Tödliche Erinnerungen
Schönbergs Fanal atonaler Musik und verstörenden Sprechgesangs von 1912 und Maxwell Davies’ musikalisch-dramatische Gratwanderung von 1974: In der Kombination werden beide Stücke in der hoch reflektierten Performance der New Opera Amsterdam anlässlich des ambitionierten neuen Festivals „voi-z“ im niederländischen Zwolle zu einem brisanten Doppel tödlicher – weiblicher – Erinnerungen.
Carina Vinke singt sowohl die hoffnungslos elegisch rückblickenden Erinnerungen an den mythischen Pierrot als auch die emotional überreizten Reanimations-Versuche einer verlassenen Braut mit kalkulierter Stimmkultur: bewusst gestaltend in den vorgegebenen Exaltationen mit gekonnten Höhen und intensiver „Sprach“-Gestaltung – dabei darstellerisch ausdrucksvoll präsent!
Lotte de Beers Regie betont die existenzielle Einsamkeit der Frauen, konfrontiert sie jeweils mit einem alter ego, der Projektion des ersehnten, verachteten Geliebten beziehungsweise ihre eigene Vergangenheit. Ilse Ort tanzt diese Figuren im Stil dramatischen Tanztheaters mit großer Intensität.
Clement & Sandu bauen eine eindrucksvoll abstrakte Bühne mit zwei gegeneinander gerichteten Schrägen als Spielflächen, durch Seile fragil miteinander verbunden – assoziationsreiche Angebote für Akteure und Zuschauer, unterstützt durch sparsam-eindringliche Licht-Effekte!
Das technisch perfekt aufspielende New European Ensemble vermag es, dem so spröden Klang-Material die immanente Emotionalität zu entlocken; Christian Karlsen leitet das Orchester zu intendiertem durchsichtigen Klang, lässt Raum für die eingreifenden Solo-Instrumente und koordiniert umsichtig die Kommunikation zwischen Musik und Gesang.
Im intimen Raum des Odeon-Theaters in Zwolle verfolgt ein offensichtlich kundig-interessiertes Publikum die Aufführung mit hoher Konzentration und dankt am Ende mit respektvollem Applaus.
Dem jungen Festival im bislang wenig beachteten Zwolle steht nach dieser Erfahrung – und dem weiteren Programm mit avanciertem Musiktheater! - eine verheißungsvolle Zukunft ins Haus!
Franz R. Stuke
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