O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Amouröses Stelldichein zweier Diven

MADAME POMPADOUR
(Leo Fall)

Besuch am
10. August 2023
(Premiere am 8. Juli 2023)

 

Lehár-Festival Bad Ischl

Der Sommer in Bad Ischl lockt nicht nur viele Touristen wegen der malerischen Landschaft und den historischen Bauten der Kaiserzeit ins Salzkammergut, sondern auch wegen des Lehár-Festivals, dem Mekka der österreichischen Operette. Seit 1961 gibt es hier Operettenaufführungen, unter wechselnden Bedingungen und Intendanzen. Bis 2003 waren es die „Operettenfestspiele“ Bad Ischl, und seit 2004, unter der Intendanz von Michael Lakner, gibt es das „Lehár-Festival“ Bad Ischl. Das einstige Kurhaus wurde umgebaut, erweitert und ist heute die Theaterspielstätte des Festivals, das seit 2017 von Thomas Enzinger in der Funktion als Intendant und Geschäftsführer geleitet wird. Der renommierte Schauspieler und Regisseur inszeniert auch selbst und hat in den letzten Jahren großen Anteil an der zunehmenden Popularität des Festivals. Drei Operetten stehen in der Festspielzeit auf dem Programm, davon mindestens eine von Franz Lehár, dessen Name untrennbar mit Bad Ischl verbunden ist. In diesem Jahr ist es die kostbare Rarität Schön ist die Welt mit vielen bekannten Melodien, die Lehár einst auch für Richard Tauber komponierte. Flankiert wird die halbszenisch gegebene Operette von zwei Klassikern, Carl Zellers Der Vogelhändler und Leo Falls Madame Pompadour, mit der das Festival auch eröffnet wird.

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Es ist Karneval in Paris: Begehrenswert schön und abenteuerlustig stürzt sich die Marquise von Pompadour, Mätresse von König Ludwig XV., inkognito in das aufregende Nachtleben des „Musenstalls“. Auf der Suche nach einem prickelnden Liebesabenteuer trifft sie dort nicht nur den aufsässigen Dichter Calicot, der frivole Spottlieder auf sie singt, sondern auch den Grafen René d‘Estrade, der ebenfalls unerkannt eine Auszeit vom faden Land- und Eheleben nimmt. Mitten in den amourösen Verwicklungen versucht der intrigante Polizeiminister Maurepas die Pompadour in flagranti zu erwischen, um sie beim König bloßzustellen. Doch die Marquise ist nicht nur attraktiv, sondern auch gewitzt. Die Pompadour wäre nicht die mächtigste Frau Frankreichs, wäre sie nicht allen immer einen Schachzug voraus. Einfallsreich gelingt es ihr, Calicot zum Hofdichter zu ernennen und René als Rekrut zu ihrem Leibregiment abzukommandieren – mit persönlichem Zugang zu ihrem Schlafzimmer.

Einem erotischen Abenteuer stünde nun nichts mehr im Wege, wären da nicht der eifersüchtige König und Renés besorgte Gattin Madeleine, die sich als Halbschwester der Pompadour entpuppt. Am Ende wird alles gut. Madeleine bekommt ihren René zurück, Calicot erhält statt der Guillotine eine lebenslängliche Pension und die Kammerzofe Belotte, und die Marquise als frisch ernannte Herzogin sucht ein neues Abenteuer mit einem feschen Leutnant. Mit Madame Pompadour betritt eine der größten Verführerinnen die Bühne des Theaters Koblenz. Begehrenswert schön, überlegen intelligent und bemerkenswert machtbewusst – die echte Madame de Pompadour war eine der faszinierendsten Frauen ihrer Zeit. Als offizielle Mätresse von König Ludwig XV.  stieg sie als erste Bürgerliche in die adeligen Zirkel von Versailles auf und bestimmte über zwei Jahrzehnte lang mehr oder weniger im Verborgenen die Geschicke Frankreichs. Leo Fall setzt ihr 1922 in seiner drittletzten und zugleich erfolgreichsten Operette ein musikalisches Denkmal.

