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Fakten zur Aufführung 

Insan.Insaat.Istanbul.
(Ali N. Askin)
29. Mai 2011 (Uraufführung)

Kleines Schauspielhaus Wuppertal


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Moloch zwischen den Kontinenten

Man stelle sich einen zwanzig Meter breiten, aber kaum fünf Meter tiefen Raum vor. Dahinter drückt sich das Orchester an die Wand, davor sitzen Zuschauer in gerade mal vier Reihen. So sieht es aus im Kleinen Schauspielhaus der Wuppertaler Bühnen. Das Große Schauspielhaus ist als baufällig geschlossen – und wird nicht saniert. Schale Späße der Kulturpolitik auch in Wuppertal. Allein das Foyer gilt als „sicher“. Daraus haben die findigen, kreativen Theatermenschen einen kostbaren, weil hoch atmosphärischen Raum des Armen Theaters geschaffen, Exkrement zu Gold, gewissermaßen.

Für Mensch.Baustelle.Istanbul, wie der Titel der Uraufführung von Ali N. Askin übersetzt heißt, hat Markus Fischer zwei provisorische Züge gespannt. An ihnen werden Tücher, Schals, Perlenvorhänge bewegt. Der Raum erhält Tiefe und Form, mit Lichtunterstützung entstehen Schauplätze. Bei der Premiere dauern die Verwandlungen noch zu lange, wirkt vieles eindrucks- und sinnvoll, manches aber verzichtbar, fast läppisch. Die unauffällig ästhetischen, typisierenden Kostüme von Judith Fischer, die dem bestimmenden Schwarz immer wieder leuchtendes Blau und Rot entgegen setzen, treffen den Gestus des Stückes genau.

Die Stadt Istanbul will Ali N. Askin mit den Mitteln des Musiktheaters vorstellen und interpretieren – als ständig wachsenden Moloch zwischen den Kontinenten, als formlose Masse mit Eigenleben, als Projektionsfläche für vielfältige Klischees und als Sammelbecken architektonischer und menschlicher Schönheit. Das ist viel gewollt und Operndirektor Johannes Weigand muss sehr hart arbeiten, um inszenatorische Linie hinein zu bringen.

Fünf Gedichte von Dschalal ad-Din Muhammad Rumi aus dem 13. Jahrhundert strukturieren den Abend. Von einer Klarinette begleitet werden sie von Banu Böke mit geheimnisvoll aufgerautem Sopran vorgetragen. Man ahnt ihren Schatten hinter einem Tuch, auf das nicht entschlüsselbare Formen und Bewegungen projiziert werden. Das Chaos des Großstadtlebens? Die Lieder handeln von Heimatlosigkeit, die auch Motiv mehrerer Handlungsfäden ist, die weder textlich noch szenisch so ausformuliert werden, dass sie sich zur Geschichte runden könnten. Es geht um eine zerbrochene Familie, eine erfolglose Heimkehr, ein altes Haus und eine Geschlechtsumwandlung – und eben um die Stadt mit ihrem Baustellenlärm und Muezzinrufen, rauschendem Meer und tropfendem Höhlenwasser.

Durch alles stolpert ein Touristenpaar hindurch, klappert Sehenswürdigkeiten ab, lässt sich beklauen, scheitert bei der Essensbestellung, zitiert aus der Stadtgeschichte. Die zwei sind nett anzuschauen und durchmessen die ganze Bandbreite von dümmlichen Klischeeisierungen bis zum wirklich packenden Moment, wenn die Frau in der Altstadt komplett die Orientierung verliert. Plötzlich ist sie der riesigen Stadt ganz alleine ausgeliefert und füllt den Raum mit ihrer Angst und Befremdung.

Tobias Deutschmann geleitet sein um E-Gitarre und Sampler ergänztes Kammerorchester wie auf Schienen durch die vielen, leicht verwechselbaren klanglichen Verästelungen dieser „Oriental Minimal Music“, der man Askins Vergangenheit als Filmmusiker und Schöpfer experimenteller, elektronischer Klänge deutlich anhört.

Faton Mistele und Hedie Rzgar bewähren sich mit großer körperlicher Präsenz in kleinen, wortlosen Rollen. Die Schauspielerin Ute Zehlen beeindruckt als Touristin vor allem durch ihre prägnant gelesenen Monologe aus der Geschichte.

An klassisch ausgebildete Opernsänger stellt Insan.Insaat. Istanbul. ungewöhnliche Ansprüche. Thomas Schobert hat als Tourist größtenteils zu sprechen. Er spielt hervorragend und bewältigt seine kurzen Gesangspassagen mit etwas flachem Bass und hervorragender Artikulation.

Als zentrale Figur der Heimkehrerin hat Banu Böke relativ wenig Raum, nutzt diesen aber eindrucksvoll. Am meisten zu tun haben die Mezzosopranistin Miriam Ritter und der Tenor Konstantinos Stavridis in diversen Sing- und Sprechrollen. Beide machen selbst in einer Art Schattenspiel eine hervorragende Figur, singen rollendeckend, sprechen wie Schauspieler und beeindrucken durch präzisen Körperausdruck.

Andreas Falentin

 









Fotos: Uwe Stratmann