O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Emanzipierte Damenwelt

DER VOGELHÄNDLER
(Carl Zeller)

Besuch am
12. August 2023
(Premiere am 15. Juli 2023)

 

Lehár-Festival Bad Ischl

Wenn die Wiener in ihrem Carl Zeller, neben Franz von Suppè, Johann Strauß Sohn und Carl Millöcker, den vierten ihrer Operettenklassiker der „Goldenen Ära“ sehen, so hat wohl bis auf den heutigen Tag vor allem seine erfolgreichste Operette Der Vogelhändler den entscheidenden Anteil an solcher Wertschätzung. Moritz West und Ludwig Held haben die urwüchsige und volkstümliche Handlung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Rheinpfalz angesiedelt. Uraufgeführt am 10. Januar 1891 im Theater an der Wien, ist der Vogelhändler bis heute eine der meistgespielten Operetten. Das liegt natürlich auch am Bekanntheitsgrad vieler Ohrwürmer wie Grüß euch Gott, alle miteinander, Ich bin die Christel von der Post, Schenkt man sich Rosen in Tirol und Wie mein Ahn’l zwanzig Jahr sowie zwei Verfilmungen. Für das Lehár-Festival in Bad Ischl ist Der Vogelhändler natürlich prädestiniert. Eine der bekanntesten Operetten im Mekka der Operette zwischen vielen Operettenliebhabern und -kennern, das weckt eine Erwartungshaltung. Und nachdem die Madame Pompadour beim diesjährigen Festival schon mal so richtig gezündet hat, ist die große Frage, wie Der Vogelhändler beim Publikum ankommen wird. Regisseurin Anette Leistenschneider, die schon einige Operetten inszeniert hat, ist das erste Mal in Bad Ischl und hat Respekt vor dem Festival und seinem Publikum. Die größte Herausforderung für sie sei die Zuschauererwartung, die sie in oberster Priorität erfüllen möchte. Um es vorwegzunehmen, die Erwartungshaltung hat sie nicht nur erfüllt, sondern ganz klar übertroffen. Es ist eine durchweg klassische Inszenierung mit modernen Elementen, angesiedelt in den 1950-er Jahren, mit einer witzig-komödiantischen Dialogfassung ohne unnötige Längen, mit viel Aktion und Wirbel auf der Bühne, so dass es dem Zuschauer keine einzige Sekunde langweilig oder zu viel wird.

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Die Geschichte selbst ist heiter, leicht frivol und etwas banal. In einem pfälzischen Dorf am Rhein herrscht große Aufregung: Der Kurfürst hat sich zur Jagd angesagt. Er möchte ein Wildschwein erlegen und eine Jungfrau empfangen. Mit beidem kann die etwas verschlafene Gemeinde nicht dienen. Die Wildschweine sind längst gewildert, und Jungfrauen gibt es auch schon lange nicht mehr.

Deshalb ist Baron Weps, der Wildmeister des Kurfürsten bereit, gegen ein hohes Bestechungsgeld dem Kurfürsten ein zahmes Hausschwein und eine Witwe vorzuführen. Doch dann wird die Jagd kurzfristig abgesagt, für den Wildmeister fatal, denn Baron Weps spekulierte auf ein Sümmchen aus der Gemeindekasse zur Tilgung der Spielschulden seines Neffen Stanislaus. Weps, der das Geld natürlich behalten möchte, lässt deshalb seinen Neffen Stanislaus als Kurfürsten auftreten, da den echten Adelsherrn im Dorfe eh keiner kennt. Währenddessen trifft die Kurfürstin ein, um, als Bauernmädchen verkleidet, ihren Gatten in flagranti zu erwischen, dessen Jagdleidenschaft eher den zweibeinigen Rehen gilt. Gleichzeitig kommt der Tiroler Vogelhändler Adam an, um seine Braut Christel, eine burschikose Postbeamtin, zu besuchen. Die wiederum möchte beim Kurfürsten für Adam eine Stellung als Menagerie-Inspektor erbitten, damit die beiden endlich heiraten können. Es beginnt ein fröhliches Spiel der Verwechslungen, Eifersüchteleien und Liebelei. Adam verlässt zunächst seine Christel wegen ihrer vermeintlichen Liaison mit dem Kurfürsten und dem vermeintlichen Bauernmädchen Marie, die in Wirklichkeit die Herzogin ist, und Stanislaus selbst soll die alternde Baronin Adelaide heiraten, natürlich wegen ihres Reichtums. Viel Komik entsteht, wenn die höfisch-aristokratische Welt der Kurpfalz auf das Milieu eines Bauerndorfes trifft und jeder die anderen hinters Licht führen oder deren wahre Neigungen und Absichten ergründen möchte. Am Ende wird alles gut, die Paare finden sich, sogar die beiden Prodekane scheinen mehr als nur „Kollega“ zu sein, und die emanzipierte Kurfürstin entscheidet sich am Schluss für den Dirigenten der Aufführung.

