O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Wie man Hefe kocht

ICH HASSE DICH – HEIRATE MICH!
(Florian Battermann, Jan Bodinius)

Besuch am
23. März 2023
(Premiere am 14. August 2020)

 

Kabarett Flin, Düsseldorf

Wie so oft, hat auch dieses Privattheater eine durchaus wechselvolle Geschichte. 1999 gründete das Ehepaar Porsche im Hinterhof der Ackerstraße 144 im Düsseldorfer Stadtteil Flingern ein Zimmertheater mit 80 Sitzplätzen. Fünf Jahre später übernahmen es Oliver Priebe und Philipp Kohlen-Priebe und entwickelten es zu einem Stadtteiltheater. Die Erfolgsgeschichte des Theaters FLINgern wurde 2014 abrupt gestoppt, als dem Theater zugunsten eines Wohnungsbauprojekts gekündigt wurde. Aber die Priebes ließen sich davon nicht beirren. Am 5. März 2015 eröffneten sie das KaBARett FLiN an der Ludenberger Straße, die im Stadtteil Grafenberg liegt, in der ehemaligen Gastronomie Haus Marx. Als Priebe den Betrieb abgeben wollten, der sich inzwischen wieder zu einem meist ausverkauften Standort für Comedy und Kabarett gemausert hatte, lernten sie Teresa und Kristof Stößel kennen, die damals noch verbissen um ihr eigenes Theater Stößels Komödie kämpften. Die Chemie stimmte. Das Ehepaar würde ihr Theater in ihrem Sinne weiterführen, davon waren Priebes überzeugt. Im Sommer 2020 übergaben sie das Theater. Eigentlich wäre die Übergabe Grund zu reiner Freude gewesen, hätte es nicht die Pandemie gegeben.

Jetzt, drei Jahre später, starten die Stößels in Düsseldorf richtig durch. Programmatisch haben sie Wort gehalten. Es gibt weiter Auftritte vom Spitzenpersonal deutschen Kabaretts, aber auch eigene Produktionen. Stößels Komödie in Wuppertal ist inzwischen Geschichte, Kristof Stößel feierte gerade in Hannover Erfolge als Schauspieler, Teresa Stößel hat das KaBARett FLiN fest im Griff. „Jedem Ende wohnt ein Anfang inne“, hat Hermann Hesse sinngemäß formuliert, er sprach von einem Zauber – und auf wen träfe es besser zu als auf die beiden und ihre Freunde? Die erste eigene Produktion in Düsseldorf ist die Komödie Ich hasse dich – heirate mich! von Florian Battermann und Jan Bodinus. Am 14. August 2020 gab es die Premiere, damals noch am Karlsplatz in Wuppertal, satte zweieinhalb Stunden lang.

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Das KaBARett FLiN überzeugt eindeutig mit inneren Werten. Entgegen aller Versuche der Schönfärberei  in den Tageszeitungen ist die Ludenberger Straße in erster Linie eine Durchgangsstraße, die die Innenstadt mit Gerresheim verbindet. Zwei, drei Kneipen und Restaurants reichen nicht, um aus der vielbefahrenen Verbindung ein Vergnügungsviertel entstehen zu lassen. Zumal die Tanzschule Löwenburg, die früher vor allem bei Erwachsenen höchst beliebt war, inzwischen nicht mehr existiert. Die Straßenbahnen, mit denen man das Theater leichterdings erreichen kann, rattern an der unscheinbaren Fassade vorbei. Ohne dass man sie im Innern hören könnte. Wer die Schleuse des Eingangsbereichs durchschritten hat, wähnt sich in einer anderen Welt. Hier standen vor gefühlt 100 Jahren die Kellner an der Theke, die gleich rechts neben dem Eingang zum Schankraum liegt, um Speisen und Getränke für die Gäste in Empfang zu nehmen, einfache Arbeiterfamilien vermutlich, die damals noch existierende Glashütte in Gerresheim liegt im Einzugsbereich. Der Gastraum ist „urig“, ohne seine Großzügigkeit zu verbergen. Inzwischen ist über die Länge eine Bühne eingezogen, um die herum sich Tische und Stühle gruppieren, die ungefähr 100 Menschen Platz geben, nicht nur Theater zu erleben, sondern auch Getränke und kleine, unkomplizierte Speisen zu erträglichen Preisen zu genießen. Man hat den Saal noch nicht ganz betreten, da beginnt man auch schon, sich wohlzufühlen. Wer seinen Wunschplatz einnehmen möchte, möge sich rechtzeitig einfinden. Anderthalb Stunden vor Aufführungsbeginn kann man sich bereits seinen Platz aussuchen.