Vor dem Hintergrund des umtriebigen Pariser Rokokos, den Regisseur Thomas Enzinger mit Bühnenbildnerin Sabine Lindner und Kostümbildner Sven Bindseil mit opulenten Kostümen und einem eingängigen Bühnenbild präsentiert, lässt der Komponist die freizügigen Zwanzigerjahre aufleuchten. Mit der subtil aufsässigen Musik und ihren schwungvoll-eingängigen Melodien wie Heut‘ könnt einer sein Glück bei mir machen oder Joseph, ach Joseph, was bist du so keusch und den anzüglich-witzigen Dialogen von Rudolph Schanzer und Ernst Welisch war die Madame Pompadour schon bei der Uraufführung ein Sensationserfolg. Man muss an diesem Stück nichts politisieren oder neu umdeuten, es ist einfach ein frivol-heiteres Amüsierstück mit ohrwurmtauglichen Melodien, allerdings in einer extra für das Festival neu arrangierten musikalischen Fassung von Matthias Grimminger, Henning Hagedorn und Christoph Huber, dem Dirigenten der Aufführung. Da erklingen Jazz- und Swing-Melodien mit Instrumenten, die in der Original-Partitur gar nicht vorkommen, da wird Charleston getanzt, zum Tango geschmachtet oder auch mal gesteppt. Überhaupt spielt der Tanz in der Aufführung eine große Rolle, und es ist nicht nur das Ballett, das mit seinen Choreografien zu begeistern weiß, hier müssen alle Protagonisten das Tanzbein schwingen, und das so sensationell, dass man Evamaria Mayer ein großes Kompliment machen muss, die mit den Sängern intensiv an den Choreografien gearbeitet hat. Und dass der sonst als so trottelig dargestellte König Ludwig XV. plötzlich für sich den Stepptanz entdeckt, ist Astrid Nowak zu verdanken. Diese musikalische Fassung mag für Operetten-Puristen gewöhnungsbedürftig sein, durch ihr temporeiches Engagement und dem ständigen Wechsel zwischen der klassischen Partitur und der musikalischen Bearbeitung gelingt aber eine mitreißende Operettenrevue, die ganz neue Perspektiven eröffnet und durchaus ein Mittel sein kann, so manch verstaubtes Werk aus einem Dornröschenschlaf zu wecken.

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Der Musenstall im ersten Aufzug ist eine einfache Kneipe, während das Schloss Versailles im zweiten und dritten Aufzug durch viel Stoff und Tüll, großen Ölgemälden an den Seiten und einem wunderbaren Lichtdesign von Johann Hofbauer imponiert. Im Zentrum steht die Frage, wer darf wann zu wem? Wer versteckt sich wo vor wem? Und das alles mit einem zwinkernden Auge. Klassisch opulent im Rokoko-Stil sind die ausladenden Roben auf Schloss Versailles, frivol und erotisch die Auftritte im Musenstall. Da wird nicht mit kurzen Röcken, Netzstrümpfen und Strapsen gegeizt, auch die Dekolletés lassen tief blicken. Eins ist von Anfang an klar. Hier haben die Frauen das Kommando, und das nicht nur, wenn die Pompadour ihren René als Rekrut kommandiert und er treuherzig antwortet: Ich bin dein Untertan, dein treuer. Auch den ach so schlauen Polizeipräsident Maurepas lässt sie verdammt alt aussehen, denn sie ist „schläuer“. Aber auch Belotte weiß die Waffen der Frau zu nutzen, während sie der faden Madeleine erst noch beigebracht werden müssen.