Leistenschneider zeichnet vor allem ein Bild von starken und emanzipierten Frauen, die das Heft des Handelns jederzeit in der Hand haben, ohne dass die Männer hier als unterwürfige Figuren degradiert werden. Ihr Adam ist ein stolzer viriler Tiroler Naturbursch, der etwas hemdsärmelig daherkommt, in Ledertracht mit offenem Hemd, durchaus ein Hingucker. Die Christel, die mit einem Fahrrad durch das Theater saust, entpuppt sich, nachdem sie die Uniform abgelegt hat, als fescher Feger, die mit ihrem etwas depperten Adam doch so ihre liebe Mühe hat. Die Kurfürstin erscheint als Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht und das Zepter des Handelns in die Hand nimmt.

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Leistenschneider bedient zwar durchaus die gängigen Operettenklischees, die aber in dieser Inszenierung einfach herrlich passen und höchste Unterhaltung garantieren. Das Bühnenbild von Sabine Lindner zeigt im ersten Bild eine schon fast düstere Außenszene, die dem Freischütz entliehen sein könnte, dann wandelt sich das Bild, mit wenigen Requisiten werden die Räume einfach, aber passend dargestellt. Und die Kostüme von Sven Bindseil wechseln von edler Opulenz bis hin zur lässigen Tracht. Vielseitig und bunt, auf jeden Fall was fürs Auge. Köstlich auch das Duett der beiden Möchtegern-Professoren Süffle und Würmchen im froschgrünen Ornat, hier werden alle Operettenklischees im besten Sinne bedient.

Musikalisch und sängerisch ist das einsame Spitze, was das Ensemble des Lehár-Festivals an diesem Abend auf die Bühne bringt. David Sitka gibt den Vogelhändler Adam mit großer Geste, einschließlich tenoralem Glanz und Strahlkraft in den großen und bekannten Arien, die ein jeder im Ohr hat. Sein Auftrittslied Grüß euch Gott, alle miteinander kommt spritzig daher, macht sofort Lust auf mehr. Für das große Duett Schenkt man sich Rosen in Tirol mit Corina Koller gibt es fast einminütigen Szenenapplaus, und auch für sein zweites großes Lied, Wie mein Ahn’l zwanzig Jahr, erhält Sitka langanhaltenden Beifall. Corina Koller, die in Bad Ischl ihr Rollendebüt als Kurfürstin gegeben hat, gibt diese Partie mit strahlendem lyrischem Sopran und großem Ausdruck, ihr Spiel ist von einer natürlichen Grandezza geprägt. Wunderschön auch ihre große Arie zu Beginn des dritten Akts, Als geblüht der Kirschenbaum, sehr gefühlvoll vorgetragen. Besser kann man die Partie kaum noch anlegen. Jenifer Lary als Christl weiß mit hohem Koloratursopran und kokettem Spiel zu begeistern, ihr Auftrittslied reißt das Publikum mit, und auch im Terzett Kämpfe nie mit Frau‘n mit Stanislaus und Adam setzt Lary die Duftnoten.

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Patricia Nessy kann durch ihre physische Präsenz, durch ihren kräftigen Mezzosopran und durch ihr burschikoses Spiel als Baronin Adelaide überzeugen. Gerd Vogel gibt den gelackten Baron Weps mit großer Geste und wohltönendem Bariton und ist für diese Rolle einfach eine Bank. Jonathan Hartzendorf als Graf Stanislaus weiß mit schöngefärbtem Spieltenor und komödiantischem Spiel zu gefallen, und Tim Winkelhöfer lässt als Dorfschulze Schneck stimmlich und spielerisch aufhorchen. Unschlagbar komisch sind Ivo Kovrigar und Tomaz Kovacic im Duett als Süffle und Würmchen. Der verstärkte Chor des Lehár-Festivals ist von Matthias Schoberwalter hervorragend einstudiert und zeigt große Spielfreude. Ein Sonderlob haben sich wieder das Tanzensemble für seine großartigen Einlagen und Katharina Glas für die fetzige Choreografie verdient, einschließlich Schuhplattler.

Marius Burkert am Pult des Franz-Lehár-Orchesters lässt einen flotten und spannungsreichen Zeller spielen, begleitet Sänger wie Chor mit großem Engagement und Gefühl für die besonderen Momente und zeigt erneut seine besonderen Qualitäten für dieses Genre. Das Publikum ist am Schluss restlos begeistert, es gibt großen Jubel für das gesamte Ensemble.  Das Lehár-Festival 2023 zeigt, warum es derzeit das Zentrum der Operette ist, mit einer ausgewogenen Mischung aus Operettenklassikern und Raritäten. Der Vogelhändler von Carl Zeller und die Madame Pompadour von Leo Fall haben voll gezündet, und die wunderbare Operettenkostbarkeit Schön ist die Welt von Franz Lehár war ein musikalischer Hochgenuss. Insgesamt ein großartiges Erlebnis, mit Vorfreude auf das nächste Festival im kommenden Jahr, wenn mit Carl Millöckers Der Bettelstudent und Paul Abrahams Märchen im Grandhotel wieder zwei Operettenklassiker auf dem Programm stehen, ergänzt durch das so gut wie vergessene Werk Der Sterngucker von Franz Lehár.

Andreas H. Hölscher