten kann. Nach knapp 40 Minuten steht eine Folge, die wieder so herrlich skurril ist, dass die Textschwierigkeiten vom Publikum kaum wahrgenommen werden, die Zuschauer sich aber herrlich unterhalten fühlen. Lange hält der Applaus an, ehe die kleine Feier zur Uraufführung vor der Tür weitergeht. Binta nutzt die Gelegenheit, um sich bei den Zuschauern zu entschuldigen, die sie zu Beginn der Aufführung ruppig angegangen ist. Aber denen hat es eigentlich gefallen. Publikum will nicht immer in Watte gepackt sein. Was aber wird nun aus der Apokalypse, die zum Ende des Stücks noch in vollem Gange ist? Wird es bei der nächsten Folge am 27. Juni überhaupt noch genug Darsteller geben, um die Geschehnisse fortzusetzen? Fragen, die offenbleiben müssen, um die Vorfreude auf die nächste unvorhersehbare Wendung zu steigern. Auch verspätete Gäste, die noch einsteigen wollen, sind dabei willkommen, sollten sich aber beim Kartenkauf beeilen, denn die Sitz-, Hock- und Liegeplätze für das Publikum sind streng limitiert.

Michael S. Zerban