Das Thema der Komödie scheint eigentlich längst überholt. Denn sie spielt in der Zeit des Ausgangsverbots der Pandemie. Aber die Menschen sind damit längst noch nicht fertig. Und so ist der Saal nahezu ausverkauft. Gerade mal die „Katzentische“ sind noch frei. Es herrscht die Wohlfühl-Atmosphäre, wie man sie aus den besten Zeiten von Stößels Komödie kennt. Die Handlung ist überschaubar. Kerstin Schröder ist Tanzlehrerin, die im so genannten Lockdown Tanzstunden online gibt. Gerade hat ihr Freund die Beziehung beendet. Belagert wird sie von Helga Otto, ihrer Nachbarin, die so neugierig und tratschversessen wie eh und je ist. Und der neu hinzugezogene Nachbar unter der Wohnung von Schröder, Felix Schwarz, fühlt sich in seiner Schriftsteller-Tätigkeit massiv von den praktischen Tanzübungen belästigt. Stößel, der eigentlich möglichst lange Theaterabende liebt, hat die Handlung um eine halbe Stunde gekürzt, ohne dass man irgendetwas vermissen müsste. Im Gegenteil. Lange Aufführungen, die über anderthalb bis zwei Stunden hinausgehen, sind derzeit Gift für die Theaterkassen. Davon abgesehen gewinnt die heutige Aufführung dank der Kürzungen deutlich an Esprit. Damit dürfte auch für die Wuppertaler Besucher ein neuer Anreiz geschaffen sein, sich die Aufführung noch einmal anzusehen, zumal sie kostenlose Parkplatz-Möglichkeiten in unmittelbarer Nähe des Theaters finden.

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Das Stück bietet alles, was man sich von einem unterhaltsamen Abend wünscht. Spritzige Dialoge, viel Humor, okay, auch ein paar Zoten, die sich aber wirklich in Grenzen halten, irrsinnige Wendungen, Musik, Tanz und vor allem liebenswerte Darsteller.

Die Wuppertaler kennen sie natürlich. Dass Stößel sich hier ein neues Publikum erarbeiten müssen, wird beim Applaus deutlich. Das Bedürfnis ist da, aber die Unsicherheit noch groß bis dahin, dass es endlich von der Bühne schallt: „Also entweder alle  oder keiner“, was augenblicklich einen Klatschsturm auslöst. Die Besetzung ist im Vergleich zur Premiere einmal komplett ausgetauscht, was allerdings eher terminliche als inhaltliche Gründe hat. Die Besucher des heutigen Abends dürfen sich glücklich schätzen. Teresa Stößel kommt vom Musical, wo sie erste Lorbeeren erntete. Jetzt bietet sie eine brillante Darstellung als jugendliche Tanzlehrerin, die textsicher ohne Übertreibungen die Bühne souverän beherrscht und in den Tanzszenen mit Eleganz und Freude glänzt. Und das Tanzlehrerin die damals so heiß begehrte Hefe nicht kennen, also auch nicht wissen, wie sie zu kochen ist, ist sicher eine der schönsten Stellen des Abends. Herrlich, wie das Wuppertaler Publikum sie kennt, ist sich Ilka Schäfer für nichts zu schade. Die Tratschtante wanzt sich an den Schriftsteller ran, schreckt auch vor abstrusen Yoga-Übungen nicht zurück. Niklas Peternek, „selber Pissnelke“, findet sich wunderbar zwischen den beiden Damen ein. Die Suffszene hat er generös im Griff, wenn er mit dem Kopf, ach, das soll man sich selbst ansehen, es ist einfach komisch. Und wie Stößel und Peternek die Schlussszene herausarbeiten, ist nicht weniger als ganz großes Theater. An diesem Abend stimmt einfach alles, da könnte man glatt an Komödien noch Gefallen finden.

Und mit dieser Komödie geht es nicht nur im KaBARett FLiN weiter. Sondern Stößel kehren auch wieder nach Wuppertal zurück. Stößel on Tour heißt es ab dem 27. April im Wuppertaler Brauhaus, in dem die Komödianten vor zwei Jahren einen grandiosen Erfolg mit Extrawurst feierten. Dann wird es eine NRW-Premiere mit dem Stück Ich dachte, Sie sind mein Mann geben. „Boulevardtheater mit liebevollen Charakteren, witzigen Verwirrungen und natürlich mit ganz viel Humor und Spaß“, verspricht Kristof Stößel. Die Wuppertaler dürfen sich freuen.

Michael S. Zerban