Enzinger nutzt die erotischen Anspielungen und lässt seine Frauenfiguren mit Charme und Humor der Männerwelt ihre Doppelmoral vorführen. Und so entwickelt sich in den gut drei Stunden ein kurzweiliges Amüsement. Überhaupt hat Enzinger sehr viel von der Schauspiel-Regie einfließen lassen, die Personenregie ist bis in die kleinste Verflechtung durchdacht und hat großen Anteil daran, dass immer was los ist auf der Bühne, und es trotz der Langfassung immer kurzweilig ist. Und Enzinger hat so viel Spaß an der Inszenierung, dass er es sich nicht nehmen lässt, selbst im Rokoko-Mantel und Perücke als Collin, Haushofmeister der Madame Pompadour, auf die Bühne zu gehen. So begrüßt er das anwesende Publikum und muss direkt die schlechte Nachricht verkünden, dass Julia Koci, seit 2013 festes Ensemblemitglied der Wiener Volksoper, an diesem Abend wegen einer schweren Halsentzündung die Titelrolle nicht singen kann. Doch mit Kammersängerin Ursula Pfitzner, seit über 20 Jahren Angehörige der Volksoper Wien, ist stimmlich ein großartiger Ersatz gefunden. Und so gibt es an diesem Abend zwei Madames Pompadour. Koci, die spielt und tanzt, und Pfitzner, die von der Seite aus singt und spricht. Aufgrund der sehr aufwendigen Choreografie hätte ein kurzfristiges komplettes Einspringen wohl nicht funktioniert, und das Miteinander der beiden Damen funktioniert kongenial, so dass es keine wirklichen Einbußen in der Qualität der Aufführung gibt.

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Während Koci mit ihren Reizen kokettiert, mit den Figuren spielt und der Figur neben der erotischen Ausstrahlung auch eine Grandezza verleiht, ist Pfitzner für die musikalische Finesse zuständig, insbesondere mit den beiden Ohrwürmern Heut‘ könnt einer sein Glück bei mir machen und Joseph, ach Joseph, was bist du so keusch. Unter den besonderen Bedingungen der Aufführung und der Kurzfristigkeit ist das musikalische Einspringen eine beachtliche Leistung und Darbietung, die am Schluss vom Publikum zurecht bejubelt wird. Maximilian Mayer, bis Ende der Spielzeit 2023 festes Ensemblemitglied des Münchner Gärtnerplatztheaters, ist die Rolle des Grafen René auf den Leib geschrieben. Gutaussehend, charmant, mit strahlenden Höhen und einem Schmelz in der Stimme, bei dem nicht nur die Pompadour weiche Knie bekommt. Loes Cools als Belotte muss sich mit ihrem leichten und klaren Sopran und ihrem neckischen Spiel nicht verstecken. Kaj-Louis Lucke gibt als singender Schauspieler den Dichter Calicot mit viel Witz, manchmal etwas zu überdreht und schrill. Wunderbar komödiantisch sein „Potiphar-Duett“ mit Koci, die am Schluss gemeinsam in einer fahrbaren Badewanne landen. Elisabeth Zeiler spielt die Madeleine als naives Landei mit kokettem Einschlag, die am Schluss ihrem Mann René eine ordentliche Ohrfeige verpasst. Alfred Rauch gibt den dämlichen Polizeipräsidenten Maurepas mit großer Komik, köstlich von Markus Raab als Spitzel Poulard sekundiert. Claudiu Sola ist als König Ludwig XV. voll in seinem Element, köstlich und delikat, und wenn er seinen Willen nicht bekommt, dann steppt er halt. Enzinger in der Rolle des Collin kommt seinem Amt als Haushofmeister der Pompadour nicht nur mit höfischem Habitus nach, sondern er animiert auch das Publikum, zur Audienz der Pompadour im zweiten Akt mit entsprechenden „Ohs“ und „Ahs“ der jeweiligen Stimmung der Marquise Ausdruck zu verleihen. Die Herren im Publikum tun sich da viel schwerer als die Damen, die sichtliche Freude am Mitmachen haben. Evamaria Mayer hat das Ballett passend zu den Rhythmen in Szene gesetzt, und der Chor ist von Matthias Schoberwalter gut eingestimmt, von Mayer auch entsprechend choreografiert.

Mit scheinbarer Leichtigkeit führt Christoph Huber das Franz-Lehár-Orchester durch die rhythmische Partitur, in der große Orchestrierung sich mit Swing, Jazz und Marschrhythmen abwechselt. Durch das straffe Tempo ist steter Zug im Orchester, und der Spannungsbogen fällt zu keinem Zeitpunkt ab, was auch an der musikalischen Neubearbeitung liegt. Das Publikum ist am Schluss begeistert und spendet großen Applaus für das gesamte Ensemble. Mit der Madame Pompadour gelingt ein zündender Start in das diesjährige Lehár-Festival. Jetzt darf man auf die Operettenkostbarkeit Schön ist die Welt von Franz Lehár gespannt sein.

Andreas H. Hölscher