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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
18. September 2011 (Premiere)

Wuppertaler Bühnen


Points of Honor                      

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Erlösen und erlöst werden

Wie zwei Planeten umkreisen sich Senta und der Holländer im zweiten Akt im nachtblauen Raum, abhängig voneinander, aber nicht im Stande, sich einander zu nähern. Von Liebe wird nicht gesungen, aber von Erlösung, Heil und Engeln. Der Holländer überhöht Senta schließlich wie eine Heilige, stellt sie mit ausgebreiteten Armen auf einen Schemel und komplettiert dieses Bild, in dem er sich in gleicher Pose vor sie hinstellt, so dass sich die Hände der beiden berühren. So scheint er der Gekreuzigte am Kreuz zu sein. Aber es ist auch eine Frage der Perspektive, wer nun das Kreuz und der Gekreuzigte ist. Beide streben danach zu erlösen, beide wollen erlöst werden.

Dies ist sicher das tiefgründigste Symbol in der Inszenierung von Jakob Peters-Messer. Bei ihm sind Senta und der Holländer kein romantisches Pärchen, sondern beide wissen, dass sie sich einander aus ihrer jetzigen, unzureichenden Existenz befreien können. Die insgesamt gelungene Deutung besticht vor allem durch eine sichere Personenführung, die ganz auf die Musik ausgerichtet ist, und durch den klugen Einsatz von Licht und Schatten. Bei Peters-Messer kriecht der Holländer auf allen Vieren als Phantom aus dem Schatten auf die dezent von der Seite beleuchtete Spielfläche. Wenn er sich am Ende offenbart, ist dies auch ein schmerzhafter Augenblick für das Publikum, da die grellen Leuchten, zwischen denen der Holländer verschwindet, sich nun frontal vor den Zuschauern herabsenken. Während die Personen sehr genau, aber durchaus konventionell gezeichnet sind, ist der Bühnenraum von Guido Petzold, der auch für das Lichtdesign verantwortlich ist, sehr schlicht gestaltet und nur wenige Requisiten kommen zum Einsatz. Selbst das Bild des Holländers existiert nur in der Phantasie des Publikums. Auf dem Boden der schwarzen, schrägen Spielfläche symbolisiert ein hell-leuchtendes Quadrat die Wünsche Sentas sowie des Holländers. Aber auch wenn die wenigen Seile, Schemeln und Leuchten durchaus ausreichen, um den Raum plausibel zu bebildern, so ist die völlig einsehbare Bühne mit samt Türen, Laufstegen und Geräten nicht so Fantasie anregend, wie vom Regisseur erhofft. Hier scheint man aus der Not der Sparzwänge eine Tugend machen zu wollen.

Besser kommen die musikalischen Räume zur Geltung. Mit einer fantastischen Leistung zaubert das Sinfonieorchester Wuppertal das aufbäumende Meer in erregten Streicherläufen, die Sehnsucht Sentas im zärtlichen Thema der Oboe, sowie das schneidende Thema des Holländers in den Bläsern hervor. Hilary Griffiths weiß diesen imposanten Klangkörper vor allem sängerfreundlich einzusetzen, ohne dass die Musik dadurch in den Hintergrund rückt: Da hört man viel von der italienischen Oper in Wagners Musik, die er stets voran treibt und dabei sehr geschickte Ruhepunkte setzt. Unter dieser Leitung kann Bariton Kay Stiefermann in „seinem“ Haus ganz mühelos ein zu Recht umjubeltes Holländer-Debüt geben. Teilweise hat man das Gefühl, hier ein Schubert-Lied zu hören, so schön gestaltet er die Lyrismen der Partie. Wann hat man Momente wie Wie aus der Ferne längst vergangner Zeiten so kontrolliert und ausgeglichen gehört? Kein Brüllen, kein Knarzen verunstaltet die Gesangslinie, dafür bietet er eine saubere Textbehandlung sowie eine gute Atemkontrolle und viele Zwischentöne, die andere Sänger mangels Flexibilität weglassen. Dämonie und Verzweiflung ergeben sich ganz einfach durch die musikalische Gestaltung und müssen nicht durch oberflächlichen Effekt erzeugt werden. Lediglich der Strahl eines Heldenbaritons am obersten Ende der Tessitura fehlt Stiefermann noch, und in diesem Punkt wird er von seiner Bühnenpartnerin Alison Oakes überholt. Oakes beweist, dass es den schönen jungen, dramatischen Sopran noch gibt. Frei von keifenden Höhen und abnutzungsbedingten Tremolo, dafür mit sicherem Stimmsitz, bewältigt sie die Partie mit fulminanter Intensität. Vor allem registriert man dankbar, dass die Stimme diesen Einsatz mit unglaublicher Stamina bis zum Finale durchhält und am Ende ihren Treueschwur in Stein zu meißeln scheint.

Michael Tews singt den Daland nicht als gemütlichen Seefahrer, sondern sein Bass vermittelt zupackende Autorität, die nicht nur dem Schönling namens Steuermann zu schaffen macht. Christian Sturm präsentiert für diese Rolle einen passenden strahlenden Tenor mit leichten Höhen und samtenem Timbre. Sein Fachkollege Johan Weigel hat es als Erik nicht ganz so einfach. Auf der einen Seite besticht er mit schöner Mittellage und macht aus dem Beginn Auf hohem Felsen lag ich träumend einen kleinen Höhepunkt. Doch zu oft flüchtet sich der Sänger in gebellte Höhen ohne Glanz. Miriam Ritter hat ein junges Timbre und eine ebensolche Gestalt und wirkt mehr wie die sittsame Streberin in der Runde der Spinnerinnen als die alte Amme Mary.

Im Chor fällt es ihr ein bisschen schwerer, zur Geltung zu kommen, aber wer kann es ihr verübeln angesichts der stimmlichen Kraft, die Chor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen hier auffahren.  Gerade die große Szene zu Beginn des dritten Aktes hat Jens Bingert so sicher einstudiert, dass der vokale Schlagabtausch zwischen Männern und Frauen ein Genuss ist, zumal sie ganz dicht an der Rampe positioniert werden, um dem Zuschauer eine komplette Breitseite zu verpassen. Der Geisterchor tönt zwar „nur“ vom Band – aber immerhin bedrohlich genug, dass einem Angst und Bange werden möchte.

Selbst im Finale sind der Holländer und Senta nicht vereint, aber bewegen sich in einem schlichten Moment zum sanften, verklärten (Tristan-)Schluss aufeinander zu. Nach den letzten Takten darf das Wuppertaler Publikum zeigen, was es kann, und beweist, dass es das Gehörte würdigt: Selbst als der Chor nach dem dritten Vorhang schon abtreten möchte, will der Applaus nicht enden. Die Zuschauer schütten einhellig und vor allem lautstark ihre Begeisterung aus, die alle Beteiligten – auch das Regieteam - trifft. Besonders werden natürlich Kay Stiefermann und Alison Oakes für ihren sensationellen Abend gefeiert. Unten im Foyer trifft es ein Gast ganz nüchtern auf den Kopf: „Also muss man in die Provinz...“ Mit diesem Saisonauftakt hat sich Wuppertal einen oberen Platz in der europäischen Opernliga erobert.

Christoph Broermann





Fotos: Stratmann