Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
UKRAINISCHE WEINACHTEN
(Diverse Komponisten)
Besuch am
15. Dezember 2023
(Premiere)
Es ist schon ein kleiner Skandal, mit welcher Beharrlichkeit die öffentlich-rechtlichen Medien den Krieg in der Ukraine nahezu totschweigen. Umso größer ist die Leistung der Pianistin Violina Petrychenko einzuschätzen, als sie im September ihr erstes Festival Sounds of Ukraine in Wesseling ins Leben rief. Am ersten Septemberwochenende fanden die drei Konzerte Ukrainisches Poem, Ukrainische Romanze und Barvinsky und Skoryk statt. Anfang November folgte in Monheim am Rhein ein vierhändiges Klavierkonzert. Und nun ist der letzte Teil des Festivals im Klavierhaus Klavins im Bonner Stadtteil Beuel vorgesehen. Der Musikalienhandel verfügt über einen eigenen Konzertsaal, dessen Programmangebot zu verfolgen sich übrigens lohnt. Da findet man so manches Kleinod. Und so passt Petrychenko gut in dieses Umfeld, denn sie will das Festival mit einem Solo-Auftritt beenden. Und für viel mehr als einen wunderschönen Konzertflügel ist auf der kleinen Bühne ohnehin kaum Platz. Das Interesse an ihrem Konzert war im Vorfeld so groß, dass ein weiterer Termin einen Tag später anberaumt werden musste.
Petrychenko hat sich vorgenommen, ihrem Publikum mit Klavierarrangements einen Einblick in die „große Anzahl von Weihnachtsritualen und Liedern“ der Ukraine zu gewähren. Den Anfang macht sie mit Serge Yushkevichs Carol of the Bells. In bewährter Manier lässt sie ihre Gäste nicht mit den Stücken allein, sondern nimmt sich die Zeit, über die Komponisten und ihre Stücke zu erzählen, ehe sie sie präsentiert. Das passiert ebenso freihändig wie sie für die gespielten Werke keine Noten auflegen muss. Von Vitĕzslav Novák gibt es Songs of a Winter Night und Song on Christmas Night, ehe sie Mykola Silvanskys Nachts am Fluss zum Besten gibt. Mit Vasyl Barvinskys Lied erklingt ein echter „Schlager“, ehe die Pianistin vollendet zwölf Kolyadki, das sind ukrainische Weihnachtslieder, zum Besten gibt.
Foto © O-Ton
Nach Ihor Schamos Vesnyanka spielt sie vier wunderbare Miniaturen von Giya Kancheli, einem georgischen Komponisten, der bis 2019 lebte. An so mancher Stelle möchte man es wie die Pianistin halten, einfach mal die Augen schließen, dann sich wieder in den Intarsien des Akustikbogens hinter dem Klavier verlieren, um die dargebotenen Klangwelten zu genießen. Ganz entzückend wird es bei den fünf Melodien für das neue Jahr von Valentyn Silvestrov, bei denen man an Jazz im Frühling denken möchte. Etwas robuster geht es abschließend in Silvestrovs Märchen zu.
Eine kleine Zugabe ist für Petrychenko selbstverständlich, die gerade erst von einem Konzert in Berlin zurückgekehrt ist. Das Publikum bedankt sich ausführlich für eine Stunde ungewöhnlicher, aber außerordentlich farbiger Musik, die zwar für das deutsche Publikum nicht zwingend nach Weihnachten klingt – aber wen interessiert das? Nach dem Konzert nimmt sich die Pianistin ausgiebig Zeit, um Fragen und Komplimente – von denen gibt es reichlich – entgegenzunehmen. Ein Glück, dass man das heutige Konzert auch noch auf dem neuen Album Winter Whispers nachhören kann.
Und schließlich bleibt auch noch Zeit für eine kleine Bilanz des nunmehr beendeten ersten Festivals Sounds of Ukraine. Die ist insofern von Bedeutung, als für Petrychenko heute schon feststeht, dass es im kommenden Jahr eine Wiederholung geben wird. Recht hat sie. Irgendjemand muss die Stimme für die hilfsbedürftige Zivilbevölkerung im Krieg erheben, der in Deutschland nicht zu existieren scheint. Auch, wenn es viele Verbesserungsmöglichkeiten gibt, bleibt festzuhalten, dass das erste Festival ein Erfolg war. Es konnte eine Menge Geld eingesammelt werden, was vollumfänglich der Zivilbevölkerung in der Ukraine zugutekommt. Wenn Petrychenko selbst schon sagt, dass die geografische Verteilung und der Zeitraum von September bis Dezember nicht glücklich waren, kann man ihr nur Recht geben. So ist viel Aufmerksamkeit verpufft, auch wenn man sich sicher gern an die interessanten Gäste erinnert, die Petrychenko im September eingeladen hat.
Nun hat die künstlerische Leiterin ausreichend Zeit, einen geeigneten Festivalort auszuwählen und das Festival zeitlich zu konzentrieren. Und obwohl ihr enggestrickter Konzertplan eigentlich überhaupt keine Zeit für weitergehende Gedanken lässt, spürt man im Gespräch die Lust der Künstlerin, sich auf das neue Abenteuer einzulassen. Insgesamt also ein schönes Fazit für das zu Ende gehende Jahr. Und Raum für viel Vorfreude auf das kommende.
Michael S. Zerban